Seit einiger Zeit hadere ich mit den Dramen. Die Komödie als Genre habe ich inzwischen praktisch aufgegeben, denn bis auf extrem seltene Ausnahmen (etwa Palm Springs) gibt es fast keine Filme mehr, die ich gelungen finde. Und jetzt geht anscheinend auch das Drama langsam, aber sicher den Weg des Dodos.
Wenn ich an die besten Dramen der letzten Jahren zurückdenke, fallen mir vor allem Bio Pics wie Judy, Vice, House of Gucci oder tick, tick … Boom! ein, aber darüber hinaus gab es leider nicht viel. Mit Palmer und Promising Young Woman stehen lediglich zwei Dramen auf meiner Liste der besten Filme der letzten Jahre. Das war mal anders.
Wahrscheinlich liegt es an mir und meiner falschen Erwartungshaltung. Wenn man älter wird, geht man bekanntlich nicht mehr mit der Zeit, ist unaufgeschlossen gegenüber Neuerungen und klammert sich an die Vergangenheit und damit unterbewusst an die verlorene Jugend wie ein Schiffbrüchiger an einen treibenden Balken. Nehmen wir das Familiendrama: Eat Drink Man Woman, Marvins Töchter sowie Lügen und Geheimnisse gehören u.a. zu meinen liebsten Beispielen dieses Genres, alles Filme aus den Neunzigerjahren, und vermutlich würde keiner davon heute noch in dieser Form gedreht werden. Der Erzählstil hat sich verändert, ist dokumentarischer geworden, verzichtet auf dramatische Überhöhung, auf Sentimentalität und – zumindest kommt es mir so vor – auf psychologische Tiefe.
Am Wochenende habe ich erneut einen Versuch unternommen, mich mit dem „modernen“ Drama anzufreunden, und mir The Farewell angesehen, dessen Grundidee ich sehr vielversprechend fand und auf den ich mich sogar gefreut hatte.
The Farewell
Billi (Awkwafina) ist die Tochter chinesischer Einwanderer und lebt in New York. Eines Tages erfährt sie, dass ihre geliebte Großmutter Nai Nai (Shuzhen Zhao) unheilbar krank ist und nur noch wenige Monate zu leben hat. Wie viele Familien in China beschließen auch Billis Eltern und andere Verwandte, Nai Nai nichts von der Diagnose zu erzählen. Stattdessen reisen die Familienmitglieder aus aller Welt an, um die überstürzte Hochzeit eines Neffen zu feiern und auf diese Weise Abschied von Nai Nai zu nehmen …
Andere Länder, andere Sitten, weiß der Volksmund bekanntlich und mahnt dabei zu Toleranz. Es ist aber ein Unterschied, ob man als Außenseiter einen flüchtigen Einblick in fremde Gebräuche und Gepflogenheiten bekommt oder diese mit den eigenen Weltanschauungen kollidieren. In Billis Fall rührt der Konflikt daher, dass sie zwar westliche Werte wie freiheitliche Selbstbestimmung und Individualismus verinnerlicht hat, sich in China aber den dortigen familiären Traditionen unterwerfen soll.
Geschrieben und inszeniert wurde der Film von Lulu Wang, die damit ihre eigene Familiengeschichte aufgreift und sogar noch während der Dreharbeiten mit der Problematik konfrontiert wurde, als ihre Großmutter das Set besuchte und wissen wollte, wovon der Film denn handelt …
Die famose Grundidee lässt vor dem inneren Auge des Zuschauers (bzw. des Drehbuchautors) sofort eine Menge amüsanter oder dramatischer Szenen entstehen. Doch Wang macht leider nicht sehr viel aus ihrem Stoff: Ein bisschen Culture-Clash, ein paar Seitenhiebe auf die überfürsorglichen, aus westlicher Sicht sogar übergriffigen Erziehungsmethoden und die Großfamilienstrukturen in China, sowie ein hier und da eingestreuter dramatischer Moment machen leider noch kein gutes Drama aus. Der Konflikt entfaltet sich nicht, weil keiner der Beteiligten richtig Stellung bezieht, die Hauptfigur Billi bleibt indifferent und einem fremd. Es gibt nur eine Szene, in der sie offen über ihre Gefühle redet, vielleicht aus Angst vor falscher Sentimentalität.
Auch die komödiantischen Elemente werden insgesamt vernachlässigt. Hier und da gelingt Wang ein Lacher, ansonsten lebt der Film vom Kontrast zwischen der aufgekratzten Großmutter, die sich darüber freut, dass die ganze Familie einmal wieder beisammen ist, und der gedrückten Stimmung ihrer Verwandten, die sich jedoch nicht anmerken lassen dürfen, wie traurig sie sind. Interessant ist der Film vor allem dann, wenn Alltagsszenen aus China zu sehen sind und fremde Gebräuche präsentiert werden.
Alles in allem ein typisches zeitgenössisches Drama im realitätsnahem, semi-dokumentarischem Stil und eine unentschiedene Mischung aus schwacher Komödie und verwässertem Drama. Schade, daraus hätte man wirklich mehr machen können.
Note: 3