Stretch

Manchmal kann man sich nur wundern. In der Regel bin ich ganz gut informiert, wenn es um Filme geht, die im Kino starten, und selbst wenn es um Filme geht, die in letzter Minute doch nicht auf der großen Leinwand, sondern direkt auf DVD oder auf einem Streamingdienst vermarktet werden, hat man oft wenigstens von ihnen gehört oder sogar einen Trailer gesehen. Und doch gibt es Produktionen, die unter dem Radar fliegen.

Bei vielen kleinen Filmen, noch dazu Independent-Produktionen, ist das nicht weiter verwunderlich, aber in diesem Fall stammt das Werk von Blumhouse, ist mit Patrick Wilson, Jessica Alba und Chris Pine hochkarätig besetzt und kann Cameos von Ray Liotta, Norman Reedus und – naja, okay … – David Hasselhoff aufwarten. Der Trailer verspricht zudem eine schräge Geschichte, so als hätten sich Barry Sonnenfeld und Guy Ritchie vor zwanzig Jahren nach einer durchzechten Nacht hingesetzt und das Drehbuch geschrieben. Verständlich, dass der Titel auf meiner Watchlist landete …

Stretch

Kevin (Patrick Wilson) kam nach L.A., um Schauspieler zu werden, konnte in der Branche aber nie Fuß fassen und wurde schließlich drogen- und spielsüchtig. Doch dann verliebte er sich in Candace (Brooklyn Decker), heiratete sie und begann, ein solides Leben als Limousinenfahrer zu führen – bis sie ihm den Laufpass gab. Nun hat „Stretch“ noch sechstausend Dollar Spielschulden, die er plötzlich bis Mitternacht zurückzahlen soll, und muss zudem um seinen Job fürchten, weil die Konkurrenz immer gnadenloser wird. Als er die Chance erhält, den exzentrischen Milliardär Roger Karos (Chris Pine) zu fahren, der für seine exorbitanten Trinkgelder berühmt ist, schlägt er sofort zu. Doch Karos ist völlig verrückt und verstrickt Stretch in das Abenteuer seines Lebens …

Der Film beginnt schon reichlich gaga mit einem Unfall, bei dem Stretch durch das Fenster seines Wagens geschleudert wird, aber unverletzt bleibt und sich in Candace, die Unfallverursacherin, verliebt. Als Zuschauer weiß man bereits: Das kann nicht gutgehen. Und das gilt sowohl für die Liaison als auch für den Film.

Es gibt Geschichte, die sind schräg und liebenswert, haben Figuren, die man rasch ins Herz schließt und denen man gerne folgt, auch wenn die Ereignisse Kapriolen schlagen, und dann gibt es Filme, die sind einfach nur … merkwürdig. In diesem Fall ist es weniger die irre, zum Scheitern verurteilte Romanze, sondern vielmehr die Art und Weise, wie sie erzählt wird. Denn Patrick Wilson kommentiert den gesamten Anfang und auch danach noch weite Strecken des Films im Off lauter Dinge, die man ohnehin gerade sieht. Das nervt.

Obwohl Stretch keine unsympathische Figur ist und Patrick Wilson großartig agiert und in jeder Sekunde mit Verve gegen sein doch eher behäbig-langweiliges Image anspielt, wird man mit ihm nicht so richtig warm. Es dauert sehr lange, fast bis zum Ende des Films, bis man ihn mag, und selbst dann bemitleidet man ihn vor allem, weil ihm wirklich von allen Beteiligten übel mitgespielt wird.

Regisseur und Drehbuchautor Joe Carnahan hat mal wieder einen Beinahe-Film abgeliefert. So wie The Grey – Unter Wölfen oder Smokin’ Aces ist es ein Film, der beinahe gut ist, dann aber an seinen eigenen Ansprüchen scheitert. In diesem Fall an seiner überambitionierten Story, die Actiondrama, Gangsterfilm, Liebeskomödie und Hollywood-Satire auf einmal sein möchte und sich dann doch konsequent zwischen alle Stühle setzt.

Dabei gibt es eine Menge gute Idee und witzige Einfälle: Karos’ Auftritt, der praktisch nackt vom Himmel fällt und gegenüber Stretch die obskursten Wünsche äußert. Oder die selbstironischen Cameos von Liotta und Hasselhoff. Aber es sind zu wenige gelungene Momente und zu viele peinliche oder überflüssige. Wie zum Beispiel die Anwesenheit von Karl (Ed Helms), einem toten Kollegen von Stretch, den dieser zu einer Art unsichtbarem Freund gemacht hat und der immer wieder das Geschehen kommentiert. Und zwei Kommentatoren hat diese Geschichte nun wirklich nicht gebraucht.

Die gute Nachricht ist: Es wird in der zweiten Hälfte besser. Der Film schafft es gegen Ende sogar, noch die Kurve zu kriegen und einen Schluss zusammenzuzimmern, der befriedigend ist und sogar an den wilden Anfang anknüpft.

Wer Geschichten mag, die schräg und wild sind, wer ein Fan von Patrick Wilson oder Chris Pine ist oder einfach nur L.A. mag, kommt bei Stretch durchaus auf seine Kosten. Und mit einem Glas Wein werden die Gags vielleicht auch besser …

Note: 4

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.