Kommt ein Reisender ins Monument Valley, stößt er dort unweigerlich auf den Namen eines großen Hollywood-Regisseurs, denn die staubige Ebene mit den drei markanten Felsformationen wird auch John-Ford-Country genannt. Als Tourist kann man von seinem Lieblingsaussichtsplatz einen Blick auf die herrliche Landschaft werfen, und manchmal taucht sogar ein indianischer Ureinwohner auf einem Pferd auf.
Ich war zweimal im Monument Valley (2009 und 2016), womit ein bisschen ein Kindheitstraum in Erfüllung gegangen ist, denn früher dachte ich beim Anschauen eines Westerns immer, dass der gesamte amerikanische Westen so aussehen müsse. Tatsächlich ist es vor allem dieses Tal mit seinen drei Tafelbergen.
1939 gilt vielen als das beste Jahr der Filmgeschichte, in dem mehr legendäre Meisterwerke das Licht der Leinwand erblickt haben als in jedem anderen Jahr. Natürlich war es vor allem das Jahr von Vom Winde verweht, aber John Ford gelang mit einem Film das Revival eines ganzen Genres, verhalf John Wayne zum endgültigen Durchbruch in Hollywood und machte ein staubiges Tal zum mythisch überhöhten Symbol einer Ära.
Stagecoach ist beinahe so etwas wie die Mutter aller Western, bei weitem nicht der erste, aber ein Film, der in ästhetischer und erzählerischer Hinsicht viele Maßstäbe gesetzt hat. Bei uns kam der Film erst 1950 in die Kinos, unter dem Titel Höllenfahrt nach Santa Fé, was insofern irreführend ist, da die Geschichte nicht das Geringste mit der Stadt zu tun hat. 1963 erfolgte eine Wiederaufführung unter dem bekannteren Titel Ringo, doch auf Prime Video ist zurzeit eine nachträglich kolorierte, leider nicht restaurierte Fassung unter dem ersten deutschen Titel zu sehen. Da die Produktion immer wieder und meist nur kurze Zeit bei dem Streamingdienst auftaucht, habe ich sie mir endlich (wieder) angesehen.
Höllenfahrt nach Santa Fé
1880 sind die Apachen unter ihrem Anführer Geronimo auf dem Kriegspfad, als sich eine Postkutsche auf dem Weg von Tonto in Arizona nach Lordsburg in New Mexico macht. Neben dem Kutscher treten acht unterschiedliche Fahrgäste die gefährliche Reise an: Dr. Boone (Thomas Mitchell) ist ein trunksüchtiger Arzt, der wegen seiner Schulden die Stadt verlassen muss, und auch die Prostituierte Alice (Claire Trevor) wird von den lokalen Tugendwächterinnen gezwungen, ihre Koffer zu packen. Die hochschwangere Lucy Mallory (Louise Platt) fährt dagegen zu ihrem Mann, einem Kavallerie-Offizier. Ihr schließt sich der professioneller Spieler und Südstaaten-Gentleman Hatfield (John Carradine) an, der sie beschützen möchte. Der unscheinbare Alkohol-Vertreter Peacock (Donald Meek) wird vor allem von Dr. Boone zu der Reise gedrängt, der es auf die Whiskeyvorräte abgesehen ab. Im letzten Moment schließt sich noch der Bankier Gatewood (Berton Churchill) an, der mit unterschlagenen Lohngelder auf der Flucht ist. Neben einer Kavallerieeinheit ist noch Sheriff Wilcox (George Bancroft) zum Schutz dabei, der nach dem entflohenen Häftling Ringo (John Wayne) sucht, auf den die Kutsche zufällig einige Meilen hinter der Stadt trifft. Auch Ringo ist unterwegs nach Lordsburg, um sich an drei Brüdern zu rächen, die seinen Vater und seinen Bruder getötet und ihm ein Verbrechen untergeschoben haben.
Allein anhand dieser Auflistung sieht man, dass es sich hier um einen Ensemblefilm handelt. Kritiker nannten ihn damals auch „Menschen im Hotel auf Rädern“, in Anspielung auf den bekannten Filmklassiker. Dabei gibt es zwei zentrale Figuren: Ringo, den Außenseiter und vermeintlichen Straftäter, dessen Unschuld allerdings von Anfang an gemeinhin bekannt ist, und Alice, die im Original Dallas heißt, und als Prostituierte geächtet wird, aber die anständigste und hilfsbereiteste Person in der Gruppe ist. Den Oscar für die besten Nebenrolle gewann allerdings verdient Thomas Mitchell, der mit seiner Schlitzohrigkeit die Sympathien der Zuschauer gewinnt (und der übrigens auch als Scarletts Vater in Vom Winde verweht zu sehen ist).
Das Drehbuch von Dudley Nichols basiert auf einer Erzählung von Ernest Haycox, die den Titel Stage to Lordsburg bzw. auf Deutsch Postkutsche nach Lordsburg heißt. Und damit fängt das Titelwirrwarr an. „Höllenfahrt nach Lordsburg“ wäre 1950 vermutlich kein besonders einprägsamer Titel gewesen (obwohl es ein Remake mit diesem Titel gibt), zumal auch die Vorlage nicht sonderlich bekannt gewesen sein dürfte, da hielt es der Verleih wohl für besser, das bekanntere, ebenfalls in New Mexico liegende Santa Fé zu bemühen. Warum Prime Video den Film immer noch unter diesem und nicht den bekannteren Titel Ringo führt, erschließt sich mir jedoch nicht und hat vielleicht etwas mit den Rechten zu tun. Daher bleibe ich hier bei dem Originaltitel Stagecoach.
Interessanterweise weist die Geschichte einige Ähnlichkeiten mit dem Debütwerk von Guy de Maupassant auf, das hierzulande Fettklößchen heißt (und den Rächer aus dem Originaltitel Boule de suif et le vengeur unterschlägt) und von einer Prostituierten handelt, die während des deutsch-französischen Kriegs mit einer Reisegesellschaft in einer Postkutsche unterwegs ist. Nachdem sie sich anfänglich den Respekt ihrer Mitreisenden erworben hat, wird sie später von ihnen gezwungen, sich einem deutschen Offizier hinzugeben, der ihnen ansonsten die Weiterfahrt verweigern würde. Und natürlich wird sie am Ende dafür verachtet.
Es ist nicht bekannt, ob Haycox die Novelle kannte, als er seine Kurzgeschichte schrieb, aber Ford gab an, sie ebenfalls zur Inspiration für seine Version herangezogen zu haben. Er greift hier gleich zwei Figuren auf, die anfangs negativ besetzt sind und von der Gesellschaft verachtet werden, den Straftäter und die Prostituierte, und bemüht damit zwei ikonografische Figurentypen, den guten Bösewicht und die Hure mit Herz, die auch in anderen Genres wie beispielsweise dem Film Noir vorkommen.
Mit diesen Figuren geht automatisch eine Gesellschaftskritik einher, da einerseits deren respektablen Vertreter wie die Tugendwächterinnen von Tonto als borniert und arrogant vorgeführt werden, andererseits einige von ihnen nicht so moralisch überlegen sind, wie sie vorgeben zu sein. Auch der trunksüchtige Arzt, der ebenfalls von der tugendhaften Gesellschaft geächtet wird, erweist sich als hilfsbereiter Retter, wenn er Lucy Mallorys Kind zur Welt bringt. Dagegen entpuppt sich der angesehene Bankier als Gauner und Dieb. Interessanterweise hält Gatewood in einer Szene eine Rede, in der er sämtliche Tugenden der Konservativen auflistet – ein schlanker Staat, niedrige Steuer, geschäftliche Eigenverantwortung – und sogar vorschlägt, man sollte einen Geschäftsmann zum Präsidenten machen. Man könnte meinen, Donald Trump hat sich diese Szene (und auch diese Figur?) zum Vorbild genommen …
Ford erwarb die Rechte an Haycox’ Geschichte bereits kurz nach ihrer Veröffentlichung 1937, schaffte es aber nicht, eines der großen Studios davon zu überzeugen. Das lag nicht nur daran, dass Ford darauf bestand, seinem guten Freund John Wayne eine zentrale Rolle zu geben, sondern hatte vor allem damit zu tun, dass Western aus der Mode waren. Dabei hatte John Ford schon in den Zwanzigerjahren einige erfolgreiche Western gedreht, doch am Ende dieses Jahrzehnts war das Interesse an dem Genre erlahmt und wurde nur noch in B-Produktionen bedient.
John Wayne hatte 1930 seine erste Hauptrolle in der Großproduktion The Big Trail, einem Western, der jedoch an den Kassen floppte und ihn dazu zwang, seine Karriere mit Nebenrollen und in zweitklassigen „Pferdeopern“ (wie die Low-Budget-Western genannt wurden) weiterzuführen. Wayne wurde also mit Western und vor allem mit B-Filmen in Verbindung gebracht, was für die Studios gleichbedeutend mit Kassengift war. Aber Ford glaubte an ihn und schlug sogar einen Vertrag mit David O. Selznick aus, der sich Gary Cooper und Marlene Dietrich als Ringo und Alice/Dallas wünschte, um Wayne durchzusetzen.
Stagecoach hat John Waynes zweiten Durchbruch in Hollywood ermöglicht, den Western als A-Produktion erneut etabliert und für ein breites Publikum interessant gemacht und Monument Valley als Westernkulisse etabliert. Ford setzt die drei Tafelberge in dem Film so häufig in Szene, dass es sogar den Anschein erweckt, als würde die Kutsche im Kreis fahren. Die weiten Landschaften des amerikanischen Südwestens mit ihrem weiten Himmel stehen in Fords Filmen aber immer auch symbolhaft für die Landnahme durch die Pioniere, denen er in seinen Werken ein Denkmal setzt.
Die undankbarste Rolle dabei haben leider die Indianer inne, die nur als böse, anonyme Masse präsent sind. Mit Geronimo taucht in Stagecoach zwar ein legendärer Name auf und bekommt in einer Einstellung sogar ein (recht stolzes) Gesicht, doch es gibt keine differenzierte Auseinandersetzung mit der Geschichte und dem Konflikt der Ureinwohner. Sie dienen lediglich als Schreckgespenst einer zunehmend weiter nach Westen expandierenden Zivilisation, an der Ford durchaus einiges zu kritisieren hat, nicht jedoch ihre Existenz an sich. Filmhistorisch lässt sich hier durchaus ein Bogen zu Der mit dem Wolf tanzt schlagen, einem Neo-Western, der ebenfalls für einige Zeit dieses Genre im Kino wiederbelebt und zudem dem Schicksal der Indianern Rechnung getragen hat.
Eine der aufregendsten Szenen in Stagecoach ist der Überfall auf die Postkutsche, der einen weiteren Mann berühmt machte: Yakima Canutt war ein ehemaliger Rodeoreiter, der in Hollywood zum führenden Stuntman avancierte. Er war auch mit John Wayne befreundet und entwickelte, zum Teil mit ihm zusammen, etliche noch heute praktizierte Stunttechniken. Übrigens war auch er als Stuntman in Vom Winde verweht.
Stagecoach ist also in vielerlei Hinsicht ein Meisterwerk der Filmgeschichte. Erzählt wird eine spannende, abwechslungsreiche Geschichte mit vielschichtigen Figuren, die sorgfältig charakterisiert werden und sogar Wandlungen durchmachen. Selbst kleine Nebenrollen bekommen etwas Markantes, sei es der geschwätzige Kutscher oder der Vertreter Peacock, der so unscheinbar ist, dass jeder seinen Namen vergisst.
Aus heutiger Sicht gibt es erfreulich wenig zu beanstanden (was bei alten Filmen immer ein bisschen unfair ist): Die nachträgliche Kolorierung wirkt stellenweise befremdlich, wenn die staubige Landschaft plötzlich grün erscheint, Figuren werden angeschossen, aber man sieht weder Einschusslöcher noch Blut, und auch Lucy Mallorys Babybauch ist praktisch unsichtbar. Aber das alles sind nur Kleinigkeiten. Stagecoach besticht nicht nur durch großartige Figuren, überzeugende Schauspieler und eine einzigartige Regie, sondern eben vor allem auch durch die prachtvolle Landschaft, die man unbedingt einmal mit eigenen Augen gesehen haben sollte.
Der Film greift aber auch einige stereotype Western-Momente auf, etwa die Rettung durch die Kavallerie oder das Duell, das jedoch erst ganz am Ende steht. Wayne, der auch mit der Tradition Hollywoods aufräumte, dass Helden immer nur fair kämpfen dürfen, wirft sich hier mit seiner Flinte in den Dreck, um drei Bösewichter aus dem Weg zu räumen, die es auf ihn abgesehen haben. Eine Szene, die von vielen als bemerkenswert bezeichnet wird – aber nur gekürzt vorkommt. Entweder hat Ford sie geschickt ausgelassen und ihre Ausschmückung der Fantasie der Zuschauer überlassen, oder Prime Video zeigt ärgerlicherweise eine gekürzte Version. Überhaupt ist einiges in der Übersetzung verloren gegangen, seien es die Anspielungen auf die Südstaaten, die nur deutlich werden, wenn man genau aufpasst, oder der Schlusssatz von Dr. Boone, wenn Ringo und Alice in den Sonnenuntergang reiten (streng genommen fahren sie): „Well, they are saved from the blessing of civilization.“
Note: 1-