Woher rührt die Faszination für Fantomas? Oder für einen anderen Vertreter des Charaktertypus des Superschurken. Ich bin kein Literaturwissenschaftler und weiß nicht, ob meine Theorie richtig ist, aber ich vermute, dass Sherlock Holmes an der Entstehung dieser Figuren nicht ganz unschuldig ist. Wenn man einen Meisterdetektiv auf die Verbrecherwelt loslässt, braucht es auch Superschurken, die ihm gewachsen sind. Der erste ist natürlich Professor Moriarty, den Arthur Conan Doyle selbst ersann und der weitgehend einem realen Verbrecher nachempfunden ist, dem deutsch-amerikanischen Adam Worth, auch bekannt als „Napoleon des Verbrechens“. Als bewusstes Gegenstück zu Holmes entstand 1905 dann Arsène Lupin von Maurice Leblanc. Der erste Film mit ihm heißt sogar Arsène Lupin contra Sherlock Holmes und wurde 1908 gedreht. Natürlich gab es auch in Deutschland schon bald einen Superverbrecher – namens Dr. Mabuse.
Allen Figuren gemein ist, dass sie begnadete Trickser und Täuscher und vor allem Verwandlungskünstler sind. Männer mit tausend Masken. Bemerkenswert ist zudem, dass in diesen Romanen nicht die Ermittler die Hauptfiguren sind, sondern die Bösewichter, und der Leser gezwungen ist, emotional mit ihnen mitzugehen. Hier sprechen die Autoren die Faszination des Bösen an, gleichzeitig halten all diese Schurken der Welt den Spiegel vor. Denn es ist kein Zufall, dass sie gegen Ende des langen 19. Jahrhunderts entstanden sind, kurz vor oder nach dem Ersten Weltkrieg, der die europäischen Gesellschaften und ihre moralischen Grundwerte erschüttert hat.
Diese Männer sind skrupellose Verbrecher, die mit sadistischer Freude rauben und töten. Fantomas etwa ersetzt Parfüm in einem Kaufhaus durch Schwefelsäure oder setzt pestverseuchte Ratten auf einem Passagierschiff aus, das sind keine normalen Verbrechen, sondern perfide Terroranschläge, die Angst und Schrecken verbreiten sollen. Wenn Sherlock Holmes die Bürger beruhigen und ihnen das Gefühl vermitteln soll, das in einer grausamen, unübersichtlichen Welt wenigstens einer den Durchblick hat und das Böse zur Strecke bringt, ist der Superschurke der Stoff aus ihren Alpträumen und gleichzeitig das Fleisch gewordene Symbol für gesellschaftliche Dekadenz und moralische Verkommenheit.
Doch Figuren wie Fantomas erlangten in den Dreißigern auch die Bewunderung der Faschisten und waren damit problematisch in der Darstellung. Die Produzenten der Trilogie der Sechzigerjahre entpolitisierten die Figur daher – und machten aus ihr einen exzentrischen Kauz mit einem ungesunden Hang zu Latexmasken …
Fantomas gegen Interpol
Ein Jahr nach der vergeblichen Jagd auf Fantomas (Jean Marais) ist der Superschurke immer noch verschwunden, und Kommissar Juve (Louis de Funès) erhält für seine Verdienste einen Orden. Doch schon kurz darauf kapert Fantomas ein Interview des Kommissars und macht ihn so vor aller Welt lächerlich. Gleichzeitig enthüllt er im Fernsehen seine Pläne: Nachdem er einen führenden Wissenschaftler, der auf dem Gebiet der Hypnose und Telepathie forscht, entführt hat, strebt er die Weltherrschaft an. Die Pressefotografin Hélène (Mylène Demongeot) macht ihren Verlobten Fandor (ebenfalls Jean Marais) darauf aufmerksam, dass Professor Lefèbvre (noch einmal Jean Marais) in großer Gefahr schwebt, denn seine Forschungsergebnisse ergänzen die des entführten Kollegen. Fandor kommt auf die Idee, Fantomas eine Falle zu stellen, indem er sich als Lefèbvre verkleidet und so als Köder für eine Falle anbietet …
Louis de Funès hat maßgeblich zum Erfolg von Fantomas beigetragen, indem er in bekannter Manier aufdrehte und den eigentlichen Star Jean Marais ziemlich blass und hüftsteif aussehen ließ. Marais war ja eher auf die handfesten Actionrollen abonniert und drehte sogar viele seiner Stunts selbst, für eine Komödie sind jedoch eher andere Qualitäten gefragt. Aus diesem Grund sind beide in der Fortsetzung nun gleichberechtige Hauptdarsteller.
Im Kern ist der zweite Teil der Trilogie eine klassische Verwechslungskomödie, in der Jean Marais sich ständig verkleidet und die meiste Zeit unter Latexmasken schwitzen muss. Das Vorbild Der rosarote Panther von Blake Edwards ist dabei erneut unverkennbar, wobei man fairerweise sagen sollte, dass dessen Bösewicht, das Phantom (!), wiederum an Fantomas erinnert.
Über weite Strecken dominiert diese Verwechslungskomödie so stark, dass Fantomas und sein Plan, die Weltherrschaft zu ergreifen, vollkommen in Vergessenheit geraten. Die Verfolger übernehmen dabei die Methoden des Gejagten und versuchen, ihn mit seinen eigenen Waffen der Verkleidung und Täuschung zu schlagen. Und natürlich stellen sie sich dabei äußerst dumm an.
Verglichen mit seinem Vorgänger, der von einigen Actionszenen dominiert wurde, enthält der Film sehr viel mehr Slapstick und Situationskomik. Die Story des ersten Teils wird im Vorspann in Form eines Zeichentrickfilms nacherzählt, ein hübsches und aufwendiges Detail. Auch insgesamt sieht man, dass das Budget vergrößert wurde, die Kulissen sind prächtiger, die Komparsen zahlreicher und der Aufwand insgesamt größer. Sogar Fantomas erhält ein neues Domizil, eine typische Superschurken-Behausung unter dem Meer, in einem erloschenen Vulkan, inmitten der Ruinen einer antiken Stadt! Und sogar Haie gibt es!! Dieser Teil der Geschichte ist eine wunderbare Parodie auf James Bond, und Kommissar Juve konstatiert nicht umsonst, dass man schließlich in einer „Zeit der Geheimagenten und Gadgets“ lebe. Von letzteren hat er zwei, die zum Einsatz kommen und für eine Menge Gelächter sorgen.
Auch wenn die Story nicht viel cleverer ist als die des ersten Teils, funktioniert sie vor allem als Parodie besser. Sie ist runder und legt mehr Wert auf Details. Gags werden von langer Hand vorbereitet, und in vielen Sequenzen greift sie Elemente des ersten Teils auf, etwa in der Verfolgungsjagd am Ende, die natürlich noch spektakulärer in Szene gesetzt wird. Fantomas tritt immer noch mit Orgelmusik auf (auch wenn nun keine Orgel mehr zu sehen ist), und er hat sogar das typische Schurkenlachen, das heute noch mehr als damals reine Karikatur ist. Seltsamerweise greift Juve dieses Lachen auf, wann immer er einen der Minions von Fantomas tötet …
Louis de Funès macht, was er am besten kann, wirkt aber ein klein wenig zurückgenommener als im ersten Teil. Marais sorgt für den Ernst und die Dramatik, darf sich aber diesmal viel häufiger prügeln. Der heimliche Star ist jedoch Mylène Demongeot. Obwohl Hélène die typische naive Blonde sein soll, kommen von ihr die besten Ideen, und sie rettet die Helden mehr als einmal aus dem – oft selbstverschuldeten – Schlamassel. In der zweiten Hälfte des Films gerät sie sogar selbst ins Fadenkreuz von Fantomas und beweist dabei mehr Stärke und Opferbereitschaft als die Männer.
Wer den ersten Teil mochte, kommt hier auf jeden Fall erneut auf seine Kosten. Wer ihn nicht mochte, sollte der Fortsetzung eine Chance geben, denn sie ist eindeutig besser.
Note: 3