Als der Film Anfang des Jahres in die Kinos kam, war ich zu beschäftigt, um ihn gleich zum Start anzuschauen, und als nach vier Wochen klar war, dass er ohnehin in vierzehn Tagen bei Disney+ erscheinen würde, habe ich bewusst darauf verzichtet. Das beweist einmal mehr, dass bei Mittelware – und nach den Kritiken war davon auszugehen, dass er nicht mehr sein dürfte – ein verkürztes Fenster zum Nachteil der Kinos wird. Wäre der Film erst in einem Jahr „frei“ (natürlich braucht man immer noch ein Abo) verfügbar gewesen, hätte ich ihn mir sicher auf der großen Leinwand angeschaut.
Ein weiterer Grund, warum ich einen Kinobesuch immer wieder aufgeschoben hatte, war der schwache zweite Teil des Franchises. Deshalb war ich gespannt, ob das Prequel an den fulminanten und aberwitzigen ersten Teil Kingsman: The Secret Service heranreichen kann.
The King’s Man – The Beginning
Als der Herzog von Oxford (Ralph Fiennes) seine Frau (Alexandra Maria Lara) im Burenkrieg verliert, als sie humanitäre Hilfe leisten wollen, muss er der Sterbenden versprechen, ihren Sohn vor einem Krieg zu bewahren. Zwölf Jahre später bricht der Erste Weltkrieg aus, und Conrad (Harris Dickinson) will unbedingt an die Front, doch sein Vater verwehrt ihm diesen Wunsch. Stattdessen macht er ihn bekannt mit dem privaten Geheimdienst, der er zusammen mit der ehemaligen Nanny Polly (Gemma Arterton) und seinem Diener Shola (Djimon Hounsou) gegründet hat. Als sich Russland aus dem Krieg zurückziehen will, müssen sie alles versuchen, den Verbündeten bei der Stange zu halten und gleichzeitig die Amerikaner zum Beistand zu bewegen, doch im Hintergrund lauert eine mächtige, internationale Organisation, die genau das Gegenteil will …
Ob es sich um die Corona-Pandemie oder den Ukrainekrieg handelt, je komplexer und komplizierter ein Ereignis erscheint, desto bereitwilliger sind die Menschen zu glauben, dass mehr hinter dem Auslöser steckt als eine Reihe scheinbar unbedeutender Ereignisse oder eine Verkettung von Zufällen. Das ist die Geburtsstunde von Verschwörungstheorien. The King’s Man – The Beginning erzählt die Geschichte des Ersten Weltkriegs als genau das: eine weitreichende, Länder und Kontinente umspannende Verschwörung mit dem Ziel, Großbritannien zu vernichten. Und natürlich steckt ein Schotte dahinter (wenngleich es genauso gut auch ein Ire hätte sein können).
Zu den Verschwörern gehören der Hellseher Jan Erik Hanussen (Daniel Brühl), der hier als Berater des deutschen Kaisers (Tom Hollander) fungiert, die Spionin Mata Hari (Valerie Pachner), Lenin (August Diehl) und Rasputin (Rhys Ifans). Sie alle arbeiten als Handlanger eines geheimnisvollen „Hirten“, dessen Identität erst am Ende enthüllt wird. Man fragt sich nur, warum sie das tun, schließlich sind ihre eigenen Interessen vollkommen andere. Aber darauf gibt das Buch leider keine Antwort.
Vermutlich hat es damit zu tun, dass die Geschichte des Ersten Weltkriegs in tausend Stücke zerschlagen wird wie eine chinesische Vase, und man sie so zusammengesetzt hat, wie sie ungefähr aussehen könnte. Am Ende ist ein Irgendwie-Film dabei herausgekommen: Er ist irgendwie eine Komödie, vor allem der Teil, der in Russland spielt, irgendwie eine Coming-of-Age-Story, in der ein junger Mann (Conrad) versucht, sich selbst zu beweisen und seinen Platz in der Welt zu finden, irgendwie auch das Drama eines Pazifisten (Fiennes), der – und da ist die Geschichte unfreiwillig aktuell – erkennen muss, dass Gewaltlosigkeit im Angesicht von Tyrannen keine Lösung darstellt, und schlussendlich irgendwie auch ein Drama, ein Abenteuer-, Spionage- und Kriegsfilm. Damit setzt er sich natürlich konsequent zwischen alle Stühle und findet sich dabei kolossal originell.
Regisseur Matthew Vaugh, der zusammen mit Karl Gajdusek das Drehbuch schrieb, weiß im Grunde nicht, welche Geschichte er erzählen soll. Im Kern soll es eine Origin-Story sein, in der die Geburt des privaten Geheimdienstes, dessen Untergang wir im zweiten Teil erlebt haben, behandelt werden soll. Geschickt stellt er dem reichen, weißen Mann eine clevere Frau und einen Farbigen an die Seite, wohl wissend, dass eine solche Konstellation damals unmöglich gewesen wäre, da Frauen nicht einmal wählen durften. Aber auch sonst wird gerne grob verallgemeinert, so dass aus dem Ersten Weltkrieg eine familiäre Kabbelei zwischen drei Cousins wird (alle von Tom Hollander gespielt), die sich bereits als Zehnjährige ums Spielzeug gebalgt haben. Das ist so grotesk, dass die lächerliche Verschwörung im Hintergrund gar nicht mehr so unangenehm auffällt.
Bis die Geschichte richtig beginnt, vergeht unglaublich viel Zeit, in der eine Menge erklärt wird, seien es die Gründe für den Krieg oder warum Conrad nicht kämpfen soll. Das ist stellenweise unterhaltsam, stellenweise ermüdend und leider, verglichen mit dem ersten Teil, praktisch gar nicht lustig. Amüsant sind nur die Erlebnisse in Russland, der Rest entwickelt sich, mit einigen Umwegen, zu einem Drama, dessen tragischer Kern hier nicht verraten werden soll. Aber auch das dauert und dauert.
Abgesehen von der Aufdeckung der Verschwörung gibt es keine durchgehende Geschichte, sondern nur einige Anekdoten, die hintereinander gereiht werden und qualitativ höchst unterschiedlicher Natur sind. Neben dem Kampf gegen Rasputin überzeugen leider nur noch die Eindrücke von der Westfront, der Rest, wozu man auch das Finale zählen muss, sind bestenfalls solider Durchschnitt.
Weltgeschichte als Fantasy-Nummernrevue, in den besten Momenten unterhaltsam, leider mit vielen Längen, aber einem eindrucksvollen Ensemble.
Note: 3-