Beinahe täglich werden Remakes oder Reboots von Filmen und Serien angekündigt, so viele, dass man meinen könnte, Hollywood fällt nichts Neues mehr ein. Wenn man sich gleichzeitig die popkulturellen Impulse ansieht, die zurzeit von Südkorea ausgehen, ist das vermutlich nicht von der Hand zu weisen, aber noch lange kein Grund, Trübsal zu blasen. Franchises hat es bekanntlich schon immer gegeben.
Eine Fortsetzung der Matrix-Trilogie hat bei mir keine Begeisterung ausgelöst, was vor allem etwas mit der schwachen Qualität des zweiten und dritten Teils zu tun hat. Zur Vorbereitung auf den vierten Teil habe ich mir die alten Filme kürzlich noch einmal auf Netflix angesehen und war überrascht, wie gut sie sich gehalten haben. Der erste Film ist nach wie vor ein filmgeschichtliches Meisterwerk, an dem einfach alles stimmt, und genau da liegt auch das Problem: Es ist für eine Fortsetzung unglaublich schwer, an diesen Maßstab heranzukommen, geschweige denn, ihn zu toppen. Auch wenn Teil zwei und drei nicht so schlecht sind, wie viele glauben, insbesondere Matrix Reloaded ist ein flottes Action-Feuerwerk, Meisterwerke sind sie nicht.
Mein Verlangen nach einem vierten Teil hielt sich also stark in Grenzen, und es scheint, dass ich mit dieser Meinung nicht alleine dastehe, dennoch bin ich in der Startwoche ins Kino gegangen. Einer muss es ja tun …
Matrix Resurrections
Thomas Anderson (Keanu Reeves) ist der gefeierte Entwickler eines Spiels namens Matrix, das vor zwanzig Jahren ein kulturelles Großereignis war. Sein Geschäftspartner Smith (Jonathan Groff) eröffnet ihm jedoch eines Tages, dass Warner Bros. eine Fortsetzung plane, entweder mit ihnen oder ohne sie. Für Thomas ist diese Entwicklung besonders heikel, denn nach der Veröffentlichung damals litt er jahrelang unter Wahnvorstellungen, weshalb er regelmäßig einen Therapeuten (Neil Patrick Harris) aufsucht und (blaue) Pillen schluckt. Dennoch geschehen immer mehr unerklärliche Ereignisse, und eines Tages taucht ein Mann Yahya Abdul-Mateen II) in seinem Büro auf, der behauptet, Morpheus zu sein …
Schon die ersten drei Filme bedienten sich fleißig bei Lewis Carrolls Klassiker Alice im Wunderland, und auch Teil vier lässt Neo erneut in den Kaninchenbau eindringen und den Zuschauer dabei mitnehmen. Die Geschichte führt uns dabei tiefer und tiefer hinein, auf so viele Ebenen und Metaebenen, dass einem im ersten Drittel mehr als nur einmal schwindelig wird. Regisseurin Lana Wachowski, die zusammen Aleksandar Hemon und David Mitchell auch das Buch schrieb, beweist dabei eine Menge Sinn für Selbstironie, wenn sie Thomas gewissermaßen vor dasselbe Problem stellt, das sie selbst lösen musste: Wie macht man eine Fortsetzung, die außer dem geldgierigen Studio keiner will? Im Film wird eine Erklärung geliefert, die durchaus realistisch zu sein scheint: Die Alternative wäre, dass die Fortsetzung ohne die ursprünglichen Macher realisiert wird. Dann lieber noch einmal in den Kaninchenbau.
Dummerweise sind die beiden Helden der Trilogie am Ende ums Leben gekommen, zumindest Trinitys (Carrie-Anne Moss) Ableben ist verbürgt, während Neos lebloser Körper in Christus-Pose von den Maschinen weggetragen wird. Kein optimaler Ausgangspunkt für einen weiteren Teil.
Doch die Matrix-Trilogie handelte immer auch von Tod und Wiedergeburt, und in der Computerwelt gibt es Updates, Reboots und Neu-Konfigurierungen, was liegt also näher, als sich das zunutze zu machen und wieder von vorn zu beginnen, nur mit einigen Veränderungen? So erinnern vor allem die ersten Minuten so stark an Matrix, dass man sich verwundert die Augen reibt. Nahezu die komplette Eingangssequenz wird kopiert und spiegelt die Irritation der Zuschauer ob der unübersehbaren Abweichungen in der Beobachterin Bugs (Jessica Henwick) wider, die diese Szenen als eine Art Trainingseinheit in der Matrix entdeckt und darin die Geschichte ihres Volkes erkennt.
Für einen Anfang ist das geradezu tollkühn. Auch der dramatische Aufbau orientiert sich stark an der Ursprungsgeschichte, inklusive der Tatsache, dass Neo wieder Thomas ist und die Matrix nun für ein Konstrukt seiner Fantasie bzw. ein Videospiel hält. Wie es gelingt, ihn davon zu überzeugen, dass seine unbestimmten Ängste wahr und seine Halluzinationen echt sind, ist raffiniert erzählt, zitiert schamlos das Original und feiert es zugleich als das Meisterwerk, das es ist. Diese Selbstreferenzialität kann man wahlweise witzig, einfallslos oder genial nennen.
Vielleicht ist Matrix Resurrections eine Art augenzwinkerndes Eingeständnis der Kapitulation: Seht her, besser als damals kriegen wir es auch heute nicht hin. Viele Bilder von damals tauchen wieder auf, sei es der Patronenhülsenregen oder die Katze, die nun Deja-vu heißt und dem Therapeuten gehört. Vieles ist jedoch anders. Der grünliche Schimmer, der über allen Bildern aus der Matrix lag, ist ebenso Vergangenheit wie die übertriebene Coolness, das Posing oder die Lack-Leder-Klamotten.
Im Kern war die Matrix-Trilogie nicht nur ein philosophischer Exkurs über die menschliche Existenz, sondern vor allem auch eine Liebesgeschichte. Und das hat sich glücklicherweise nicht verändert. Die Erklärung, warum Neo und Trinity für die Existenz der Matrix einerseits unentbehrlich sind, andererseits aber unbedingt voneinander getrennt werden müssen, ist jedoch unbefriedigend. Vielleicht muss man den Film mehrmals sehen, um es zu verstehen, allzu wichtig ist es aber nicht.
Trinitys Rettung dominiert die zweite Hälfte des Films, und das ist alles durchaus solide in Szene gesetzt. Es gibt weitere Zitate wie den bereits genannten Patronenhülsenregen, und spannende Action-Szenen, aber keine davon kann an die Raffinesse oder den Einfallsreichtum des zwanzig Jahre alten Originals heranreichen. Man wird gut unterhalten, aber nicht beeindruckt. Dass Trinity am Ende sich gewissermaßen selbst rettet, ist wiederum ein schöner Kommentar zur weiblichen Selbstermächtigung, wie überhaupt schon die alten Filme diesbezüglich wegweisend waren und auch eine sehr diverse Cast besaßen, obwohl das damals noch nicht selbstverständlich war. Vor allem die letzte Transformation Trinitys, über die nicht zu viel verraten werden soll, erscheint im Hinblick auf die Biografie der Regisseurin bemerkenswert und ist vielleicht der persönlichste Grund für die Entscheidung, dieses Sequel zu drehen.
Nicht zuletzt ist auch schön, in der Cast bekannte Gesichter aus dem Dunstkreis der Wachowskis zu entdecken, Brian J. Smith oder Max Riemelt etwa, und mit Jada Pinkett Smith ist wenigstens noch ein Gesicht aus der alten Trilogie an Bord.
Alles in allem eine späte Fortsetzung, die keiner gebraucht hat, die vor allem aber in der ersten Hälfte äußerst raffiniert und danach immerhin noch sehr unterhaltsam ist.
Note: 2-