The Power of the Dog

Es kommt selten vor, dass ich Klatsch und Tratsch lese, aber ich erinnere mich, dass zur Veröffentlichung von The Power of the Dog die Anekdote verbreitet wurde, Benedict Cumberbatch hätte eine Nikotinvergiftung während der Dreharbeiten erlitten. Ich musste dabei an eine andere Anekdote denken: Dustin Hoffman sollte für eine Szene in Der Marathon-Mann völlig geschafft aussehen und hat dafür ein, zwei Nächte lang nicht geschlafen und ist zusätzlich noch ein paar Runden um den Block gerannt. Woraufhin Laurence Olivier nur gesagt haben soll: Warum spielst du das nicht einfach?

Über The Power of the Dog wurde in den letzten Wochen so viel berichtet, dass es schwer, wenn nicht unmöglich ist, unbefangen an den Film heranzugehen. Um ehrlich zu sein, ich habe lange gezögert, ihn mir anzusehen, weil es von allen Seiten hieß, er sei todlangweilig. Auch bei der Oscarverleihung hat Wanda Sykes sich darüber lustig gemacht, indem sie sagte, sie hätte den Film bereits dreimal gesehen und sei fast zur Hälfte durch …

Netflix hat sich das am vergangenen Sonntag vermutlich auch ganz anders vorgestellt und fest mit einigen Oscars gerechnet (und viel Geld für eine Kampagne ausgegeben), schließlich war der Film mit zwölf Nominierungen der Favorit, aber wieder einmal hat sich gezeigt, was William Goldman vor Jahrzehnten schon über Hollywood sagte: Nobody knows anything.

The Power of the Dog

Phil (Benedict Cumberbatch) und sein Bruder George (Jesse Plemons) betreiben gemeinsam eine Farm in Montana. Jedes Jahr treiben sie das Vieh zum Weitertransport mit der Eisenbahn in eine Stadt und logieren dabei im Gasthaus von Rose (Kirsten Dunst), die sich und ihren Sohn Peter (Kodi Smit-McPhee) seit dem Tod ihres Mannes mühsam über Wasser hält. Der grobschlächtige, wenngleich hochintelligente Phil macht sich über den femininen Peter lustig, was dessen Mutter verletzt. George tröstet sie, und in den nächsten Monaten kommen sich die beiden immer näher. Als er sie jedoch heimlich heiratet und mit auf die Ranch nimmt, gerät das ohnehin schwierige Verhältnis zwischen den Brüdern aus der Balance.

Der Name Thomas Savage, Autor der Romanvorlage, hat in den letzten beiden Jahrzehnten eine Wiederentdeckung erfahren, man könnte angesichts seiner relativen Erfolglosigkeit davor sogar von einer Neuentdeckung sprechen. Leider erlebte er den späten Erfolg nicht mehr oder nur teilweise. Gelesen habe ich bislang keines seiner Werke, aber nachdem ich mich auf Wikipedia über den Roman The Power of the Dog und andere seiner Werke informiert habe, könnte sich das ändern.

Man kann gut verstehen, warum Jane Campion das Buch verfilmen wollte, denn die Geschichte hat etwas von der Kraft antiker Tragödien, behandelt zugleich aber ein aktuelles Thema. Savage setzte sich darin vor allem mit seiner eigenen, lange unterdrückten Homosexualität auseinander, aber auch mit Geschlechterbildern und ihrer gesellschaftlichen Wahrnehmung. The Power of the Dog kann man nach heutiger Lesart aber auch als Abrechnung mit toxischer Männlichkeit verstehen.

Der Stoff sollte bereits kurz nach seiner Publikation 1967 verfilmt werden, mit Paul Newman als Phil, dessen Interpretation eine interessante Ergänzung zu seiner Rolle in Die Katze auf dem heißen Blechdach gewesen wäre. Campions Versuch einer Verfilmung ist bereits der elfte (!), was beweist, dass nicht jede gute Geschichte zu jeder Zeit geeignet ist.

Der Film ist zum Glück nicht so langweilig geworden, wie allgemein zu hören war. Gewiss, das Tempo ist nicht flott, aber was dem Film in dieser Hinsicht fehlt, machen eine superbe Kamera (Ari Wegner) und exzellente schauspielerische Leistungen wieder wett. Nur die Musik von Jonny Greenwood ist bisweilen gewöhnungsbedürftig, spiegelt aber die Zerrissenheit und Verlorenheit der Figuren gut wider.

Am schwächsten ist definitiv das Buch von Regisseurin Jane Campion, das es versäumt, wichtige Szenen zum Verständnis der Figuren und ihrer Motive aus dem Roman zu übernehmen. Möglicherweise sind sie auch dem Schnitt zum Opfer gefallen. Grundsätzlich versteht man die Figuren und ihre Beziehungen zueinander, nur sorgt die Reduktion auf das Allernötigste für eine gewisse Oberflächlichkeit und eine emotionale Kälte, die nicht hätte sein müssen und die den Zugang zum Stoff erschwert.

Problematisch wird das vor allem bei der Darstellung der Rose, die in der zweiten Hälfte des Films immer stärker in den Hintergrund gedrängt wird und deren Verfall sich zu abrupt vollzieht. Auch Phils Misanthropie, die in einem ursächlichen Zusammenhang dazu steht, hätte man eleganter herausarbeiten können. So bleibt man weitgehend auf Vermutungen angewiesen, wenn es um ihr Verhältnis zueinander geht. Auch George verschwindet praktisch in der zweiten Hälfte, um nur noch eine Statistenrolle zu übernehmen. Das ist schade, denn die beiden Figuren sind das emotionale Zentrum der Story.

Interessant ist hingegen die Entwicklung Phils, der sich mit Peter anfreundet, wobei die Gründe dafür nicht ausreichend erklärt werden. Im Roman ist es vor allem die Intelligenz des Jungen, die Phil beeindruckt, seine Fähigkeit, in einer Felsformation einen Hund zu erkennen und damit zu beweisen, dass er tiefer blickt als andere Menschen. Auch daraus hätte man, wie aus ihrer Beziehung zueinander, sehr viel mehr machen können.

Letzten Ende ist der Film nicht so langweilig wie sein Ruf, besticht durch solide, aber nicht notwendigerweise preiswürdige darstellerische Leistungen und enttäuscht ein wenig hinsichtlich seiner Geschichte, die nie ihr volles Potential ausschöpft und nie so sehr in die Tiefe geht, wie es aufgrund der Vorlage möglich gewesen wäre.

Note: 3

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.