Verwelken in Vegas

Las Vegas. Man muss es nicht lieben, um sich dort pudelwohl zu fühlen, man sollte nur offen sein für eine Menge Widersprüche und typisch amerikanische Verrücktheiten. Ich meine, eine Millionenstadt in die Wüste zu setzen, kann man schon als verrückt bezeichnen, oder? Auch sonst neigt Sin City zum Exzess. Clubs, die rund um die Uhr geöffnet sind, Glücksspiel, Prostituierte, die in den Kasinos auf Kundenfang gehen, und jede Menge kulinarische Extravaganzen. Den Sushi Burrito, über den wir uns bereits vor vier Jahren gewundert haben, haben wir übrigens immer noch nicht probiert, und die Narretei des Monats ist definitiv Pizza Cake. Unter Pizza dolce kann ich mir etwas (Leckeres) vorstellen, aber bei Pizza Cake passe ich, und wenn selbst das Lokal nicht einmal mit einem Foto davon wirbt, muss wohl etwas faul im Staate Nevada sein. Unerschrockene können natürlich Pizza Cake Las Vegas googeln, aber sagt nicht, ich hätte euch nicht gewarnt.

Früher war die Stadt ideal für einen den Geldbeutel schonenden Kurztrip, vorausgesetzt man ist kein großer Zocker und lässt ein Vermögen in den Kasinos. Als wir das erste Mal hier waren, bekam man für ungefähr dreißig Euro noch ein riesiges Zimmer im sechsundzwanzigsten Stock mit Blick auf die beeindruckende Skyline von Las Vegas. Doch diese Zeiten sind lange vorbei.

Will man heute ein Zimmer buchen, sollte man unbedingt einige Dinge wissen: Die meisten großen Hotels erheben eine Resort Fee, bei der ich immer an die urdeutsche Kurtaxe denken muss. Leider ist es inzwischen auch fast überall üblich, das Parken extra zu zahlen, und ich habe sogar schon gehört, dass einige Hotels die Zimmereinigung nur gegen eine zusätzliche Gebühr anbieten. Das hängt mit der gegenwärtigen Personalknappheit zusammen, die tatsächlich überall deutlich spürbar ist. Auch wir wurden in unserem Hotel gefragt, ob wir eine Reinigung wünschen (die im Preis inbegriffen ist), und als wir das bejahten, hieß es, sie würden damit schon um acht Uhr beginnen. Es klang wie eine Drohung.

Sehr viel haben wir an unserem Ankunftstag nicht mehr unternommen. Schuld daran waren die Temperaturen, die bei über vierzig Grad lagen, was normalerweise in Las Vegas trotzdem erträglich ist, weil es sich in der Regel um eine trockene Hitze handelt. Nur wegen der Regenfälle – wie gesagt, Monsoon season – ist die Luftfeuchtigkeit gerade furchtbar hoch. Selbst am späten Abend war es noch unerträglich heiß und stickig, und sogar in der Nacht hatten wir dreißig Grad. Da hätten wir auch in Deutschland bleiben können …

Vieles hat sich in den vergangenen vier Jahren hier verändert, doch Las Vegas ist trotzdem gleich geblieben. Mir kommt es vielleicht ein wenig bunter vor, und insbesondere die Anzahl der LED-Bildschirme, von denen manche inzwischen ganze Hochhausfassaden bedecken, ist enorm gestiegen. Überall aufdringliche Werbung, begleitet von der Dauerberieselung mit Pop- und Rockmusik und dem Klingeln der Spielautomaten, wogende Menschenmassen auf den Straßen und der allgegenwärtige Geruch von Marihuana – das ist Las Vegas.

Am Dienstag haben wir uns nur zwei Dinge angesehen: Den Vulkanausbruch vor dem Mirage, der in den nächsten Monaten verschwinden wird, da das Hotel verkauft wurde und einer kompletten Neugestaltung entgegensieht, sowie das neu eröffnete Resorts World, das schräg gegenüber vom Hotelzwilling Wynn und Encore entstanden ist. Ursprünglich hatte der Besitzer geplant, hier einen riesigen Hotelkomplex im chinesischen Stil zu errichten (inklusive einer Replika der Großen Mauer und einem Panda-Gehege), doch stattdessen ist nun ein modernes Gebäude entstanden, das sich im Design eher am modernen China orientiert. Architektonisch ist das Gebäude nicht uninteressant, sieht aber aus wie viele andere Neubauten am Strip. Das hat sich übrigens auch der Besitzer vom Wynn und Encore gedacht, der den Bauherren wegen der angeblich zu großen Ähnlichkeit der Gebäude verklagt hat. Mit seiner geschwungenen Fassade, die größtenteils aus LED-Leinwänden besteht, ist das vielleicht nicht ganz von der Hand zu weisen, aber nach einigem juristischen Hin und Her hat man sich schließlich geeinigt.

Ein Hotel, das sich mehr an der traditionellen chinesischen Architektur orientiert, hätte mir vermutlich besser gefallen. Vor allem war ein großer Garten im klassischen Stil geplant, mit einem riesigen See, um den sich Restaurants gruppieren. So ist es einfach ein Kasten mit den üblichen Restaurants und Geschäften. Ein Hingucker ist vor allem The Globe, eine riesige Kugel, deren Außenseite mit einem LED-Bildschirm bedeckt ist, auf dem – natürlich – vor allem Werbung läuft, manchmal aber auch interaktive Filme zu sehen sind.

Resort Worlds soll den nördlichen Teil des Strips attraktiver für Besucher machen, und das ist auch dringend notwendig, denn als wir am Abend dort eintrafen, war alles menschenleer. Dass man zuerst an einer riesigen Brachfläche vorbeilaufen muss, macht den ohnehin weiten Weg nicht gerade einladender, und so wundert es nicht, dass die ganze Action sich weiterhin auf die Mitte des Strips konzentriert. Als wir endlich die langgezogene Eingangshalle betraten, kamen wir uns in der leeren Weite ein bisschen verloren vor, auch in den diversen Restaurants sah man mehr Kellner als Gäste, und die Läden waren nahezu verwaist. Ein Besuchermagnet sieht anders aus, und als wir die Galerie im ersten Stock erkundeten, von der aus man die gesamte Halle überblicken kann, waren wir sogar die einzigen Menschen dort.

Auf dem Rückweg machten wir noch einen kurzen Abstecher ins Wynn, nur um uns ein bisschen abzukühlen, und auch hier war nicht sehr viel los, aber deutlich mehr als auf der anderen Straßenseite. Erst als wir das Venetian erreichten, tobte wieder das Nachtleben. Wir waren jedoch ziemlich müde und sind daher zurück ins Hotel gegangen.

Den Mittwoch wollten wir etwas gemütlicher angehen. Wir haben am Vormittag einen Spaziergang zum nahen Riesenrad unternommen und sind danach zur Outlet Mall gefahren. Da wir in L.A. kaum Zeit zum Shoppen hatten, weil wir die meiste Zeit krank waren, bot sich hier die Gelegenheit, noch ein paar Jeans und T-Shirts zu erstehen. Weil wir bereits im Süden der Stadt waren, dachten wir uns, wir sehen uns das South Point an, von dem man in letzter Zeit so viel gehört hat. Wir werden im September einige Tage dort verbringen, deshalb gehe ich jetzt nicht weiter darauf ein, aber wir haben dort ganz gut zu Mittag gegessen.

Am Abend sind wir noch einmal losgezogen, um den Strip in Richtung Süden zu erkunden. Das Caesars hat einige Renovierungen hinter sich, die Empfangshalle wurde beispielsweise neu gestaltet, hat sich insgesamt aber nicht sehr verändert. Wir sind einmal durch die Forum Shops geschlendert, um uns abzukühlen und einen Schaufensterbummel zu unternehmen. Das kurioseste Objekt unter all den Handtaschen, Kleidern und Schuhen war ein lebensgroßer Transformer, der gerade auf 10.500 Dollar reduziert war. Praktisch ein Schnäppchen, aber etwas schwierig zu transportieren, falls man ihn gleich mitnehmen will. Es sei denn, er verwandelt sich in ein Auto und fährt einem selbstständig hinterher.

Auch hier gibt es mehr LED-Bildschirme als früher, und die Statuen an den Brunnen, die früher wie Schlaganfallopfer aussahen, wirken kunstvoller und edler. Vom Caesars sind wir dann weiter zum Bellagio, dessen Wintergarten (conservatory and botanical gardens) immer einen Besuch wert ist. Das Sommerthema scheint wohl Der König der Löwen zu sein, wenn man den gekrönten Löwen mal als dezenten Hinweis verstehen möchte.

Vom ersten Stock des Bellagio aus hat man zudem einen wunderbaren Blick auf das Paris, und wir kamen gerade rechtzeitig, um die Wasserspiele zu sehen. Perfektes Timing, würde ich sagen. Auf dem Heimweg haben wir dann noch kurz einen Stopp in einem der Süßwarenläden eingelegt, die jüngst wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. Sweet Sin, It’s Sugar (you want it) oder I Love Sugar – hier gibt es alles, was ein Süßmaul begehrt: Cupcakes, Schokolade, Fudge oder Hunderte Sorten Weingummis und Zuckerperlen. Allein vom Anblick hatte ich das Gefühl, Diabetiker zu werden, daher haben wir nur ein paar Fotos geschossen und sind wieder gegangen.

Damit endete unser Aufenthalt auch schon, der nur eine kurze Zwischenstation auf dem Weg in die Wüste war. In den anderthalb Tagen haben wir lediglich ein knappes Drittel des Strips gesehen, waren nur in wenigen Hotels und nicht einmal in Downtown. Wer Las Vegas zum ersten Mal erkunden will, braucht also eine Menge Ausdauer, gutes Schuhwerk, und Oropax kann auch nicht schaden, denn der Geräuschpegel ist enorm. Vor allem sollte man Menschenmassen mögen. Für mich ist das auf Dauer nichts, daher freue ich mich richtig auf die Stille der Wüste in den kommenden Tagen.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Mark G. & Pi Jay in La-La-Land 2022 und verschlagwortet mit von Pi Jay. Permanenter Link zum Eintrag.

Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.