„This is the Place!“ – „Dieses ist der Platz!“ Diesen Satz soll Mormonenführer Brigham Young angeblich ausgerufen haben, als er am 24. Juli 1847 über die Berge in das Tal des heutigen Salt Lake City kam. Genug Platz für eine neue Stadt, sogar einen eigenen Staat (mit dem Namen Deseret), war in dem breiten Tal auf jeden Fall, warum man aber ausgerechnet am Ufer eines Salzsees siedeln möchte, entzieht sich meiner Kenntnis. Nach dem Toten Meer ist es das salzigste Wasser auf diesem Planeten.
Doch die Mormonen waren fleißig, nicht umsonst ist der Bienenkorb, den man hier überall zu sehen bekommt, das Staatsymbol, und schufen eine beeindruckende Stadt, die inzwischen knapp 200.000 Einwohner hat, mit dem Umland sind es sogar annähernd eine Million, das ist mehr als ein Drittel der gesamten Bevölkerung Utahs.
Am Samstagvormittag fuhren wir zuerst zum Salzsee hinaus, der nur wenige Autominuten von unserem Hotel entfernt ist. Leider vertrocknet und versandet der große Salzsee immer mehr, so dass vom Ufer aus nicht viel von ihm zu entdecken war. Man kann zwar über eine unbefestigte Straße zu einem State Park fahren, was mit einem Mietwagen jedoch nicht erlaubt ist, und da es am Morgen zudem stark bewölkt war und gegen Mittag regnen sollte, haben wir es bei einem Blick aus weiter Entfernung belassen. Besonders beeindruckend ist das Gewässer ohnehin nicht.
Mit dem Wagen ging es dann ins Stadtzentrum, das großstädtischer wirkt als es die relativ geringe Bevölkerungszahl suggeriert. Einige wenige historische Backsteingebäude aus dem neunzehnten Jahrhundert haben zwar überlebt, doch die Skyline wird inzwischen von Hochhäusern dominiert, in denen vor allem Banken und Versicherungen residieren und die genauso auch in jeder anderen amerikanischen Großstadt stehen könnten.
Immerhin sind die Straßen ziemlich breit – sie wurden bewusst so angelegt, dass ein Pferdegespann auf ihnen wenden kann – und erstaunlich sauber. Verglichen mit anderen Städten, in denen sich am Straßenrand oft der Müll türmt, ist hier alles aufgeräumt und ordentlich und damit leider auch ein bisschen langweilig. Am Wochenende gehört die Innenstadt ohnehin den Besuchern und Einheimischen, die shoppen oder sich amüsieren wollen. Übrigens sind die Geschäfte hier am Sonntag geschlossen, für amerikanische Verhältnisse höchst ungewöhnlich, und öffnen auch erst sehr spät. Als wir um kurz vor zehn Uhr ankamen, wirkten die Plätze und Shoppingcenter noch wie ausgestorben, und auch gegen Mittag war noch nicht viel los. Was immer Mormonen an einem Samstag tun, bummeln gehört eher nicht dazu.
Auffällig waren auch die viele Obdachlosen. In manchen Parks lagen sie auf den Wiesen herum wie die Opfer einer Massenschießerei, andere schlurften mit leerem Blick durch die Straßen oder bettelten um Geld. Sie bildeten damit einen scharfen sozialen Kontrast zu dem Bild einer reichen und wohlorganisierten Gemeinde.
Viel zu sehen gibt es in Salt Lake City nicht. Die Hauptsehenswürdigkeit und das Wahrzeichen der Stadt ist natürlich der Salt Lake Temple, der in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts errichtet wurde – und gerade eine umfangreiche Renovierung erfährt. Deshalb ist er auch vom Fundament bis zur vergoldeten Engelsstatue auf der Spitze eingerüstet. Auch sonst wird überall in der Stadt gebaut, renoviert und instandgesetzt. Salt Lake City ist eine einzige Baustelle, und wir mussten etliche Umwege in Kauf nehmen, um unser Ziel zu erreichen.
Nachdem das religiöse Zentrum der Stadt nicht zu besichtigen war, machten wir uns auf dem Weg zum weltlichen. Erstaunlicherweise war das Kapitol nicht nur offen zur Besichtigung, sondern man konnte es auch betreten, ohne eine Sicherheitsschleuse zu durchqueren, und auf eigene Faust erkunden. Zu sehen gab es beeindruckend viel Marmor und reichlich kitschige Wandgemälde. Und natürlich jede Menge (vergoldete) Bienenkörbe.
Gegen Mittag kam überraschend noch einmal kurz die Sonne raus. Wir besorgten uns in einem Foodcourt italienisch angehauchte Sandwiches, die ganz okay waren, und entschieden uns dann, am Nachmittag in Kino zu gehen, um uns Bullet Train anzusehen. Ich sehe mir ja gerne Kinos in anderen Ländern an, und dieses Luxuskino machte auf den ersten Blick einen ordentlichen Eindruck. Eine Katastrophe war jedoch das Kassensystem, das aus viel zu wenigen Automaten bestand. Ich kaufe grundsätzlich nur bei menschlichen Kassierern, weil ich der Meinung bin, dass diese Jobs gebraucht werden und ich als Kunde nicht diese Arbeit erledigen sollte. Bis wir uns durch die Auswahl geklickt hatten (man konnte gleichzeitig die Karten für die Vorstellung lösen und seine Snacks und Getränke auswählen), dauerte es schon ziemlich lange, und dann hat das System mehrfach unsere europäischen Kreditkarten abgelehnt. Am Ende hat es geschlagene zehn Minuten gedauert, um die Karten zu kaufen, und danach mussten wir noch auf die bestellten Snacks warten (die für ein Luxuskino alles andere als gut waren).
Als wir zwei Stunden später wieder herauskamen, ging gerade die Welt unter. Es hat so fest geregnet, dass wir auf den wenigen Metern zu unserem Parkhaus bis auf die Haut durchnässt wurden, und auch die Fahrt durch die Stadt war alles andere als ein Vergnügen. Aber ich will mich nicht beschweren, denn wir waren froh, überhaupt aus dem Parkhaus, das vermutlich dem kretischen Labyrinth nachempfunden wurde, herauszukommen. Die Autoren von Seinfeld haben wahrscheinlich ebenfalls mal hier geparkt. Auf dem Rückweg hielten wir dann noch bei einem mexikanischen Restaurant und besorgten uns Chimichangas und Chili Rellenos, die erstaunlich gut waren.
Mein Fazit ist durchwachsen. Salt Lake City ist eine ruhige, gemütliche und sehr saubere, aber auch recht langweilige Stadt mit nur wenigen bemerkenswerten Gebäuden und – momentan zumindest – viel zu vielen Baustellen. Der große Salzsee ist unspektakulär, falls man ihn überhaupt zu Gesicht bekommt, und wenn ich auf diesen Stopp verzichtet hätte, hätte ich wohl nichts verpasst. „This is the Place?“ Na ja, meiner wohl eher nicht.