Der politisch interessierte Leser weiß sicherlich, dass in den USA seit Jahren und Jahrzehnten ein erbitterter Kulturkampf zwischen Linken und Rechten tobt, der inzwischen auch zu uns herübergeschwappt ist. Manche sprechen sogar von einem kalten Bürgerkrieg.
Die woken Linksliberalen fordern mehr Geschichtsbewusstsein und eine Aufarbeitung der Vergangenheit, sie wollen die Denkmäler für Südstaatengeneräle abbauen und militärische Einrichtungen, die ihren Namen tragen, umbenennen. Die radikalsten Kräfte propagieren den Slogan „defund the police“ und verlangen die Auflösung der Polizeibehörden, die am auffälligsten das sogenannte racial profiling betreiben, also die grundlose Überprüfung nicht-weißer Autofahrer und Passanten. In Minneapolis wurde ein Volksbegehren dazu erst kürzlich abgelehnt. Weniger radikale Kräfte fordern eine Abrüstung der Polizei, die häufig mit ausgemusterten Militärfahrzeugen und -waffen ausgestattet ist, und die Einstellung von mehr Sozialarbeitern.
Die konservative Rechte stellt sich dem entgegen, indem sie behauptet, dass Rassismus in Amerika kaum noch oder gar nicht mehr existent sei, und führt u.a. als Beweis dafür an, dass mit Barak Obama ein Schwarzer Präsident werden konnte. Sicherlich kann man ihnen zustimmen, dass es in vielen gesellschaftlichen Bereichen heute besser ist als noch vor der Bürgerrechtsbewegung und der Abschaffung der Rassentrennung Mitte der Sechzigerjahre. Die extremen Kräfte gehen aber noch weiter, indem sie fordern, dass das Thema Rassismus kein Lehrstoff an den Schulen sein darf. Im Augenblick kandidieren immer mehr radikale Republikaner, bzw. Trumpisten für die Wahlen zu den Schulbeiräten, um dort Einfluss auf den Unterrichtsstoff zu nehmen. Ihr Argument ist, dass die Linken den Kindern beibringen wollen, alle Weißen seien automatisch Rassisten, und führen als Beweis die Critical Race Theorie (CRT) an, die sie aus den Schulen verbannen wollen. Dass die CRT aus der Rechtswissenschaft stammt und ausschließlich an juristischen Fakultäten gelehrt wird, ficht sie dabei nicht an.
Neben der Wahlgesetzgebung, die in vielen republikanisch regierten Bundesstaaten gerade dergestalt geändert wird, dass man durchaus davon sprechen kann, dass damit die Grundpfeiler der Demokratie zerstört werden, sind die Schulen der brisanteste Schauplatz des Kulturkampfes. Im Kern geht es aber immer um Rassismus.
Seit Jahrzehnten gibt es Hollywoodfilme, die sich dieser Problematik annehmen und sie zum Thema machen, und seit ein paar Jahren werden immer mehr davon produziert. Manchmal so viele, dass sie an den Kinokassen untergehen. Einer der Filme ist Just Mercy. Während der Film in den USA immerhin ein Achtungserfolg war, bei den Oscars aber ignoriert wurde, erreichte er hierzulande nur 55.000 Besucher. Seit ein paar Monaten kann man ihn aber auf Netflix nachholen.
Just Mercy
Bryan Stevenson (Michael B. Jordan) ist ein frisch gebackener Harvard-Absolvent, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, in Alabama eine Rechtshilfe für zu Unrecht Verurteilte aufzubauen. Unterstützung erhält er dabei von Eva Ansley (Brie Larson), die ihn sogar auf ihrem Sofa übernachten lässt und ihr Wohnzimmer als behelfsmäßiges Büro zur Verfügung stellt. Zu den ersten Mandanten, derer sich Bryan annimmt, gehört Walter McMillian (Jamie Foxx), der für die Ermordung einer jungen Weißen zum Tode verurteilt wurde.
Sehr bald wird klar, dass Walter unschuldig ist: Der Hauptbelastungszeuge, ein überführter Krimineller (Tim Blake Nelson), hat für seine Aussage eine deutliche Strafmilderung erhalten und eine so abenteuerliche Geschichte zu Protokoll gegeben, dass sie völlig unglaubwürdig klingt. Gleichzeitig gab es über zwanzig schwarze Zeugen, die Walter ein Alibi verschafft haben. Die rein weiße Jury hat Walter dennoch verurteilt, der Richter das Strafmaß von Lebenslänglich auf die Todesstrafe geändert.
In einer Szene des Films konfrontiert Bryan den Sheriff der Gemeinde (Michael Harding) mit seinen Erkenntnissen, der ihn daraufhin beschuldigt, mit seiner Aktion nur altbekannte Vorurteile bestätigen zu wollen, dass alle Südstaatler Rassisten seien, ein beliebtes Argument Konservativer. Etwas später erfährt man zudem, dass dieser Sheriff Walter bereits im Todestrakt des Gefängnisses unterbringen ließ, als dieser noch nicht einmal vor Gericht stand. Ein Film, der ausschließlich auf den Beweis einer moralischen These zugeschnitten ist, nennt man Propaganda. Aber kann man in diesem Fall tatsächlich von Propaganda sprechen, wenn die der Erzählung zugrundeliegende Geschichte wahr ist?
Just Mercy basiert auf dem gleichnamigen Buch des Anwalts und Bürgerrechtlers Bryan Stevenson, und auch den Fall Walter McMillian hat sich so zugetragen. Regisseur Destin Daniel Cretton, der zusammen mit Andrew Lanham auch das Drehbuch schrieb, liefert ein beeindruckendes Doppelporträt zweier Männer ab, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Walter ist ein hart arbeitender Kleinunternehmer und Familienvater, Bryan ein engagierter junger Mann, der Karriere in einer renommierten Kanzlei hätte machen können. Doch beide sind schwarz und wissen daher um die gesellschaftlichen Benachteiligungen in den USA. Wer die falsche Hautfarbe hat, gilt automatisch als verdächtig und unglaubwürdig, ganz besonders in den Südstaaten.
Ironie des Schicksals ist es, dass der Schauplatz der Handlung Monroeville ist, die Literaturhauptstadt Alabamas, ein kleines, verschlafenes Nest, das zwei große Autoren hervorgebracht hat: Truman Capote und Harper Lee. Letztere schrieb hier Wer die Nachtigall stört und machte die Stadt damit zum fiktiven Schauplatz eines spektakulären Prozesses gegen einen unschuldigen schwarzen Mann. Dass die Stadt stolz auf dieses Erbe ist und sogar ein Nachtigall-Museum betreibt, ist angesichts des Ereignisse im Fall McMillian geradezu bittere Ironie.
Der Film hat auf den ersten Blick nicht viel zu bieten: Das Tempo ist gemächlich, die Figuren werden solide charakterisiert, verfügen aber nicht über herausragende Persönlichkeiten wie etwa Atticus Finch, die Story ist zudem früh auserzählt, denn dass Walter unschuldig ist, steht nahezu von Anfang an fest. Alles ordentlich gemacht, aber nur wenig aufregend. Spannend und emotional aufwühlend wird der Film erst, wenn man mehr über die Hintergründe der Gerichtsverfahren erfährt, die Walter und zwei weitere Häftlinge in den Todestrakt gebracht haben. Wenn man hört, dass ihre Pflichtverteidiger so schlecht sind, dass einem nach dem Fall die Zulassung entzogen wird, dass Beweise und Zeugen ignoriert werden, weil sie von Farbigen vorgebracht werden, dass nicht nur der Sheriff und der Staatsanwalt keinerlei Interesse haben, den Mörder zu finden, und auch der Richter ein Rassist zu sein scheint. Auch Bryan muss am eigenen Leib erfahren, dass es einem unter diesen Umständen vor Gericht nichts hilft, das Recht auf seiner Seite zu haben.
Das Urteil, das der Film über Alabama und damit den Süden allgemein fällt, ist vernichtend. Auch Jahrzehnte nach der Bürgerrechtsbewegung herrscht ein systemimmanenter Rassismus, der Schwarze konsequent benachteiligt. Sie werden schneller einer Tat verdächtigt, ihren Aussagen wird weniger Glauben geschenkt, und sie werden härter verurteilt. Der Fall McMillian spielt Ende der Achtziger- und Anfang der Neunzigerjahre, aber er ist vermutlich immer noch aktuell. Walter war der erste Unschuldige, den Bryan Stevenson vor der Hinrichtung bewahrt hat, er war aber nicht der letzte. Kurz vor dem Abspann taucht eine interessante Statistik auf: Von neun in den USA zum Tode verurteilten Häftlingen erweist sich einer als unschuldig. Oft leider erst nach der Hinrichtung.
So ist Just Mercy auch ein leidenschaftliches Plädoyer für die Abschaffung der Todesstrafe. Die eindringlichste Szene des Films ist entsprechend die Hinrichtung eines Zellennachbarn von Walter, dem Bryan leider nicht zu einem neuen Prozess verhelfen konnte.
Auch wenn er etwas langsam erzählt ist und für ein Gerichtsdrama zu wenig Spannung aufweist, ist Just Mercy ein bewegender, starker Film mit tollen schauspielerischen Leistungen über soziale Ungerechtigkeit und Rassismus, der zum Nachdenken anregt.
Note: 2-