Kürzlich ist Clint Eastwood 92 Jahre alt geworden, und das wäre ein schöner Anlass gewesen, diesen Beitrag zu veröffentlichen – wenn ich bis dahin schon The Mule gesehen hätte. Der Hauptgrund, sich mit dem Film zu beschäftigen, war jedoch nicht Eastwoods Ehrentag, sondern die Tatsache, dass er nur noch kurze Zeit bei Prime Video zu sehen war. Im Nachhinein habe ich jedoch festgestellt, dass The Mule außerdem auch bei Netflix gestreamt wird.
The Mule
Earl (Clint Eastwood) ist Ende achtzig und steht vor den Trümmern seines Lebens: Sein einst florierender Handel mit Taglilienzwiebeln ist eingebrochen, weil er es versäumt hat, eine Webseite einzurichten und sein Geschäft auf den Onlinehandel auszurichten. Nun ist er pleite, sein Haus soll von der Bank versteigert werden, und seine Familie ist nicht gut auf ihn zu sprechen. Seine Ex-Frau Mary (Dianne Wiest) ist es leid, seine Versäumnisse zu entschuldigen, seine Tochter (Alison Eastwood) redet nicht mehr mit ihm, seit er ihre Hochzeit vor 12 Jahren verpasst hat, und als seine Enkelin (Taissa Farmiga) nun heiraten will, ist Earl nicht willkommen. Als er enttäuscht gehen will, wendet sich ein Bekannter seiner Enkelin mit einem Angebot an ihn: Wenn Earl für ein paar „mexikanische Freunde“ ein Paket transportiert, bekommt er dafür ein hübsches Sümmchen …
Die Geschichte basiert auf dem wahren Fall eines neunzigjährigen Drogenkuriers, der 2011 mit Kokain im Wert von drei Millionen Dollar an der amerikanisch-mexikanischen Grenze erwischt wurde. Inwieweit sich Drehbuchautor Nick Schenk an seiner Biografie orientiert hat, lässt sich nicht genau sagen, und auch der Film geht mit keiner Silbe auf den realen Schmuggler ein, dabei wäre es schön gewesen, am Ende zu erfahren, was mit ihm geschehen ist.
Immerhin weiß man, dass beide Veteranen sind. Ansonsten ist Earl eine klassische Eastwood-Figur: ein alter, sturer Mann mit Prinzipien. Er verkörpert eine Generation, die geradeheraus ist, zu ihrem Wort steht, hilfsbereit gegenüber Fremden in Not ist, sich ansonsten aber nur um ihre eigenen Belange kümmert und jede Einmischung zurückweist. Von den Banken oder dem Staat scheint Earl nicht viel zu halten, von den Errungenschaften unserer Zeit wie Handys, Computern und ähnlichen Dingen auch nicht. Als er einer schwarzen Familie bei einer Wagenpanne hilft, nennt er sie „Neger“, weil er sich nie für die Umwälzungen in der Gesellschaft interessiert hat. Earl ist kein Rassist, er ist einfach nur verdammt altmodisch und wirkt damit aus der Zeit gefallen.
Im Alter erkennt Earl jedoch auch die vielen Versäumnisse seines Lebens, die er nun nicht mehr gutmachen kann. Vor allem, dass er seine Familie vernachlässigt hat, dass er, wie in der Eröffnungssequenz geschildert, lieber zu einer Pflanzenmesse als zur Hochzeit seiner Tochter gefahren ist, nagt an ihm. Bei seiner Enkelin will er es besser machen, aber dafür und um sein Haus zu retten braucht er Geld.
Anfangs will Earl gar nicht wissen, was in der Tasche ist, die er transportieren soll, schließlich soll es nur eine einmalige Aktion sein, aber mit dem Geld kommen die Wünsche, ein neuer Truck, die Sanierung seines Lieblingsrestaurants, und damit wächst die Versuchung. Interessanterweise stellt Earl nie in Frage, was er tut, denkt er nie über die Konsequenzen seiner Tat nach oder dass er sich damit in Gefahr begibt. Für den pragmatischen Earl ist es nur ein Mittel zum Zweck.
Wirklich sympathisch ist er nicht, aber man mag den knurrigen, alten Mann dennoch – weil er so herrlich altmodisch ist, aber auch raffiniert. Als die Polizei einmal seinen mexikanischen Aufpasser drangsaliert und ein Blutbad droht, nutzt Earl sein Alter und seine Hautfarbe aus, um den Streit zu deeskalieren – indem er den Beamten mit karamellisiertem Popcorn besticht. Eine skurrile, amüsante Episode, die typisch ist für Earls Umgang mit der Welt.
Auch der joviale Kartellchef Laton (Andy Garcia) ist vom alten Schlag und versteht sich auf Anhieb mit Earl, doch dann übernimmt eine jüngere Generation das Ruder, und die zieht andere Saiten auf. Eastwood thematisiert hier beiläufig auch den Wandel in der Politik der Kartelle, die im Laufe der Jahre immer brutaler geworden ist. Für einen Mann wie Earl, der die Dinge immer auf seine eigene Art erledigt hat, anstatt dumpf Befehle zu befolgen, kann das nicht gut ausgehen.
Parallel zu Earls Karriere als Drogenkurier werden die Ermittlungen der Beamten der Drogenfahndung geschildert, die über einen Spitzel von diesem talentierten „Muli“ erfahren haben und ihn zur Strecke bringen wollen. Die von Lawrence Fishburne, Bradley Cooper und Michael Peña verkörperten DEA-Fahnder lassen nichts unversucht, Earl zu fassen, scheitern aber immer wieder, nicht zuletzt deshalb, weil sie einen alten Mann wie ihn für harmlos halten.
Alles in allem ist The Mule ein Film wie Earl (oder Eastwood): geradeheraus ohne Extravaganzen, ein bisschen altmodisch und langsam, aber mit dem Herz auf dem rechten Fleck.
Note: 3