Die Abenteurerin

Ich liebe alte Filme, und damit meine ich nicht die Herr der Ringe-Trilogie, die für Zwanzigjährige bereits als steinalt gilt, sondern Filme aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Früher, als es höchstens eine Handvoll Fernsehprogramme gab (wenn man zu den Glücklichen zählte, alle anderen hatten nur drei) und Streaming allenfalls etwas mit Wasser oder Strom zu tun hatte, wurden sie ständig gezeigt, heute stehen die meisten davon – und damit ein Großteil der Filmgeschichte – nicht mehr zur Verfügung. Ein wenig Hoffnung habe ich, dass die Studios eines Tages ihre Archive öffnen und diese Produktionen in ihre hauseigenen Streamingdienste übernehmen, aber das wird noch dauern und ist ungewiss.

Meine Begeisterung für diese Filme hat mehrere Gründe. Zum einen habe ich sie häufig als Kind gesehen und bin quasi mit ihnen aufgewachsen, zum anderen stammen sie aus einer Zeit, als Filme nach anderen Regeln gemacht wurden. Heutzutage orientieren sich die Schreiber in Hollywood vor allem an dem Standardwerk Save the Cat von Blake Snyder, was viele Großproduktionen wie normiert erscheinen lässt. Kennt man das Schema, kann man die Uhr danach stellen, was wann passiert. Die alten Filme sind jedoch anders, orientieren sich teilweise an der Theaterdramaturgie, haben fünf oder sogar sieben Akte oder gehen eigene Wege. Sie sind überraschend, erfrischend anders und vielerlei Hinsicht mutiger.

Und oft sind sie sehr kurz. Heutige Filme haben meistens eine Laufzeit von über zwei Stunden, während damals eher neunzig Minuten die Regel waren. Das gilt auch für den heutigen Beitrag, der sogar noch kürzer ist. Der Film lief kürzlich auf Kabel 1 Classics im Rahmen einer kleinen Marlene-Dietrich-Reihe.

Die Abenteurerin

Ein Brautkleid treibt in den Fluten des Mississippis, ein Bräutigam wartet vergeblich in der Kirche auf seine Braut, und das New Orleans des Jahres 1841 ist um einen Skandal und ein Geheimnis reicher: In einer Rückblende wird die rätselhafte Geschichte der Braut enthüllt, der Gräfin Claire Ledoux (Marlene Dietrich), die kürzlich aus Paris in die Südstaaten gereist ist und in der Gesellschaft mit ihrer Schönheit und Extravaganz für Furore sorgt. Schon bald wird (dem Zuschauer) jedoch klar, dass sie eine Hochstablerin ist, die sich einen reichen Ehemann angeln will. Ihr Wahl fällt auf den langweilige Bankier Giraud (Roland Young), doch ihr Herz schlägt heimlich für den draufgängerischen Dampferkapitän Robert Latour (Bruce Cabot).

Die Produktion ist der erste Film des französischen Regisseurs René Clair, der 1940 nach Hollywood emigriert war. Die Dreharbeiten fanden ein Jahr später statt und waren teilweise wohl turbulent, weil die Dietrich mehrfach mit dem Ausstieg drohte. Der Grund war Bruce Cabot, den sie für einen lausigen Schauspieler hielt und mit dem sie eine Fehde austrug. Hinzu kam, dass Clair kaum Englisch sprach, sich am Set nicht verständigen konnte und von seiner Crew deshalb verabscheut wurde.

Man spürt diese Differenzen sofort. Tatsächlich spielt Cabot wie ein billiger Clark Gable-Verschnitt, ohne dessen Charme oder Leinwandpräsenz zu besitzen, und es gibt auch keinerlei Chemie zwischen ihm und seiner Partnerin. Marlene Dietrich wiederum ist für eine solche Komödienrolle einfach nicht geeignet und wirkt vielfach hölzern. Hinzu kommt ein Skript, das so lieb- und einfallslos gestrickt wirkt, dass man sich wundert, warum es überhaupt für eine solche Prestige-Produktion ausgewählt wurde. Immerhin gelingen Clair einige gute Szenen, in denen er nur mit Blicken und Gesten das Höchstmaß an Comedy herausholt und zeigt, was der Film mit einem besseren Drehbuch und anderen Schauspielern hätte werden können.

Das Eingangsbild macht den Zuschauer noch neugierig, ist jedoch auch begleitet von einem etwas zu sensationsheischenden Off-Kommentar, der eine spannende und geheimnisvolle Geschichte ankündigt. Aus heutiger Sicht (vermutlich auch schon aus damaliger) wirkt das unbeholfen und weckt zudem Erwartungen, die der Film leider nicht erfüllen kann. Abgesehen davon, dass die weiteren Entwicklungen arg vorhersehbar sind, wandelt sich der Film in der zweiten Hälfte in eine alberne und unglaubwürdige Verwechslungskomödie, als Claire sich eine zweite Identität zulegt, um Girauds Misstrauen zu zerstreuen. Diese Charade ist jedoch so schlecht gemacht, dass sie selbst ein gutgläubiger Bankier des 19. Jahrhunderts durchschaut hätte.

Ärgerlich ist vor allem die deutsche Synchronisation, die alle Schwarzen in einem so gebrochenen Deutsch reden lässt, dass man dies als rassistisch begreifen kann (möglicherweise ist dies im Original ebenso, das kann ich nicht beurteilen, da es keinen OV-Ton gab), und aus der Gräfin eine Herzogin macht. Immerhin die Bildqualität ist exzellent.

Alles in allem ist der Film leider nur für Liebhaber „alter Schinken“ wie mich und hartgesottene Marlene-Dietrich-Fans interessant.

Note: 4+

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Pi Jays Corner und verschlagwortet mit von Pi Jay. Permanenter Link zum Eintrag.

Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.