Zu früher Stunde verließen wir die Mormonen-Metropole Salt Lake City und fuhren Richtung Norden. Es ging vorbei an einigen größeren Städten und vor allem durch eine Region, die stark von der Landwirtschaft geprägt ist. Das Bienenkorb-Logo verfolgte uns dabei unentwegt, prangt es doch auf jedem Verkehrsschild, und wenn man sich die blühenden Landschaften ansieht, kann man den Mormonen durchaus einen gewissen Bienenfleiß attestieren.
In Logan hielten wir an, um zu tanken und uns zum ersten Mal ein herzhaftes amerikanisches Frühstück mit Rühreiern, Bacon und Hash Browns zu gönnen – was sich schon bald als Fehler herausstellen sollte. Denn nur fünfzehn Minuten später hielten wir am Wind Caves Trail, um eine Wanderung zu beginnen, die uns 334 Meter in die Höhe führen sollte. Auch ohne vollen Bauch wäre das ziemlich anstrengend gewesen, und so schnauften wir beim Aufstieg um die Wette. Man darf dabei nicht vergessen, dass wir uns immer noch auf rund zweitausend Metern Höhe befinden – was man auch körperlich spürt. Hinzu kommt, dass wir beide seit unserer Covid-Erkrankung vor gut einer Woche immer noch unter einem hartnäckigen Husten und vermutlich leicht eingeschränkter Lungenkapazität leiden.
Was ich damit sagen will: Wir haben uns wie die Könige gefühlt, als wir endlich die natürliche Höhle hoch oben im Fels erreicht hatten. Vor dort aus hat man einen wunderbaren Blick auf den Logan Canyon und den gleichnamigen Fluss (man kann mit Fug und Recht bei der Wahl der Orts- und geografischen Namen eine gewisse Einfallslosigkeit feststellen). Dieser Ausblick ist die Mühen auf jeden Fall wert.
Die Wanderung war tatsächlich der Höhepunkt des Tages, denn die nächsten Stunden verbrachten wir vor allem im Wagen, unterwegs nach Jackson, das manchmal auch Jackson Hole genannt wird. Von Utah aus ging es dabei zuerst nach Idaho, dann weiter nach Wyoming, einem Staat, in dem ich tatsächlich noch nie war und den ich vor allem mit der Neo-Western-Krimiserie Longmire verbinde. Unterwegs kamen wir an Paris, Montpelier, Geneva (Genf) und Mantua vorbei, was man in Europa garantiert nicht innerhalb so kurzer Zeit schafft.
Landschaftlich ist die Gegend auf jeden Fall äußerst reizvoll. Wir passierten unterwegs den türkisfarbenen Bear Lake, der zwar eine beachtliche Länge von 30 Kilometern aufweist, aber leider nur sehr schwer zugänglich ist, zumindest wenn man kein Haus am Ufer sein Eigen nennt. Zwar gab es einen sehr schönen, öffentlichen Strand, den wir hätten ansteuern können, doch leider waren wir bereits etwas spät dran, und der See sah, abgesehen von seiner wunderschönen Farbe, auch etwas langweilig aus: eine weite, blaue Fläche, die in weiter Entfernung von Bergen begrenzt wird. Deshalb verzichteten wir auf diesen Umweg und setzten unsere Reise fort.
Sowohl der Südosten Idahos als auch der Teil Wyomings, in dem wir uns befinden, wird in erster Linie zur Viehzucht benutzt. Wir durchquerten zwei hübsche, nicht zu weite Täler, durch die sich der Salt bzw. Snake River schlängelten, und konnten nebenbei die Rinder auf den Weiden zählen. Dazwischen lagen die verschiedenen Ranches, die einen Wettkampf um das größte und auffälligste Tor auszutragen schienen. An den meisten hingen Geweihe.
Aus ebensolchen wurden sowohl in Afton als auch in Jackson riesige, manchmal Straßen überspannende Torbogen gebastelt. Wir dachten zuerst, dass es sich dabei um Jagdtrophäen handelt, erfuhren aber später, dass – zumindest in Jackson – die örtlichen Pfadfinder früher die Geweihe von verendeten Elchen und Hirschen gesammelt und versteigert haben.
Wir kamen um 17 Uhr in Jackson an und damit genau rechtzeitig, um einzuchecken und uns für das große Shooting fertig zu machen. Jeden Abend im Sommer findet nämlich um 18 Uhr auf dem Town Square ein Shootout statt – die einzige Schießerei, deren Zeuge man hier in den USA werden möchte. Was wir leider nicht wussten: Sonntags wird nicht geschossen. Wirklich schade, auf der anderen Seite ist es natürlich nur eine Touristenattraktion, die es allerdings bereits seit rund 65 Jahren gibt und die jedes Jahr Tausende nach Jackson lockt.
Die Stadt selbst ist entsprechend voll und ganz auf den Tourismus eingestellt, kein Wunder, ist sie doch das Einfallstor zu gleich zwei Nationalparks: Grand Teton und Yellowstone. Gefühlt ist jedes zweite Gebäude ein Hotel oder Motel, und alle anderen beherbergen Souvenirshops und Restaurants. Die Innenstadt ist pittoresk, die Häuser sind entweder wirklich alt oder wurden auf alt getrimmt, und überall herrscht hektische Betriebsamkeit. Die schmalen Straßen sind voller Autos, auf den Bürgersteigen schieben sich die Menschenmassen, und der zur Schau gestellte Kommerz vermiest einem ein wenig die Westernatmosphäre. Daran hätte vermutlich auch eine inszenierte Schießerei nichts geändert.
Wen es interessiert: Jackson ist tatsächlich der Name der Stadt, während sich Jackson Hole auf das gesamte Tal inklusive weiterer Ortschaften bezieht („hole“ ist Trapper-Slang und bezeichnet ein geschütztes oder abgeschlossenes Tal). Der Name geht übrigens auf einen Trapper namens Davey Jackson zurück, der als einer der ersten Europäer hier einen Winter verbrachte. Hotels hat es damals nicht an jeder Straßenecke gegeben.