Es gibt nur wenige Serien, die man sich ein zweites oder sogar ein drittes Mal ansehen kann. Aber es gibt Ausnahmen, Game oft Thrones zum Beispiel oder Downton Abbey. Gerade habe ich die ersten drei Staffeln zum zweiten Mal gesehen (ein paar Folgen sogar zum dritten Mal), und ich bin immer noch hingerissen von der Geschichte und den originellen und liebenswürdigen Charakteren. Laut dem Guinness Buch der Rekorde ist es die erfolgreichste Serie der Welt (wobei ich nicht weiß, ob der Erfolg an den Quoten oder den Preisen gemessen wurde), und für viele, den Schreiber dieser Zeiten eingeschlossen, ist es auch eine der besten.
Mark G. (dem sie auch, allerdings nicht ganz so gut gefällt) wird nicht müde zu betonen, dass selbst der Autor und Schöpfer der Serie, Julian Fellowes, sie als Seifenoper bezeichnet. Was in gewisser Hinsicht sogar stimmt, wenn man einzelne Handlungsstränge herauspickt, die es an Melodramatik fast mit einer lateinamerikanischen Telenovela aufnehmen können. Da gibt es finstere Intrigen, wandern Unschuldige hinter Gitter und werden Liebespaare auf eine harte Probe gestellt. Darüber hinaus ist es aber auch ein fein gezeichnetes Porträt der britischen Gesellschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts und steht damit einer Serie wie Mad Men in nichts nach.
Vor einigen Jahren schrieb Julian Fellowes einen Roman namens Snobs, der mangels Interesse bei uns rasch wieder aus den Buchläden verschwand und nun, dank Downton Abbey, neu aufgelegt wurde. In diesem schildert er den britischen Hochadel zur Zeit der Jahrtausendwende und das liest sich stellenweise wie eine bitterböse Abrechnung mit einer skurrilen Gesellschaftsschicht. Und ein wenig auch wie eine Fortsetzung von Downton Abbey. Fellowes, der in diesen Kreisen aufgewachsen ist und damit aus der Sicht eines Insiders berichtet, macht vor allem eines deutlich: In England hat sich in den letzten hundert Jahren gar nicht so viel verändert. Die Gesellschaftsstrukturen sind durchlässiger geworden, was aber nicht heißt, dass der soziale Aufstieg dadurch leichter geworden wäre.
Der Roman ist interessant, wie eine Schilderung des Lebens und Verhaltens exotischer Tiere in ihrem natürlichen Habitat, liest sich ein wenig aber auch wie eine Vorübung zu seiner Serie. Die Figuren sind nicht so prägnant, die Dialoge könnten witziger sein, und die Story selbst ist reichlich dünn. In Downton Abbey schöpft er dagegen aus dem Vollen und gibt dem Publikum, was das Publikum will.
Es ist unmöglich, hier den Inhalt auch nur ansatzweise wiederzugeben, aber wenn man die mitunter populistischen Kapriolen beiseite lässt, die kleinen und großen Dramen, die so ungeheuer unterhaltsam geschrieben sind, bleibt immer noch ein faszinierendes Sittengemälde übrig. Und der immense Erfolg der Serie ist nicht nur seiner „Seifenopern-Dramaturgie“ zuzuschreiben, sondern liegt auch in dieser genauen Beobachtung begründet, kombiniert mit einem gerüttelt Maß an Nostalgie.
Vielleicht liegt es daran, dass sich gerade viele Ereignisse der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zum hundertsten Male jähren, aber Geschichten aus jener Epoche sind gerade ungeheuer angesagt. Es gibt eine Reihe von Büchern über diese Zeit, wie etwa Florian Illies’ 1913: Der Sommer des Jahrhunderts, die sehr populär sind. Zum Teil liegt das Interesse an einer nostalgischen Rückbesinnung auch daran, dass „die gute alte Zeit“ als weniger hektisch empfunden wird, das Leben einfacher, unkomplizierter, überschaubarer war. Aber gleichzeitig tun sich Brüche auf, die spätestens im Ersten Weltkrieg dann unüberbrückbar werden. Eine neue Zeit bricht an, die unsere Zeit ist, und wehmütig werden wir Zeugen des Untergangs eines Systems, das wir für uns in seiner hierarchischen Starrheit und moralischen Unerbittlichkeit zwar ablehnen, das aber zugleich auch etwas Heimeliges hat.
So ist ein Ausflug in die Welt von Downtown Abbey die ideale Flucht aus dem Alltag in eine fremde, geradezu exotische, aber doch auch vertraute Welt. Die Lebensart war feiner, das Benehmen perfekter, die Wortwahl exquisiter, und es herrschte die Überzeugung, dass es zu allen Themen genau eine richtige Meinung gab, die man sich nur zueigen machen brauchte, um zurecht zu kommen. Heutzutage fällt es einem ja schon schwer, auch nur eine Müslimarke auszuwählen, ohne nicht mit fünfzig widersprüchlichen Studien von Ernährungswissenschaftlern konfrontiert zu werden.
In England lief gerade die vierte Staffel, im deutschen Free-TV (auf Sky waren bereits drei Staffeln zu sehen) kommt Weihnachten erst die zweite im ZDF. Im Nachmittagsprogramm um 17 Uhr. Was wieder einmal beweist, dass die hiesigen Sender nicht mit ausländischen Serien umgehen können. Ich weiß nicht, wie die Quoten der ersten Staffel vor einem Jahr waren, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie gigantisch waren. Dabei ist Downton Abbey überall auf der Welt ein Riesenhit und wäre es auch bei uns, hätten die Programmplaner nur ein Fünkchen Mut.
Aber das ist vielleicht immer noch besser, als wenn ein Redakteur beschließen würde, eine deutsche Serie nach diesem Vorbild zu machen. Die Geschichte eines ostelbischen Krautjunkers und seiner Familie um 1900 herum, mit Heino Ferch als kauzigem Grafen und Veronika Ferres als seine Gemahlin. Gruselige Vorstellung…