Elvis

Man sollte nie den Einfluss eines guten Trailers unterschätzen. Gute Trailer sind nicht zu lang, verraten nicht zu viel, regen aber die Neugier an und wecken Erwartungen, die der spätere Film – hoffentlich – auch erfüllt. Aber selbst gute Trailer können dafür sorgen, dass man keine Lust auf den Film hat, wenn man sie zu häufig gesehen hat.

Der Trailer zu Elvis lief gefühlt vor jeder einzelnen Vorstellung, die ich in den vergangenen Monaten besucht habe, und zuerst hat er mir nicht einmal besonders gefallen. Das lag in erster Linie an Austin Butler, der für mich nicht wie Elvis aussah, aber dann haben wir in einer Tradeshow eine Szene des Films gesehen, und von da an war ich gespannt. Und des Trailers immer noch herzlich überdrüssig. Dennoch bin ich gleich am Starttag ins Kino gegangen.

Elvis

Colonel Tom Parker (Tom Hanks) wird 1997 in ein Krankenhaus eingewiesen und muss sich mit seiner eigenen Sterblichkeit, aber auch mit dem Tod seines Schützlings vor zwanzig Jahren auseinandersetzen, für den ihn viele immer noch verantwortlich machen. Als Parker Elvis Mitte der Fünfzigerjahre kennenlernt, ist dieser ein aufstrebender Musiker, der gerade einen regional extrem erfolgreichen Titel aufgenommen und damit das Rockabilly-Genre begründet hat, eine Mischung aus der eher „schwarzen“ Musik, mit der Elvis in den Armenvierteln von Memphis aufgewachsen war, und der von weißen Musikern dominierten Country-Music. Parker erkennt bei einem Live-Auftritt vor allem aber das Bühnenpotential von Elvis und seine erotische Ausstrahlung auf die weiblichen Fans. Der Manager von verschiedenen Country-Größen nimmt ihn deshalb unter seine Fittiche und macht ihn zum internationalen Star, doch der Preis dafür ist hoch.

Elvis ist – wie Marilyn Monroe oder James Dean – eine Ikone des Nachkriegsamerikas, die für eine damals völlig neue Art von Popkultur steht. Es ist in erster Linie eine Jugendkultur, wie es sie zuvor nicht gegeben hat und die heute dominanter ist als zuvor. Ein musikalisches Ausnahmetalent, ein begnadeter Entertainer und der erfolgreichste Solo-Künstler der Musikgeschichte, der noch dazu viel zu früh starb, ist Elvis Presleys Leben wie gemacht für die große Leinwand.

Und genau dort muss man diesen Film auch gesehen haben. Baz Luhrmann gibt uns mit Colonel Parker einen wenig sympathischen, vermutlich auch unzuverlässigen Erzähler an die Hand, der uns dann in den Kaninchenbau von Elvis Presleys Leben führt. Wir tauchen ein in die schwüle Hitze der Südstaaten, sehen einen kleinen Jungen, der davon träumt, ein Comic-Superheld zu sein, und sowohl von Rhythm & Blues als auch von den Gospeln der Schwarzen sowie ihrer Kultur beeinflusst wird.

In einer bemerkenswerten Szene, einer unter vielen, folgt Parker Elvis in ein Spiegelkabinett, um ihn wie eine Spinne in sein Netz zu locken, und ein wenig fühlt man sich als Zuschauer ebenso verloren in der fulminanten ersten halben Stunde des Films. Luhrmann legt ein atemberaubendes Tempo vor, keine Einstellung dauert länger als fünf Sekunden und wenn, ist die Kamera garantiert in Bewegung. Alles ist bunt, laut und überbordend. Er greift damit auf faszinierende Weise den fiebrigen Sound und die einnehmende Performance von Elvis auf, die ebenfalls ein Generalangriff auf die Sinne sind und setzt sie kongenial in Filmsprache um. Der Film ist atemberaubend.

Allerdings auch mit der Zeit anstrengend. Bei einer Laufzeit von knapp zweidreiviertel Stunden geht dem Zuschauer irgendwann die Puste aus, dem Regisseur jedoch nicht. Natürlich gibt es in der zweiten Hälfte die eine oder andere kleine Länge, aber diese sind allein der Story geschuldet nicht der Inszenierung.

Die Drehbuchautoren – Luhrmann selbst und Sam Bromell, Craig Pearce sowie Jeremy Doner – übernehmen sich leider an dieser prallen, einzigartigen und komplexen Geschichte. Neuere Bio-Pics konzentrieren sich vornehmlich auf einzelne Aspekte einer Persönlichkeit oder auf einen Teil ihres Lebens, der besonders prägend war, doch Luhrmann will das volle Programm. Er streift die Kindheit, geht ausführlich auf die Karriereanfänge ein, stellt dabei vor allem Elvis’ Einfluss auf die amerikanische Kultur und seine Herausforderung der rassistischen Südstaatenpolitik heraus, spart aber auch alle weiteren Stationen seines Lebens nicht aus. Das ist ein bisschen zu viel.

Zwangsläufig bleibt das Porträt seiner beiden Hauptfiguren dabei auf der Strecke. Insgesamt kommt man weder dem privaten Elvis noch dem Colonel besonders nahe. Bei Elvis fällt das nicht so sehr ins Gewicht, weil Austin Butler ihn so leidenschaftlich und intensiv verkörpert, dass er mindestens eine Oscarnominierung dafür verdient hat. Auch die Maske, mit der er in den älteren Elvis verwandelt wird, ist überaus gelungen. Was man alles über Tom Hanks nicht sagen kann. Seine Darstellung des dubiosen Managers ist eindimensional und uninspiriert, und sogar seine Maske wirkt wie aus einem anderen Film. Aus diesem faustischen Pakt hätte man insgesamt viel mehr herausholen können.

Elvis ist wie ein Rausch, ein musikalischer Trip in das Oeuvre eines begnadeten Künstlers, das immer wieder überrascht, eine wilde Achterbahnfahrt durch drei Jahrzehnte Pop- und Zeitgeschichte und eine ernsthafte Verneigung vor einer amerikanischen Ikone. Grandioses Kino.

Note: 2

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.