Ein Mann zu jeder Jahreszeit

Die Geschichte Englands im 15. und 16. Jahrhundert diente schon immer als kreativer Steinbruch für Autoren. Die Königsdramen Shakespeares, Game of Thrones oder unzählige historische Romane sind ein Beleg dafür. In den Sechzigerjahren verfasste der britische Drehbuchautor Robert Bolt, der Lawrence von Arabien und Doktor Schiwago schrieb, ein Bühnenstück über Thomas Morus, das er kurz darauf für die große Leinwand adaptierte und für das er seinen zweiten Oscar erhielt.

Der Film befand sich schon länger auf meiner Watchliste, aber wenn ich ehrlich bin, habe ich mich ein wenig an der Tudorzeit sattgesehen und -gelesen. Hilary Mantel hat das mit ihrer fulminanten Trilogie über Thomas Cromwell zwar kurzfristig geändert, aber grundsätzlich muss ich mich nicht noch einmal mit Heinrich VIII. und seinen Frauen beschäftigen. Und dennoch habe ich es getan …

Ein Mann zu jeder Jahreszeit

Thomas Morus (Paul Scofield) hat einen exzellenten Ruf als unbestechlicher und gerechter Richter, tiefgläubiger Mann und leidenschaftlicher Unterstützer des Königs. Heinrich VIII. (Robert Shaw) betrachtet ihn sogar als seinen persönlichen Freund. Als er ihn jedoch durch Kardinal Wolsey (Orson Welles) dazu bringen will, seine Scheidung zu unterstützen, bleibt Morus bei seiner ablehnenden Haltung. Der König macht ihn dennoch zu seinem Lordkanzler und sagt sich von der katholische Kirche los, was Morus in einen schweren Gewissenskonflikt stürzt …

Ohne Geschichtskenntnisse ist man bei dieser Story verloren, zu komplex sind die juristischen, religiösen und politischen Fallstricke, zu zahlreich die Akteure auf dieser Bühne. Im Kern geht es um den Wunsch des Königs nach einem männlichen Erben, also um den Erhalt seiner Macht über seinen Tod hinaus. Da das Kirchenrecht keine Scheidung vorsieht, muss er kreativ werden, um seine Frau loszuwerden und seine Geliebte Anne Boleyn (Vanessa Redgrave) heiraten zu können. Robert Shaw porträtiert Heinrich als kumpelhaften, jovialen Mann, der flotte Lieder komponiert. Bei seinem ersten Auftritt springt er beherzt und lachend in den Matsch, um vom Boot ans Ufer zu gelangen, und will damit beweisen, wie umgänglich er ist. Doch diese Inszenierung täuscht, denn Heinrich schreckt vor nichts zurück, um zu bekommen, was er will, und man kann es getrost als Ironie der Geschichte verstehen, dass sein Streben vergeblich bleiben wird, weil sein männlicher Erbe zu früh stirbt und er von zwei Töchtern beerbt wird.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht jedoch Morus. Regisseur Fred Zinnemann stellt ihn als gütigen Familienmenschen vor, der im Kreis seiner Freunde über sein Werk Utopia spricht, er ist ein Moralist, Humanist und Idealist durch und durch. Man ahnt bereits, dass ein solcher Mensch, der zu gut für diese Welt zu sein scheint, kein gutes Ende nehmen wird. Morus wird als Heiliger und Märtyrer der Anglikanischen Kirche verehrt, und so wird er weitgehend auch in Szene gesetzt. Man hätte sich hier ein differenziertes Bild gewünscht, das auch die Schattenseiten des Mannes nicht ausspart, auch wenn er in vielerlei Hinsicht bemerkenswert gewesen sein muss.

Spannend und aktuell ist jedoch vor allem das Thema des Films, das sich mit der Frage beschäftigt, ob man seinen Überzeugungen und seinem Gewissen folgen soll, auch wenn das eigene Leben davon abhängt. In diesem Spannungsfeld zwischen Macht und Moral werden die Akteure zerrieben. Neben Morus geht es auch um Thomas Cromwell (Leo McKern), der als prinzipienloser Karrierist geschildert wird, noch stärker aber um Richard Rich (John Hurt), der ein Freund von Morus war, ihn am Ende aber durch einen Meineid verraten hat. Der Historiker Hugh Trevor-Roper nannte ihn einen Mann, „über den niemand je ein gutes Wort gesagt hat“, und er ist der eigentliche Schurke in dieser Geschichte, ein Mann ohne jede Moral, der aber als einziger einen friedlichen Tod stirbt, wie man im Abspann erfährt.

Alles in allem ein etwas sperriger Historienfilm, der ausschließlich von seinen soliden, aber nicht überragenden Dialogen lebt und insbesondere mit seinen guten schauspielerischen Leistungen besticht. Kein saftiges Historiendrama, eher eine feinsinnige Lektion in Geschichte, Politik und Philosophie.

Note: 3-

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.