Es gibt immer noch jede Menge Klassiker der Filmgeschichte, die ich bislang nicht gesehen habe, und darüber hinaus viele weniger bekannte Titel, die es zu entdecken gilt. Bunny Lake ist verschwunden ist einer davon. Der Titel kam mir vage bekannt vor, als ich bei Sky darauf stieß, sagte mir ansonsten jedoch nichts, aber da Otto Preminger Regie geführt hat, war ich neugierig auf den Stoff …
Bunny Lake ist verschwunden
Ann (Carol Lynley) ist vor wenigen Tagen mit ihrer Tochter Bunny zu ihrem Bruder Stephen (Keir Dullea) nach London gezogen, wo er als Korrespondent für eine amerikanische Zeitung arbeitet. Am Tag ihres Umzugs in ihre endgültige Wohnung hat Ann ihre Tochter in den Kindergarten gebracht, konnte dort aber mit keiner Erzieherin sprechen. Stattdessen bittet sie die Köchin (Lucie Mannheim), ein Auge auf Bunny zu haben. Als sie ihr Kind Stunden später abholen will, ist es verschwunden, und die Köchin hat gekündigt. Stephen schaltet die Polizei ein. Inspector Newhouse (Lawrence Olivier) nimmt sich des Falls an und stößt bald auf ein Rätsel: Niemand im Kindergarten hat Bunny zu Gesicht bekommen, und auch die Sachen des Mädchens sind spurlos aus der Wohnung verschwunden. Existiert das Kind nur in der Fantasie seiner Mutter oder ist es einem Verbrechen zum Opfer gefallen?
Die Geschichte erinnert heutige Zuschauer vor allem an Hitchcocks Klassiker Eine Dame verschwindet von 1938 (eines meiner liebsten Werke von ihm) oder auch den Thriller Flightplan – Ohne jede Spur mit Jodie Foster, der freilich erst Jahrzehnte später entstanden ist. Der Film basiert auf einem Roman aus der Feder von Evelyn Piper und heißt auf Deutsch Wer weiß etwas von Bunny Lake. Preminger hat schon früh die Rechte an dem Werk erworben, fand aber lange keinen Zugang zu dem Stoff, weshalb die Adaption etliche Jahre gedauert hat.
Auffällig sind vor allem die für die damalige Zeit relativ langen Kameraeinstellungen und -fahrten, für die Preminger berühmt ist und die gerade am Anfang den Zuschauer geschickt an die Hand nehmen. Obwohl man Bunny nicht sieht, sondern Ann erst kennenlernt, nachdem sie das Mädchen gerade in einem Spielzimmer untergebracht hat, nimmt man unwillkürlich die Position der Mutter ein. Das liegt vor allem daran, dass Ann nahezu in jeder Szene im Mittelpunkt steht und die Geschichte weitgehend aus ihrer Sicht erzählt wird. Zweifel kommen erst später auf, wenn Stephen dem Inspector erzählt, dass Ann eine imaginäre Freundin namens Bunny hatte.
Bis zu diesem Zeitpunkt funktioniert die Story einwandfrei. Es gibt einige Rätsel, über die man nachdenken kann, und mit dem dubiosen, übergriffigen Vermieter (Noël Coward) hat man auch einen Verdächtigen an der Hand. Doch kurz darauf kommt die Handlung nahezu zum Erliegen, es gibt keine Hinweise und keine weiteren Verdächtigen mehr, bis am Ende des zweiten Akts das Rätsel völlig unspektakulär gelöst wird.
Für die damalige Zeit war es vielleicht ein überraschender Twist, doch inzwischen hat man derlei so häufig und vor allem viel besser gesehen, dass man als heutiger Zuschauer enttäuscht ist. Hinzu kommen ein paar denkbar schlechte schauspielerische Leistungen in einigen Szenen und eine Auflösung, die nur wenig überzeugend ist. Positiv zu vermerken ist jedoch, dass es der Heldin gelingt, sich auf eigene Faust zu retten und dabei eine Menge Einfallsreichtum an den Tag legt.
Alles in allem ein durchwachsener, wenig überzeugender Krimi, der allenfalls filmhistorisch bemerkenswert ist.
Note: 4+