Jedes Land geht anders mit den dunklen Momenten in seiner Geschichte um. Vermutlich nur wenige Staaten setzen sich so intensiv mit ihrer Vergangenheit auseinander wie Deutschland, aber selbst in den USA verändert sich diesbezüglich seit einigen Jahren viel. Teilweise ist das auf die neue Wokeness zurückzuführen, eine gesteigerte Sensibilität für systemimmanenten Rassismus, politische Korrektheit und soziale Gleichheit.
Dazu gehört auch ein neues Geschichtsbewusstsein. Deshalb werden in den Südstaaten Bürgerkriegsdenkmäler abgebaut, militärische Einrichtungen, die nach abtrünnigen Generälen benannt sind, sollen andere Namen erhalten, und Barak Obama hat den Vorschlag auf den Weg gebracht, Harriet Tubmans Konterfei auf die neuen 20-Dollar-Scheine zu drucken. Natürlich gibt es, von Seiten der Konservativen, Widerstand gegen all dies, der immer erbitterter wird. Manche Journalisten sprechen inzwischen bereits von einem kulturellen Kalten Krieg.
Auch Hollywood trägt wie immer seinen Teil dazu bei, dem Durchschnittsamerikaner die eigene, düstere Geschichte näherzubringen …
Harriet – Der Weg in die Freiheit
Minty (Cynthia Erivo) sollte eigentlich zusammen mit ihrer Mutter freigelassen werden, so steht es im Testament ihres verstorbenen Besitzers, doch über zehn Jahre später leben sie immer noch als Sklaven auf der Farm der Familie Brodess. Schlimmer noch: Auch die Kinder, die Minty in der Ehe mit dem Freigelassenen John Tubman (Zackary Momoh) einmal haben wird, sollen Sklaven sein. Daran ändert auch nichts der plötzliche Tod ihres Besitzers, denn dessen ältester Sohn Gideon (Joe Alwyn) schwört, Minty niemals gehen zu lassen. Völlig verzweifelt entschließt sie sich deshalb zur Flucht, entkommt Gideon und seinen Häschern und gelangt nach Pennsylvania. Dort ändert sie ihren Namen in Harriet Tubman und beginnt ein neues Leben. Nach einem Jahr will sie jedoch zurück, um John zu sich zu holen, und nimmt erneut den gefährlichen Weg nach Maryland auf sich …
Harriet Tubman war eine außergewöhnliche Frau. Dass sie es, allein auf sich gestellt, geschafft hat, ihren Verfolgern zu entkommen, ist bereits eine Leistung für sich, aber später kehrte sie noch etliche Male zurück in die Südstaaten, um weitere Sklaven zu befreien. Als Schaffnerin der Underground Railroad wurde sie so zur Legende. Ihr Deckname war Moses, und ihre Gegner konnten lange Zeit nicht glauben, dass sich dahinter weder ein Mann noch ein Weißer verbirgt.
Die Jagd auf Moses und die Aufdeckung der wahren Identität nimmt einen großen Raum in der Geschichte ein. Regisseurin Kasi Lemmons, die auch zusammen mit Gregory Allen Howard das Drehbuch schrieb, legt großen Wert auf die Darstellung weiblicher Selbstbestimmung und Selbstbehauptung. Deshalb wird sehr ausführlich geschildert, wie aus einer verängstigten jungen Frau, beinahe noch ein Mädchen, eine entschlossene, strategisch denkende Persönlichkeit wird. Die Entwicklung von Minty zu Harriet, die als Moses geheime Operationen durchführt, hat beinahe den Charakter einer Superheldenstory.
Dazu gehört auch, dass Harriet seit einem brutalen Angriff durch einen Aufseher, der ihr dabei den Schädel gebrochen hat, als sie dreizehn war, immer wieder Anfälle erleidet, die mit göttlichen Eingebungen einhergehen. Harriet besitzt ein untrügliches Gespür für Situationen und Entwicklungen, könnte man auch sagen, sie selbst behauptet, von Gott Visionen zu empfangen, die es ihr ermöglichen, in die Zukunft zu sehen. Mehr als einmal hilft ihr diese Gabe, ihren Verfolgern zu entkommen.
Auf diese Weise bekommt die Geschichte etwas von einer Heiligenvita, und die Parallelen zu Jeanne d’Arc sind so offensichtlich, dass sie sogar von ihren Gegner gesehen werden, die sie am liebsten auf dem Scheiterhaufen verbrennen wollen. Vor allem Gideon und seine Mutter avancieren dabei zu den bestimmenden Bösewichtern der Geschichte. Denn Harriet befreit zuerst ihre Familienangehörigen und zersetzt damit langsam das wirtschaftliche Fundament der Farm, deren größter Aktivposten die Sklaven sind.
Mit der Feindschaft zwischen Harriet und Gideon bekommt die Story zudem eine persönliche Note, was einerseits gut ist, weil sie dem abstrakten Kampf gegen die Sklaverei ein Gesicht verleiht, andererseits verfällt Lemmons hier leider in eine Schwarz-Weiß-Malerei, die zu stereotyp ist. Immerhin sorgt dieser Handlungsstrang für jede Menge Spannung, von Harriets erster Flucht bis zum westernähnlichen Showdown am Ende.
Da der Film sich anfangs viel Zeit nimmt, Harriets Entwicklung nachzuerzählen, wirkt die zweite Hälfte etwas gehetzt und gedrängt. Im Bürgerkrieg, der nur eine kurze Episode vorm Abspann ist, spionierte Harriet für die Nordstaatenarmee, und sie ist sogar eine der wenigen Frauen in der Militärgeschichte, die einen bewaffneten Kampfeinsatz angeführt haben. Dass sie sich darüber hinaus auch in ihren letzten Lebensjahren für das Frauenwahlrecht eingesetzt hat und als weithin geachtete öffentliche Person starb, wird kaum erwähnt.
Insgesamt ein konventionell erzähltes Bio Pic über eine außergewöhnliche Frau, deren Leben sich kaum in zwei Stunden Film pressen lässt. Stellenweise ungemein spannend, häufig berührend und insgesamt nachdenklich stimmend.
Note: 2-