Die drei Fantomas-Filme aus den Sechzigerjahren mit Louis de Funès liefen früher häufiger im Fernsehen, und ich erinnere mich daran, sie als Kind gesehen zu haben, auch wenn sie keinen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Obwohl die Produktionen als Komödie angelegt waren, empfand ich den Anblick von Fantomas in seiner blau-grauen Latexmaske, die jegliche Mimik unmöglich macht, stets als sehr gruselig. Zudem spricht Fantomas in einer sehr monotonen, roboterhaften Art, um so wenig wie möglich über sich preiszugeben. Man kann nicht sagen, dass ich ein Fan der Trilogie war.
Kürzlich liefen alle drei Teile wieder im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, und was lag näher als ein Ausflug in die Vergangenheit? Mit ca. 1,4 Mio. Besuchern war der erste Film 1965 auch bei uns relativ erfolgreich, obwohl er damit damals nur auf Platz 42 der Charts landete, in Frankreich erreichte er aber ungefähr das Dreifache der Besucherzahlen und war damit ein Hit.
Die Titelfigur hat eine interessante Geschichte, die man auf Wikipedia nachlesen kann: Fantômas (auf den accent circonflexe wurde in den Filmtiteln später verzichtet) ist das geistige Kind von Pierre Souvestre und Marcel Allain und sollte ursprünglich Fantomus heißen, aber der Verleger konnte den handschriftlichen Titel nicht richtig entziffern. Das hätte mir auch passieren können …
Souvestre und Allain schrieben oder vielmehr diktierten 32 Romane, die zwischen 1911 und 1913 publiziert wurden. Die Bände mit jeweils rund 400 Seiten erschienen praktisch im Monatstakt – ein unglaubliches Arbeitspensum, das sich vor allem erklärt, wenn man weiß, dass die Autoren pro Zeile bezahlt wurden. Nach Souvestres viel zu frühem Tod 1914 setzte sein Partner die Reihe Jahre später fort, allerdings in einem gemächlicheren Tempo: Zwischen 1925 und 1963 erschienen vierzehn weitere Bände.
1964 war ein bemerkenswertes Jahr für die französische Komödie und insbesondere für Louis de Funès. Obwohl er sich bereits in jungen Jahren während seines Studiums mit Fotografie und Film beschäftigt hatte, kam de Funès, der ein begabter Jazzpianist war, erst mit knapp dreißig zur Schauspielerei – und blieb dann rund zwei Jahrzehnte lang erfolglos. Erst Anfang der Sechzigerjahre fand er mit dem cholerischen Pechvogel, der sich sein Unglück zumeist selbst zuzuschreiben hat, die Rolle seines Lebens. Ein Alternativtitel zu einem späteren Hit, Balduin, der Ferienschreck, beschreibt sein Wesen sehr gut im putzig-gestrigen Jargon dieser Zeit: Der Brausekopf mit den Sausebeinen.
1964 drehte de Funès in nur vier Monaten drei Filme, die ihm den großen Durchbruch brachten und ihn zum Star der französischen, sogar der europäischen Komödie werden ließen. Einer davon war …
Fantomas
Fantomas (Jean Marais) hat eine Vorliebe für edlen Schmuck und tolldreiste Coups. Bei einem Pariser Juwelier erscheint er in der Maske eines Stammkunden und ergaunert so wertvolle Schmuckstücke. Die Polizei und vor allem Kommissar Juve (Louis de Funès) sind ratlos und zunehmend verzweifelt, und der Journalist Fandor (Jean Marais in einer Doppelrolle) macht sich zusätzlich über die Unfähigkeit der Gesetzeshüter lustig. Seine Verlobte, die Pressefotogradin Hélène (Mylène Demongeot), bringt ihn schließlich auf eine geniale Idee: Um die Auflagen seiner Zeitung zu steigern, erfindet er einfach ein Interview mit Fantomas – und gerät so ins Visier des Superschurken …
Man kann diese knapp sechzig Jahre alten Kriminalkomödien unmöglich aus der Sicht der damaligen Zuschauer sehen, zu sehr haben sich unsere Sehgewohnheiten und vor allem auch der soziale Kontext verändert. Schon auf den ersten Blick fällt auf, dass es hier in erster Linie um männliche Eitelkeit geht: Fantomas begnügt sich nicht mit seinen cleveren Raubzügen, die elegant und gewaltlos sind, es reicht ihm nicht, seine Opfer mit seinen Verkleidungen zu täuschen, damit sie ihm freiwillig ihr Hab und Gut aushändigen, er muss es ihnen auch noch unter die Nase reiben. Deshalb hinterlässt er überall seine Visitenkarten und legt sich mit der Presse an. Der Kommissar hingegen will den Verbrechern vor allem deshalb schnappen, um allen zu beweisen, dass er schlauer ist der Kriminelle – und um seinen Vorgesetzten zu gefallen. Der Journalist, der eigentlich nur objektiv berichten sollte, verfällt der Lust an der Sensation und ist dafür auch zur moralisch verwerflichen Täuschung bereit. In einem Artikel über die vergebliche Jagd der Behörden auf Fantomas weist Fandor auf all die Mängel im Land hin, die dringender zu beseitigen wären: korrupte Politiker, wirtschaftliche Fehlentscheidungen und Skandale. Die Gesellschaft, die uns hier präsentiert wird, ist in keinem guten Zustand, kein Wunder, dass das Verbrechen blüht, wenn die Staatsgewalt unfähig und der Journalismus unehrlich ist.
Ob dies damals allerdings tatsächlich als gesellschaftliches Problem angesehen wurde, darf bezweifelt werden. Dazu zählt auch die herablassende, teilweise offen sexistische Art, wie Fandor mit seiner Verlobten umgeht. Mylène Demongeot, die damals ein französisches Sexsymbol war, hat mit ihrer Rolle große Popularität erlangt. Man kann verstehen, warum, denn Hélène ist zwar meistens nicht viel mehr als schmuckes Beiwerk, darf dem Helden und seinem lustigen Sidekick Juve aber am Ende zweimal den Allerwertesten retten, einmal in einem Hubschrauber und dann noch in einem winzigen Schlauchboot, das sie in olympiareifer Zeit etliche Kilometer weit aufs Meer hinausrudert. Natürlich ohne dafür Dank von den Helden zu erhalten.
Als Komödie will der Film in erster Linie unterhalten, und das gelingt ihm auch – allerdings aus heutiger Sicht manchmal auf unfreiwillige Art. Die Produktion orientiert sich vor allem an den James Bond-Abenteuern und inszeniert Fantomas als klassischen Superschurken. Vermutlich diente vor allem Blofeld als Blaupause, doch es gibt auch Parallelen zu Goldfinger, der zur selben Zeit entstand. So hat sich Fantomas eine Superschurken-Festung zugelegt, die in einem mittelalterlichen Gewölbekeller untergebracht ist, aber jede Menge High-Tech-Ausrüstung besitzt. Natürlich offenbart er Fandor, den er hat entführen lassen, auch detailliert seine Pläne (was Superschurken halt immer so tun, Stichwort: Eitelkeit), in denen es vage um Bewusstseinskontrolle geht. Die Raubzüge dienen offenbar nur dem Zweck der Finanzierung. Bemerkenswert sind seine Auftritte, die stets von donnernden Orgelakkorden begleitet werden. Filmhistorische Referenz an die Fantomas-Filme der Stummfilmzeit oder doch eher Verulkung? Und irgendwie ist man enttäuscht, dass er kein Haifischbecken hat …
Man kann den Film nicht ernst nehmen – weil er es selbst auch nicht tut. Spannende Szenen wie etwa jene, in der Fandor und seine Verlobte in einem manipulierten Auto unterwegs sind, dessen Bremsen nicht funktionieren und das immer schneller eine Serpentinenstrecke hinunterrast, werden komödiantisch aufgelöst. Die Freundin kreischt unentwegt und klammert sich so theatralisch an den Fahrer, dass man sich aus heutiger Sicht fragt, ob sie chargiert oder sich absichtlich über das dümmliche Drehbuch lustig macht.
Die Story selbst ist, abgesehen von all dem zeitgenössischen Klamauk, in den sie am Ende versinkt und der an Blake Edwards Der rosarote Panther, aber auch an die drolligen Klamotten um einen gewissen VW-Käfer erinnert, von einfallloser Schlichtheit. Es beginnt mit raffinierten Raubzügen und wandelt sich dann in einen Rachefeldzug, weil Fantomas sich von seinen Gegnern nicht ernstgenommen fühlt, weshalb er abwechselnd in den Masken von Fandor und Juve Verbrechen verübt. Vanitas vanitatum … es ist eben alles eitel.
Aber soll man sich das heute noch ansehen? Ja, warum nicht?! Man kann es aus filmhistorischem Interesse tun, aus nostalgischen Gründen oder einfach nur aus Spaß an der Freud. Auch wenn nicht mehr alle Witze zünden und manches inzwischen eher unfreiwillig komisch ist, ist der Film durchaus unterhaltsam.
Note: 3-