Am Montag hing die Trauerfahne wieder draußen. Wer mit diesem Ausdruck nichts anfangen kann: Es ist eine Umschreibung für die wenig schmeichelhafte Tatsache, dass sowohl Mark G. als auch ich selbst wieder ein Jahr älter geworden sind. Tja, das passiert den besten unter uns.
Wir verbrachten den Tag damit, unseren Mietwagen nicht umzutauschen (es war vorgesehen gewesen, dass wir ihn gegen einen anderen – kleineren – Wagen einwechseln, aber am Ende waren die Mitarbeiter vor Ort entweder zu faul dafür oder sie wollten uns einen Gefallen tun, jedenfalls durften wir den SUV behalten, ohne dafür die höheren Kosten zu tragen). Anschließend fuhren wir mit einer Freundin zu Costco, um ein paar Dinge für unseren Roadtrip einzukaufen, vornehmlich Getränke und Snacks. Und Wäsche mussten wir auch noch waschen. Ich habe schon lange nicht mehr einen dermaßen glamourösen Geburtstag gefeiert.
Immerhin gab es sehr leckeres Essen: Bento Boxes von Tampopo, einem guten Japaner hier in der Nachbarschaft. Und später gab es sogar noch eine Torte, Tres Leches, die für amerikanische Verhältnisse nicht zu süß war. Alles in allem war es ein gemütlicher, wenig aufregender Tag. Das eigentliche Abenteuer beginnt ja auch erst.
Und es begann relativ früh am Morgen. Gegen neun Uhr, als die morgendliche Rushhour langsam verebbte, verabschiedeten wir uns von unseren Freunden und machten uns auf den Weg nach Osten. Wie immer dauerte es eine gefühlte Ewigkeit, bis das Häusermeer des Großraums L.A. hinter uns lag und wir langsam die majestätischen San Bernadino-Berge erklommen. Am Cajun Pass verließen wir diesmal den Highway, um uns eine pittoreske Felsformation anzusehen, die wir bislang immer nur aus der Ferne bewundert hatten.
Die Mormon Rocks sind in erster Linie ein Fotostopp, man kann zwar auch einem staubigen Pfad folgen, der an ihren Füßen entlangführt, aber viel mehr bekommt man dabei auch nicht zu sehen. Nachdem wir ein paar Fotos gemacht hatten, ging es wieder zurück – und wir gerieten prompt in einen Stau, verursacht durch eine Baustelle. Im Nachhinein haben wir nicht ganz verstanden, warum eine leicht geänderte Straßenführung gleich den gesamten Verkehr zum Erliegen bringen kann, aber was wäre die Welt ohne Rätsel? Ein langweiliger Ort.
Für einige Meilen blieben wir auf dem Highway nach Las Vegas, verließen ihn aber hinter dem stetig anwachsenden, inzwischen die Ausmaße einer Großstadt erreichenden Victorville und tauschten ihn gegen die staubige Route 66 ein. Diese führt bekanntermaßen von Santa Monica nach Chicago und ist für viele Touristen immer noch eine Sehnsuchtsdestination.
So ganz verständlich ist das auf diesem Teilstück jedoch nicht, entbehrt es doch weitgehend jeder Romantik. Am Straßenrand stehen verfallene und aufgegebene Häuser und Geschäfte, die Ruinen von Motels und einstigen Sehenswürdigkeiten. Aber wenn man genau hinschaut, entdeckt man noch einen Rest des alten Charmes.
Etwa in Oro Grande, einer Kleinstadt, die sich tapfer gegen Verfall und Untergang stemmt. Die Einwohner haben sich Mühe gegeben, ihre Geschäfte mit Wandmalereien und einfallsreicher Dekoration aufzuhübschen, und der vorbeiziehende Tourist sieht es mit Wohlgefallen. Nur das nahe Zementwerk wirkt etwas abträglich.
Vergangene Woche hat es in der Wüste Starkregen und Überschwemmungen gegeben, und die Auswirkungen davon sind immer noch sichtbar. In Las Vegas standen sogar einige Hotels unter Wasser oder konnten zumindest mit überraschenden Indoor-Wasserfällen aufwarten, vor Primm Valley ist sogar ein relativ großer See entstanden, und selbst entlang der Route 66 waren immer wieder einige Strecken voller angespültem Sand. Und wieder haben wir etwas gelernt: Juli und August und sogar noch teilweise der September gehören hier zur flooding oder Monsoon season. Überraschend, wenn man bedenkt, dass dies Wüste ist.
Von Oro Grande aus ging es weiter die Route 66 entlang bis zu Elmer’s Bottle Tree Ranch. Elmer selbst ist leider 2019 verstorben, sein Lebenswerk besteht jedoch weiter und ist zu einer kleinen Touristenattraktion geworden. Im Grunde handelt es sich dabei um rund 200 Metallstangen, die im Boden stecken und von denen Streben wie Äste abgehen, auf die der fleißige Elmar Flaschen gesteckt hat. Mich hat das Projekt an die Watts Towers in L.A. erinnert, die ebenfalls das kreative Werk eines künstlerisch begabten Sonderlings sind. Ein nettes Fotomotiv ist es allemal.
In diese Kategorie gehört auch das Eisenbahnmuseum in Barstow, das unsere nächste Station war. Wer hat als Kind nicht mal davon geträumt, Lokomotivführer zu werden? Hier kann man diverse Loks und Züge aus verschiedenen Epochen bewundern und diesen Kindheitsträumen nachhängen. Von dort aus war es zum Glück nur noch ein Katzensprung bis zu Peggy Sue’s 50’s Diner in Yermo. Selbst wenn man auf direktem Weg von Los Angeles nach Las Vegas fährt, sollte man hier einen Zwischenstopp einlegen.
Peggy Sue’s 50’s Diner ist eine Institution, ein liebevoll mit Kitsch und Filmmemorabilien vollgestopftes Lokal, in dem man saftige Burger – unser Favorit wird wohl immer der Buddy Holly Bacon Burger bleiben – und cremig-sahnige Milkshakes bekommt. Die Pommes Frites sind so gelockt wie die Haare von Dorothy aus Der Zauberer von Oz, an dem wohl Peggy Sues Herz hing, denn eine gelbe Ziegelsteinstraße führt den Besucher vom Eingang, an dem einem Elvis die Zukunft vorhersagt, tiefer hinein in diese Oase der Gastlichkeit. Die Kellnerinnen tragen mintgrüne Kittelschürzen, und im Garten tummeln sich Enten, Schildkröten und Dinosaurier. Es ist schön, dass sich manche Dinge nicht ändern, Peggy Sue’s 50’s Diner gehört dazu.
Erfrischt und gestärkt ging es weiter nach Las Vegas, das irgendwie nicht näher zu rücken schien. Um uns die Beine zu vertreten, haben wir noch einmal Rast in Baker gemacht, das größte Thermometer der Welt besichtigt und kurz überlegt, ob wir Alien Beef Jerky probieren sollten. Ich bin mir nicht sicher, ob sie einem weismachen wollen, dass das Fleisch von Aliens stammt, oder vielmehr, dass es von ihnen hergestellt wird. Beides klingt nicht wirklich verlockend, und da ich noch nie ein Fan von Trockenfleisch war, habe ich dankend darauf verzichtet. Aber man muss das konsequente Marketing der Betreiber definitiv bewundern. Am späten Nachmittag erreichten wir dann endlich Las Vegas. Aber das ist eine andere Geschichte und wird ein anderes Mal erzählt werden.