Der Film mit dem Titel, den man wohl am leichtesten durcheinanderbringen kann, lief vergangenes Jahr im Wettbewerb der Berlinale, wo er den Großen Preis der Jury erhielt. Grund genug für mich, mir den Streifen bei Sky anzuschauen.
Niemals selten manchmal immer
Autumn (Sidney Flanigan) fühlt sich seit einiger Zeit unwohl und vermutet, dass sie schwanger ist, was ihr bei einer Untersuchung im lokalen Gesundheitszentrum bestätigt wird. Als die Siebzehnjährige nach einer Abtreibung fragt, zeigt die Ärztin ihr ein Video über die negativen Aspekte dieses Eingriffs und will sie zur Adoption drängen. Da eine Abtreibung bei Minderjährigen in Pennsylvania auch ohne die Zustimmung der Eltern nicht möglich ist, entscheidet sich Autumn stattdessen, zusammen mit ihrer Cousine Skylar (Talia Ryder) mit dem Bus nach New York zu reisen, wo man ihr unbürokratischer helfen kann.
Der Kulturkampf in den USA dreht sich um viele verschiedene Themen, und eines davon ist das Recht auf Abtreibung, das 1973 in einem Grundsatzurteil des Obersten Gerichtshofs festgeschrieben wurde. Die Konservativen wollen das Urteil wieder aufheben lassen, weshalb sie in den letzten Jahren eine Reihe restriktiver Gesetze erlassen haben, um das inzwischen von konservativen Richtern dominierte Oberste Gericht erneut über das Thema entscheiden zu lassen. Betroffen sind dadurch bereits jetzt vor allem Frauen aus ländlichen Bezirken und einkommensschwachen Schichten.
Seltsamerweise wurde die Regisseurin und Autorin Eliza Hittman erst durch einen ähnlichen Fall in Irland auf das Thema aufmerksam, in dem es um irische Frauen geht, die für eine Abtreibung nach London reisen. Inspiration geht manchmal seltsame Wege. In jedem Fall ist Hittman ein ernster Film über ein dringliches Thema gelungen, über das man meist in abstrakter Form auf den Politikseiten der Zeitungen liest.
Autumn steht stellvertretend für viele Frauen, die arm sind, minderjährig oder in einer Region Amerikas leben, in der es keine Abtreibungsklinik gibt oder das Gesetz den Eingriff auf andere Art und Weise unmöglich macht. Vielleicht ist dies auch der Grund dafür, warum man praktisch nichts über Autumn erfährt. Man lernt anfangs kurz ihre Familie kennen, die Mutter ist wohlmeinend, aber auch nicht richtig für ihre Tochter da, der Vater ist abweisend, herablassend und mitunter gemein. Kein Wunder, dass das Mädchen sich ihnen nicht anvertraut. Autumn ist völlig allein, sogar Skylar weiht sie erst spät ein, obwohl die beiden sich nahe stehen.
Dramaturgisch gesehen macht es Sinn, die Figur so anzulegen, noch dazu ist Autumn sehr verschlossen und redet nicht über sich oder ihre Probleme, ein Schutzmechanismus, der psychologisch betrachtet Sinn ergibt, es aber insgesamt sehr schwer macht, der Figur emotional nahe zu kommen. Nur einmal bekommt ihr Panzer Risse, wenn sie in der New Yorker Klinik nach ihren sexuellen Erfahrungen befragt wird und zugibt, dass sie mitunter zum Geschlechtsverkehr gezwungen und misshandelt wurde. Entsprechend ist dies der stärkste Moment der Geschichte.
Wie in Beach Rats, einem Porträt über einen jungen Mann in New York, wählt Hittman einen semi-dokumentarischen Stil. Ihre Figuren erklären sich nicht, sie reden nicht über sich oder ihre Gefühle, man erfährt nur sehr wenig über sie und ihren Hintergrund. Vieles passiert beiläufig und unreflektiert. Autumn und Skylar arbeiten beispielsweise in einem Supermarkt, und der Filialleiter küsst ihnen, wenn sie ihm das Geld durch einen Schlitz im Sicherheitsglas übergeben, immer die Hände. Schräg, aber auch unangenehm. Später sieht man, wie fremde Männer die Mädchen in der U-Bahn begaffen, einer befriedigt sich sogar dabei. So wird die sexuelle Gewalt gegen Frauen beiläufig und unaufdringlich in die Handlung eingeflochten und verdeutlicht zugleich auch Autumns Isolation.
Es gibt eine Reihe interessanter Szenen, dazwischen aber auch eine Menge Leerlauf. So gelungen die Momente im Gesundheitszentrum oder in der Abtreibungsklinik sind, so genau Hittman die Welt und die beiden Mädchen darin beobachtet, die Figuren bleiben einem auch ein Stück weit fremd, und zu sehen, wie sie unentwegt ihren Rollkoffer Treppen hinauf- und hinunterschleppen oder sich schweigend in Wartezimmern gegenübersitzen, hat gelegentlich etwas Ermüdendes.
Niemals selten manchmal immer ist ein leiser, unaufdringlicher Film mit einem ernsten Anliegen, keine leidenschaftliche Anklage, sondern eher ein stilles Plädoyer für weibliche Selbstbestimmung und zugleich eine Momentaufnahme der alltäglichen Misogynie in der Welt. Ein Film, der Geduld verlangt und für den man in der richtigen Stimmung sein muss.
Note: 3