Cody ist eine typische amerikanische Kleinstadt. Entlang einer Hauptstraße gewachsen, wirkt sie viel größer als sie ist, weil die Bebauung abseits davon sehr großflächig ist. Wie Jackson profitiert die Stadt in erster Linie von der Nähe zu einem bedeutenden Nationalpark. Anders als Jackson sieht Cody aber authentischer und weit weniger gelackt aus. Die Häuser in der Innenstadt sind wirklich alt und nicht überrestauriert oder moderne Kopien, alles hat Ecken und Kanten und wirkt mitunter auf rührend unbeholfene Weise bemüht, während es in Jackson mit seinen teuren Kunstgalerien und noblen Läden aussieht wie die Freizeitparkversion eines Westernstädtchens.
Der berühmteste Einwohner ist Buffalo Bill, der mit bürgerlichem Namen William F. Cody hieß und nach dem die Stadt 1896 benannt wurde. Übrigens ein Publicity-Coup, von dem die Gemeinde heute noch profitiert. Buffalo Bill ließ die Eisenbahn hierher bauen, errichtete das Irma Hotel, das er nach seiner Tochter benannte, und stattete es mit einer 100.000 Dollar teuren Bar aus, die Queen Victoria ihm geschenkt hat.
Vor dem Hotel finden übrigens jeden Abend – außer sonntags – Shootouts statt, und diesmal ist es uns gelungen, die Veranstaltung zu besuchen. Leider dauerte es sehr lange, bis sie überhaupt anfing, schließlich musste zuerst den diversen Sponsoren gedankt werden (darunter einem deutschen Biergarten), dann gab es einen Exkurs über die Geschichte der Stadt und des Staates, bevor die Darsteller vorgestellt wurden. Und natürlich wurden auch die amerikanische Flagge sowie die von Wyoming geschwenkt, während aus den Lautsprechern die Nationalhymne plärrte, begleitet von ein paar Sprüchen zur Großartigkeit des Landes. Das Stück, das aufgeführt wurde, war wie ein typisches Laientheaterspiel: holperig, langatmig und gespickt mit Kalauern. Als nach den ersten zehn Minuten immer noch so gut wie keine Schüsse gefallen waren, sind wir gegangen.
Das war auch das Einzige, was wir an dem Tag unternommen haben. Es sollte in erster Linie ein Ruhetag sein, an dem wir Arbeit nachholen, Wäsche waschen und ausschlafen konnten. Am Abend fand ein Rodeo statt, und wir haben wirklich sehr lange darüber nachgedacht, ob es nicht eine gute Idee wäre hinzugehen. Aber wir beide befürchteten, dass es uns nach drei, vier Auftritten langweilen würden, und da wir in der letzten Woche in diversen Restaurants bereits einige TV-Übertragungen von Rodeos gesehen haben, haben wir darauf verzichtet. Ein weiterer Grund war das schlechte Wetter, denn es war bis zum Mittag bewölkt und hat dann immer wieder kräftig geregnet.
Der Regen war auch der Grund, warum wir unseren Besuch des Freilichtmuseums Old Town Trail auf den nächsten Tag verschoben haben. Pünktlich um 8 Uhr, als sie ihre Pforten öffneten, waren wir jedoch zur Stelle, um uns die diversen Blockhütten und Holzhäuser aus dem 19. Jahrhundert anzusehen, die aus Wyoming und Montana hierher transportiert wurden.
Die Gebäude stehen links und rechts einer Straße, auf der sich Dutzende Wagen, manche davon gut erhalten, andere im Zustand fortschreitenden Verfalls, befinden – fast wie ein Stau in der morgendlichen Rushhour. So entsteht der Eindruck einer typischen Westernstadt, wie wir sie schon oft in Filmen und Serien gesehen haben. Man kann in viele der Häuser sogar hineingehen und sich das originale Inventar oder diverse Ausstellungen mit alten Sätteln, Kleidung und Alltagsgegenständen anschauen. Es gibt verschiedene Wohnhäuser, eine Schule, einen Kaufladen, Werkstätten und sogar einen Saloon. Zu den Highlights zählen zwei Hütten, in denen Butch Cassidy and the Sundance Kid untergetaucht waren. Auffällig ist, wie klein alles ist. Nicht nur die Gebäude sind winzig und bestehen nur aus einem Raum, auch die Betten oder ausgestellten Kleidungsstücke würden heute eher zu einem Kind passen.
Was mich ein wenig beunruhigt hat, waren die Schilder, die vor Klapperschlangen auf dem Gelände gewarnt haben, aber wie so oft vermutlich mit der Gefahr ein wenig übertrieben haben. Im hinteren Teil des Geländes befindet sich sogar ein Friedhof, auf dem einige Legenden der lokalen Geschichte ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Darunter ist auch John Johnson, den Robert Redford in dem Film Jeremiah Johnson dargestellt hat, und der Hollywoodstar war sogar einer der Sargträger, als der Leichnam Mitte der Siebzigerjahre umgebettet wurde.
Im Anschluss an diesen Geschichtsunterricht hieß es Abschied nehmen von Cody. Wir fuhren noch einmal die Hauptstraße entlang – und stellten dabei fest, dass es hier eine Menge Chiropraktiker gibt. Ob das wohl mit den vielen Rodeos zu tun hat?
Von Cody aus ging es weiter nach Osten. Unser erster Stopp war die Bighorn Canyon National Recreation Area, in der die Landschaft einen dramatischen Wandel vollzieht. Die grau-braun-gelben Felsen erinnern plötzlich eher an die kargen Wüstengegenden des Südwestens, vor allem an Nevada und das südliche Utah. Auch die unvermittelt auftauchenden roten Sedimentschichten und zerklüfteten Felsen vervollständigen dieses Bild.
Vom Devil’s Canyon Overlook, der sich knapp hinter der Grenze zu Montana befindet, hat man einen fantastischen Blick auf ein tiefes Tal, in dem der Bighorn River und der Porcupine Creek in den Bighorn Lake fließen. Ein bisschen erinnert der Anblick an den Grand Canyon, auch wenn das Tal nicht so breit und tief ist, aber die Felsformationen sehen ähnlich aus. Benannt wurde das gesamte Gebiet übrigens nach den Bighorn Schafen, die sich hier herumtreiben und von denen wir natürlich kein einziges zu sehen bekommen haben. Was nicht schlimm ist, haben wir sie in der Vergangenheit schon häufiger bewundern dürfen.
Zum Ausgleich konnten wir unterwegs jedoch einen Elch bestaunen, der in einiger Entfernung vom Straßenrand an einem Fluss stand und von einigen Autofahrern und einem sichtlich verunsicherten Fliegenfischer im Wasser beobachtet wurde. Für unsere Kamera war er leider zu weit weg, außerdem drehte er uns kurz nach unserer Ankunft seine weniger fotogene Kehrseite zu.
Der einzige weitere Stopp an diesem Fahrtag waren die Five Spring Falls. Um dorthin zu kommen, mussten wir über einen alten Highway einen hohen Berg hinauffahren. Die Serpentinen waren eng, der Abgrund neben der Straße schwindelerregend, ein Weg, der einen das Beten lehrt. Meine größte Angst war, dass uns einer dieser riesigen Pick-up-Trucks entgegenkommen könnte, dem wir auf dieser schmalen Straße kaum ausweichen könnten. Tatsächlich ist uns ein solches Gefährt begegnet, aber der Fahrer war umsichtig genug, rechtzeitig in eine der wenigen Ausweichbuchten zu fahren. Jedenfalls kamen wir heil oben an.
Laut unserem Reiseführer sollten die beiden Wasserfälle „nach einem kurzen Spaziergang“ von einem Campingplatz aus zu erreichen sein. Was nicht stimmt. Man muss ein ganzes Stück durch einen Wald wandern, ziemlich steile Pfade hochklettern und sich einmal an einem riesigen Felsen vorbeiquetschen. Dann steht man vor einem etwas müde plätschernden Wasserfällchen. Verglichen mit den Exemplaren in Yellowstone ist es enttäuschend. Doch dies ist nur der lower fall, der obere Bruder soll über dreißig Meter in die Tiefe stürzen – nur konnten wir ihn nicht finden. Man sollte meinen, dass man wenigstens das Getöse fallenden Wassers hört, doch auch hier Fehlanzeige. Zurück am Parkplatz haben wir gelesen, dass der Trail etwas schwierig zu finden ist. Ein kleines Schild hätte dabei vielleicht gute Dienste geleistet, vielleicht waren wir aber auch zu unaufmerksam. Von dem spektakulären Blick auf das weite Bighorn Basin (und wieder stellen wir hier eine gewisse Einfallslosigkeit bei der geografischen Namenswahl fest) abgesehen, lohnt sich dieser Abstecher eigentlich nicht – kostet aber reichlich Nerven.
Über den neuen Highway ging es dann erneut hinauf in die Berge, diesmal auf breiteren Straßen und in wenigen engen Serpentinen. Höher und immer höher fuhren wir und erreichten beinahe die Baumgrenze. Etwas höher und hätte vermutlich begonnen zu schneien, und Yetis hätten heiße Schokolade am Straßenrand verkauft. Auf fast 2900 Metern Höhe überschritten wir schließlich den Pass und landeten in einem Hochplateau, das stark an den Voralpenraum erinnerte.
Auf der anderen Seite ging es dann naturgemäß wieder hinunter. Die Aussicht war auch hier phänomenal, das vor uns liegende Tal ist so weit, dass man meinen könnte, halb Wyoming zu überblicken, und man konnte anhand der dunkelgrünen Spur üppiger Wälder und Wiesen gut den Verlauf den Tongue Rivers erkennen. Diesem folgten wir dann auch eine Weile und gelangten schließlich in Sheridan, wo wir bei einem Mexikaner ein spätes Mittagessen zu uns nahmen.
Sheridan ist ein wenig bemerkenswertes Städtchen mit einigen schönen, alten Häusern, darunter dem Historic Sheridan Inn, an dem einst auch Buffalo Bill beteiligt war. Von da aus war es immer noch eine ganze Weile bis nach Gilette, wo wir unsere müden Häupter zur Ruhe betteten.