The Eyes of Tammy Faye

Man kann ohne Übertreibung sagen, dass dieser Film zu den Gewinnern der diesjährigen Oscarverleihung gehört, denn er hat sämtliche Preise gewonnen, für die er nominiert war. Zugegeben, es waren „nur“ die Oscars für die beste weibliche Hauptrolle und das beste Make-up, aber damit hat er schon mehr Preise eingeheimst als beispielsweise The Power of the Dog.

The Eyes of Tammy Faye gehört zu den Streifen, die mir im Vorfeld der Preisverleihung nichts sagten. Ich hatte vor einigen Monaten einmal den Trailer gesehen und praktisch sofort danach wieder vergessen, und an den der Geschichte zugrundliegenden Skandal kann ich mich nicht erinnern. Es gibt einfach zu viele Evangelikale, die mit der falschen Person im Bett oder mit der Hand in der Keksdose erwischt wurden …

The Eyes of Tammy Faye

Als Kind einer Geschiedenen ist Tammy Faye in der Gemeinde ihrer Mutter (Cherry Jones) stets unerwünscht, obwohl sie sich nichts sehnlicher wünscht, als endlich akzeptiert zu werden. Doch ein bemerkenswerter Auftritt, bei dem sie in Zungen spricht, macht sie umgehend zum Liebling des Pastors und offenbart gleichzeitig ihr schauspielerisches Talent. Entsprechend studiert Tammy (Jessica Chastain) später an einer kirchlichen Universität, wo sie Jim Bakker (Andrew Garfield) trifft und sich in den charismatischen Predigeranwärter verliebt. Da Studenten nicht verheiratet sein dürfen, müssen sie abgehen und starten eine Karriere als Wanderprediger. Mit Handpuppen, Tammys Gesang und viel Pepp gelingt es ihnen bald, in einem Bibel-Sender aufzutreten. Als ihnen dort der Erfolg geneidet wird, gründen sie ihr eigenes Unternehmen – das innerhalb weniger Jahre zur viertgrößten Sendergruppe in den USA aufsteigt …

Früher waren Bio-Pics über erfolgreiche Männer und Frauen meistens auch Loblieder auf den american dream, glorreiche Geschichte über Aufsteiger aus einfachen Verhältnissen, die es dank unermüdlicher Arbeit zu Reichtum und Ansehen gebracht haben. Heute werden auch gerne Geschichten von den Perversionen dieses Traums erzählt, und neben dem Aufstieg handeln sie auch vom Niedergang.

Jim und Tammy Faye sind solche Aufsteiger, die ihr eigenes Imperium begründen, ob dies nun auf Ölquellen oder Religion beruht, spielt dabei keine große Rolle. Man muss ihr Talent durchaus anerkennen, denn sie haben mit ihrer lockeren, ungezwungenen Art damals einen Nerv bei den konservativen, meist ländlichen Einwohnern getroffen, und sich ihre Popularität redlich verdient. Während Tammy gerne auch heikle Probleme wie Erektionsstörungen in ihrer Sendung anspricht und praktische Lösungen präsentiert, predigt Jim neben Frömmigkeit auch Hedonismus – und Patriotismus. Im Grunde kopieren sie jedoch nur bereits bestehende erfolgreiche Formate, seien es die Late Night Show oder Popmusik, und versetzen sie mit frommen Sprüchen und den Aufrufen zu Spenden.

Doch mit der Macht und dem Einfluss kommt wie so oft auch die Korruption ins Spiel, und davor sind selbst geistliche Führer nicht gefeit: Jim unterschlägt Gelder, benutzt Spenden für private Zwecke, lässt sich und seiner Frau üppige Gehälter auszahlen und zeigt auch sonst sehr viel Kreativität bei der Finanzierung seiner vielen Projekte. Um die Verbreitung des Wortes Gottes geht es ihm dabei nur noch in zweiter Linie. Im Gegensatz dazu ist Tammy Faye eine ehrlichere Haut. Ihre Frömmigkeit ist echt, wenn ihr Glaube auch reichlich naiv anmutet, aber sie nimmt die Botschaft Jesu von der Nächstenliebe wirklich ernst und setzt sich für Homosexuelle und später AIDS-Kranke ein. Auch das ist eine Einstellung, die für ihre Kreise selten und daher höchst bemerkenswert ist. Man kann sie als Figur belächeln, sie gibt mit ihrer extravaganten Erscheinung und ihrem grellen Make-up auch jede Menge Grund dafür, ihre moralische Haltung ist durchaus bewundernswert.

Der Film von Michael Showalter, nach einem Drehbuch von Abe Sylvia (das auf einem Dokumentarfilm von Fenton Bailey und Randy Barbato basiert) wirkt jedoch in seiner Erzählweise altbacken, weil er brav das gesamte Leben der Figur erzählt, anstatt sich auf eine Phase zu konzentrieren und vielleicht ein paar Rückblenden einzustreuen. Bemerkenswert ist dabei die Darstellung Jessica Chastains, der es überzeugend gelingt, sowohl die kindlich-naive Tammy Faye als auch die alternde Matrone darzustellen, die ehrgeizige junge Mutter und das ausgebrannte, tablettensüchtige Pin-up-Girl der Konservativen. Ebenso wie sie hat auch das Make-up-Team den Oscar redlich verdient, denn in manchen Szenen ist die Schauspielerin einfach nicht wiederzuerkennen.

Leider geraten bei dieser braven, chronologischen Erzählweise einige Aspekte zu sehr in den Hintergrund. Jim spielt kaum eine Rolle in der Geschichte, obwohl es doch seine Skandale sind, die alles zum Einsturz bringen, und auch die Intrigen seines Rivalen Jerry Farewell (Vincent D’Onofrio) kommen kaum zum Tragen. Dabei verkörpert er all das, was die Evangelikalen heute auszeichnet: Fanatismus, Rückständigkeit und vollkommene Skrupellosigkeit. Das alles wäre nicht weiter schlimm, würde sich die Story auf Tammys Sicht der Dinge konzentrieren, aber die verschließt leider die Augen vor allen unerfreulichen Dingen, versteckt sich hinter einer Maske aus Make-up und betäubt ihren Schmerz mit Drogen, bis sie selbst beinahe verschwindet.

Man fragt sich, welche Botschaft mit dem Film vermittelt werden soll. Ein wenig geht es um Religion als Geschäftsmodell und um die Machenschaften der Evangelikalen, die eine unheilige Allianz mit den politischen Rechten eingehen und damit ihren Einfluss auf das Land weiter ausdehnen. Im Mittelpunkt steht aber vor allem eine einfache, naive Frau, für die Nächstenliebe das Wichtigste ist, deren Instinkte vor einer Vermischung von Religion und Politik warnen, die aber – und das ist ebenfalls ein Aspekt, der nicht ausreichend genug gewürdigt wird – als Frau keinerlei Einfluss in dieser Organisation hat. Daraus hätte man mehr herausholen können als ein etwas halbherziges Porträt einer schrulligen Frau.

Note: 3

Der Film wird bei Disney+ gestreamt.

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.