Don’t Look Up

Der Film war bereits kurz nach seiner Veröffentlichung auf Netflix in aller Munde, was entweder an seiner unglaublich starken Besetzung liegt oder an seinem rabenschwarzen Humor, der offenbar einen Nerv getroffen hat und bei aller Übertreibung einen wahren Kern besitzt. Inzwischen ist um den Film, der in knapp hundert Ländern in den Netflix-Top Ten vertreten ist, eine heiße Debatte zwischen Filmkritikern und Klimaforschern entbrannt, die einen verreißen die Produktion als zu plump, die anderen feiern sie, weil sie auf genau die Probleme aufmerksam macht, mit denen sie täglich zu kämpfen haben.

Wenn ein Film so kontrovers diskutiert wird und so medial präsent ist, muss man ihn doch gesehen haben, oder?

Don’t Look Up

Als Kate (Jennifer Lawrence), Physik-Doktorandin in Michigan, zufällig einen riesigen Kometen entdeckt, der auf die Erde zurast, sucht sie Rat bei Professor Mindy (Leonardo DiCaprio), der ihre Berechnungen bestätigt: Der Komet wird in einem halben Jahr die Erde treffen und nahezu alles Leben auf ihr auslöschen. Zusammen mit dem NASA-Experten Dr. Oglethorpe (Rob Morgan) informieren sie Präsidentin Orlean (Meryl Streep) und ihren Sohn und Stabschef (Jonah Hill) über das nahende Ende der Welt. Doch niemand nimmt sie ernst, und sogar eine Warnung im Frühstücksfernsehen geht im Rauschen der Sozialen Medien unter. Erst als Orlean in einen Sexskandal gerät, nutzt sie den Kometen, um ihre politische Karriere zu retten …

Vor fünf Jahren wäre dieser Film unmöglich gewesen. Die Story ist so gaga, dass man sie auch heute nur schwer den Autoren David Sirota und Adam McKay, der auch Regie führt, abkauft, und schlägt so viele verrückte Kapriolen, dass einem manchmal ganz schwindelig wird. Aber im zweiten Jahr der Pandemie und nach vier Jahren Trump ist die Realität gar nicht mal so weit von den satirisch überhöhten Ereignissen des Films entfernt. Und genau das wird dem Film wohl bei vielen Zuschauern zum Verhängnis: Die Reaktionen auf den nahenden Kometen wirken in vielfacher Hinsicht so real, dass der Film einem Angst macht, andererseits ist unsere Realität inzwischen schon so absurd, dass man manche Ereignisse nicht mehr toppen kann, ohne dabei ins Schrille abzugleiten.

Man weiß nicht, was erschreckender ist, dass eine Geschichte über das Ende unserer Zivilisation so unanständig viel Spaß macht oder dass man die Zerstörung des Planeten geradezu herbeisehnt, weil man die Dummheit der Menschen nicht mehr ertragen kann. Und das gilt nur teilweise für den Film …

Der Zustand unserer Gesellschaft ist bekanntlich ein beklagenswerter, und auch wenn man ähnliche Litaneien bereits vor Jahrzehnten und Jahrhunderten gehört hat, scheint er heute tatsächlich besorgniserregender zu sein als je zuvor. Fakten zählen bekanntlich nicht mehr, sondern nur noch Meinungen, und da gilt der Schwachsinn genauso viel wie die Analyse eines Studierten. Das bekommen auch Kate und Mindy zu spüren, als sie die Präsidentin überzeugen wollen und diese erst einmal darauf besteht, ihre eigenen Wissenschaftler hinzuzuziehen. Auch das kommt einem erschreckend bekannt vor, wenn man an die Aussagen bestimmter Politiker denkt, die den Klimawandel in Frage stellen.

Weil ein Komet anders als ein Virus oder der extrem langsam steigende Meeresspiegel irgendwann auch mit bloßem Auge zu sehen und damit nicht mehr zu leugnen ist, kommt der Slogan der Leugner, der gleichzeitig der Filmtitel ist, ins Spiel. Diese Vogel-Strauß-Mentalität ist so herrlich absurd wie verstörend wahr (und ja, man weiß inzwischen, dass ein Strauß den Kopf nicht in den Sand steckt – obwohl das vermutlich von den jeweiligen Experten abhängt).

McKay, der als Regisseur bei Saturday Night Live angefangen und seine ersten Meriten mit platten Komödien wie Ricky Bobby – König der Rennfahrer oder Stiefbrüder verdient, sich dann aber politischen Dramen wie The Big Short und Vice: Der zweite Mann verschrieben hat, kombiniert hier das Politische mit dem Lächerlichen und streut einige dokumentarische Bildschnipsel ein, um seine Position zu untermauern. In diesem Fall sind es Bilder von der Schönheit unseres Planeten, vor allem von der einzigartigen Tierwelt, aber auch alltägliche Beobachtungen aus fremden Ländern. Damit setzt er starke Kontrastpunkte zur arg amerika-zentrierten Sicht des Buchs und stellt dem irren Klamauk stille Schönheit gegenüber, was zu einem bemerkenswert melancholischen und herzzerbrechendem Ende führt.

In erster Linie ist Don’t Look Up eine bissige, gnadenlose und ein bisschen verzweifelte Abrechnung mit der Politik in den USA und dem Terror der sozialen Medien. Doch bestimmte gesellschaftliche Tendenzen sind nicht allein auf Amerika beschränkt, sondern inzwischen ein weltweites Problem, vor allem in den westlichen Demokratien, und insofern erzählt der Film auch viel über uns und unsere Leben. Darüber hinaus kann man ihn auch klar als filmische Metapher auf den Klimawandel begreifen, vor dem die Wissenschaftler seit Jahren und Jahrzehnten warnen. Inzwischen ist der Komet schon mit bloßem Auge zu sehen, aber es passiert immer noch viel zu wenig. Don’t look up ist ein Slogan, dem sich heutzutage leider zu viele Politiker verschrieben haben.

Zu der beeindruckenden Cast gehören noch eine grandios agierende Cate Blanchett, Tyler Perry, Timothée Chalamet, Ron Pearlman, Ariana Grande und der brillante Mark Rylance als verschrobener Tech-Mogul, der für alles eine nicht funktionierende Lösung hat. Von ein paar kleineren Längen abgesehen ein turbulenter, hinreißender und auch deprimierender Spaß, bei dem einem oft genug das Lachen im Halse stecken bleibt, weil bei aller Überhöhung sehr viel Wahres dahintersteckt.

Note: 2

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.