Lovecraft Country

Keine Angst, das wird keine Nörgelwoche. Nach zwei enttäuschenden Horrorfilmen, die – man muss es so offen sagen – leider das Gros des Genres ausmachen, dreht sich heute alles um eine Serie, die es besser kann.

Die Serie ist inzwischen bereits zwei Jahre alt, und ich war zunächst unschlüssig, ob ich sie mir ansehen sollte. H.P. Lovecraft hat mich bislang nicht sonderlich interessiert (auch die Adaption seines Werks Die Farbe aus dem All konnte mich nicht begeistern), und mit dem Autor der der Serie zugrundeliegenden Vorlage, Matt Ruff, bin ich nie warm geworden. Fool on the Hill fand ich recht langweilig, Mirage hat zwar eine tolle Grundidee, die aber für meinen Geschmack etwas zu plump umgesetzt wurde, und so ähnlich habe ich mir auch die Serie vorgestellt. Zumal sie von Jordan Peele produziert wurde, dessen Filme ebenfalls oft atmosphärisch dicht und einfallsreich sind, deren Symbolik einem aber häufig mit dem Holzhammer vermittelt wird.

Nach den guten Kritiken war ich aber neugierig und habe der Serie auf Sky eine Chance gegeben: Die Geschichte beginnt Mitte der Fünfzigerjahre mit der Rückkehr von Atticus (Jonathan Majors) aus dem Koreakrieg. In Chicago sucht er nach seinem entfremdeten Vater Montrose (Michael Kenneth Williams), der jedoch spurlos verschwunden ist. Eine kryptische Nachricht lässt jedoch vermuten, dass er sich in einer Stadt namens Ardham befindet, die so klein ist, dass sie auf den Landkarten nicht verzeichnet ist, und in der einst seine Vorfahrin lebte.

Zusammen mit seinem Onkel George (Courtney B. Vance) und seiner Jugendfreundin Letitia (Jurnee Smollett) macht Atticus sich auf die Suche nach seinem Vater und stößt dabei auf ein Geheimnis seiner Familie: Besagte Vorfahrin war Sklavin eines Sektengründers, der mittels Magie die alte biblische Ordnung wiederherstellen und die Tore zum Paradies öffnen wollte, dabei aber scheiterte. Sein Nachkomme will nun dieses Ritual wiederholen, da er aber nur einer Nebenlinie des Meisters entstammt, braucht er dazu das Blut eines wahren Erben, weshalb er Montrose gefangen genommen hat …

Über weite Strecken der Pilotfolge hat man nicht das Gefühl, eine Horrorserie zu sehen. Stattdessen geht es um den alltäglichen Rassismus in den USA. George schreibt an einem Reiseführer für Schwarze, ähnlich dem historischen Green Book, um sicheres Reisen möglich zu machen. Dennoch geraten die drei immer wieder in Gefahr. In manchen Countys ist es für Farbige verboten, sich nach Sonnenuntergang im Freien aufzuhalten, in anderen Städten werden sie ohne Vorwarnung beschossen und gejagt. Es braucht keine Gestalten und Elemente aus dem Horrorgenre für dieses Schreckensszenario, das so eindringlich und mit einer solchen emotionalen Wucht inszeniert ist, dass es einen von Anfang an packt und mit Empörung und nacktem Grauen erfüllt.

Doch dem Genre wird im letzten Drittel der ersten Folge noch genügend Rechnung getragen, denn kaum werden die drei Protagonisten von schießwütigen Polizisten in einem Wald gestellt, tauchen plötzlich gefräßige Monster auf und machen Jagd auf alles, was sich bewegt. Und das wird überaus blutig in Szene gesetzt.

Wie die Romanvorlage besitzt auch die Serie einen episodischen Charakter, verfolgt dabei aber einen roten Faden. Als Gegenspieler fungiert die Tochter des aktuellen Sektenführers, Christina (Abbey Lee), die als Frau ebenfalls von den selbstverliebten Magiern ausgegrenzt und nicht für voll genommen wird. Doch wie die farbigen Protagonisten lernt auch sie, sich die Magie anzueignen und ihre eigenen Pläne zu verfolgen. Als Figur ist sie nicht uninteressant und wie die meisten Charaktere gefangen zwischen ihrer Sehnsucht nach Anerkennung und Gleichberechtigung und den bitteren Erfahrungen gesellschaftlicher Ausgrenzung. Als Antagonistin bleibt sie jedoch zu blass und ist zu wenig präsent. Das rächt sich vor allem im Finale, das leider die schwächste Episode ist.

Eine richtige Anthologie ist die Serie jedoch nicht, die einzelnen Folgen sind in sich nicht abgeschlossen, sondern eher wie Mosaiksteine, die zusammengesetzt eine größere Geschichte ergeben, die sich über ein Jahrhundert und zwei Kontinente hinweg erstreckt. Im Fokus steht immer der gesellschaftliche und historische Kontext. Es geht um Rassismus und Diskriminierung, um den Horror, der sich unter der alltäglichen Oberfläche verbirgt, und man kann nicht sagen, welche Monster gruseliger sind, die menschlichen oder die übernatürlichen. Im Kern ist es eine Ermächtigungsgeschichte, die vom Kampf der entrechteten Schwarzen um Teilhabe an der Macht handelt, auch wenn diese hier als Magie umschrieben wird.

Darüber hinaus sind die Episoden recht abwechslungsreich gestaltet. Es gibt eine Spukhaus-Folge, eine Schatzsuche à la Indiana Jones und mehrere Science-Fiction-Episoden. Mehräugige Monster kommen ebenso vor wie Geister, Gestaltwandler, Dämonen und Aliens, Flüche und Zauber spielen eine wichtige Rolle, Zeitreisen und das Multiversum aber auch. Insgesamt ein abenteuerlicher, wilder, aber dabei stets unterhaltsamer Mix.

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.