Krise? Was für eine Krise?

Heute war wieder ein Artikel zu lesen – diesmal in der Frankfurter Rundschau – der sich mit dem Zustand des deutschen Films beschäftigt. Der Autor ist Martin Hagemann, Produzent und Professor an der HFF in Potsdam, und damit jemand, der sich in der Branche auskennt. „Das deutsche Kino ist in der Krise“, hieß der Titel, und fast hatte ich schon keine Lust mehr weiterzulesen, weil ich dachte: Ja, und wo ist nun die Neuigkeit? Das deutsche Kino steckt seit Jahrzehnten in der Krise, es wurden viele Artikel geschrieben, es gab Diskussionsrunden und wahrscheinlich auch Sammlungen mit der Spendenbüchse in den Fußgängerzonen der Republik. Nur geändert hat sich nichts.

Diesmal sollen die Verwerter (Kinos und Verleiher) Schuld sein, die mehr verdienen als die Produzenten, und weil letztere nicht mehr an den Erlösen aus der Verwertung partizipieren, sondern nur noch mit der Produktion selbst Geld verdienen können, kommt es auch zu der gegenwärtigen Überproduktion. Dass der Autor selbst Produzent ist, ist vermutlich nur ein Zufall. Eine Information fand ich jedoch sehr interessant: „Die Hälfte der sechshundert Millionen Umsatz innerhalb der deutschen Kinofilmproduktion wird heute in einem Prozent der deutschen Produktionsfirmen bewegt, während 83 Prozent der Produktionsfirmen nur für acht Prozent des Umsatzes verantwortlich sind.“ Mit anderen Worten: Die großen Fische haben sich den Markt aufgeteilt und bekommen die fettesten Brocken, während die Kleinen nach den Resten schnappen. Und Jahr für Jahr werden viele weitere kleine Fische in den Teich geworfen.

Selbst wenn all die kleinen Fische (Produzenten, Autoren, Regisseure und andere Filmschaffende) sich zusammentun und aufbegehren würden, es änderte sich dennoch nichts. Für eine gewisse Zeit gäbe es vielleicht eine kabbelige See, aber danach wäre alles wieder beim Alten. Und solange der deutsche Film regelmäßig ein, zwei wirtschaftliche und ebenso viele künstlerische Erfolge vorzuweisen hat, die beweisen, dass er nicht so tot ist wie er aussieht, kann man sich weiterhin einreden, dass alles in Ordnung ist. Zumindest wenn man ein großer Fisch ist oder die Fördergelder verwaltet.

Ohne den Beitrag herabwürdigen zu wollen, das Problem ist zu vielschichtig und mittlerweile systemimmanent, um ihm mit einfachen Lösungen beikommen zu können. Was jedoch viel wichtiger ist: Es fehlt der erklärte Wille, überhaupt eine Lösung finden zu wollen. Und bei manchen Stellen und in gewissen Kreisen fehlt allein schon der Wille, ein Problem zu erkennen. Immerhin steigt der deutsche Marktanteil in diesem Jahr vermutlich wieder auf über 25 Prozent, und die Berliner Schule wird gerade im Moma geehrt. Also, was für eine Krise, bitteschön?

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.