Ein Junge namens Weihnacht

Weihnachten steht vor der Tür, und wie jedes Jahr wird das Wesen des Festes beschworen und der Kommerz verurteilt, der es dennoch fest in seinem kapitalistischen Griff hat. Als Fest der Familie und der Liebe ist es eine harte Zeit für viele Singles, weshalb die Weihnachts-Rom-Com zu den Feiertagen gehört wie Glühwein und gebrannte Mandeln, aber auch Kinderfilme stehen hoch im Kurs. Mit Ein Junge namens Weihnacht läuft ein Film in den Kinos, der dem Ursprung des Festes nachspürt – und dabei irritierenderweise den namensgebenden christlichen Aspekt völlig außer Acht lässt.

Die Grundidee klingt auf den ersten Blick also völlig absurd, aber wenn man sich stärker mit dem Hintergrund beschäftigt, erkennt man, dass es in diesem Film allein um die Herkunft einer Figur geht, die bei uns Weihnachtsmann heißt, in Großbritannien Father Christmas und die in den USA als Santa Claus bekannt ist. Historisch gesehen geht die Figur teilweise auf den Heiligen Nikolaus zurück, aber auch auf diverse heidnische Vorbilder, die als Gabenbringer bekannt waren. Es waren dann Luther und die Protestanten, die den Nikolaus als Heiligen ablehnten und den Brauch des Beschenkens auf Weihnachten verlegten, um dadurch den christlichen Charakter des Festes zu betonen. Aber wer bringt nun die Geschenke? Als Ersatz für den Nikolaus wurde zunächst das Christkind gefunden, das aber schließlich die Seiten wechselte und heute vor allem bei den Katholiken erscheint. So blieb den Protestanten am Ende tatsächlich nur der Weihnachtsmann.

Auch in England gab es bereits im Mittelalter einen Father Christmas als Verkörperung der Weihnacht, der manchmal auch Captain Christmas genannt wurde, womit er heute vermutlich besser in Marvels Cinematic Universe passen würde. Seine große Stunde schlug allerdings erst später: In den 1640er Jahren kamen in England die Puritaner an die Macht, und 1647 wurden Weihnachten und andere Feste gesetzlich verboten, weil sie als zu papistisch galten. Für die oppositionellen Royalisten war das ein gefundenes Fressen, weshalb sie in einer PR-Offensive die weihnachtlichen Traditionen mit ihrer politischen Sache verbanden und Father Christmas nicht nur zur Personifikation von Weihnachten, sondern von der guten, alten Zeit allgemein stilisierten.

So richtig populär wurde der Mann aber erst im viktorianischen Zeitalter, woran auch Charles Dickens nicht ganz unschuldig ist, der wie kein anderer die Sentimentalität von Weihnachten herausgestrichen hat (dazu morgen mehr). Im Laufe der Jahrzehnte bekam er sein typisches Aussehen als alter Mann mit Mütze und Bart, bis er schließlich dank der Coca-Cola-Werbung sein heutiges Erscheinungsbild angenommen hat.

In Finnland, wo der Film spielt, heißt die Figur übrigens Joulupukki, aber das kann ja keiner aussprechen …

Ein Junge namens Weihnacht

Ruth (Maggie Smith) springt kurzfristig als Babysitterin für ihre drei Großnichten und -neffen ein, deren Mutter vor nicht allzu langer Zeit verstorben ist. Aus diesem Grund will die Familie auch nicht Weihnachten feiern, doch Ruth will ihnen mit einer Geschichte erklären, welche Bedeutung dieses Fest besitzt: Vor langer Zeit lebte in Finnland ein Junge namens Nikolas (Henry Lawfull), den seine verstorbene Mutter immer Weihnacht genannt hat. Eines Tages ruft der König (Jim Broadbent) die Bevölkerung dazu auf, im fernen Norden nach einem Funken Magie und damit Hoffnung für das Land zu suchen. Nikolas’ Vater Joel (Michiel Huismann) bricht zusammen mit anderen Männern auf und lässt seinen Sohn in der Obhut der gemeinen Tante Carlotta (Kristen Wiig) zurück. Als Nikolas eine geheime Karte findet, auf der seine Mutter den Weg zum Wichteldorf verzeichnet hat, macht er sich schließlich selbst auf die Suche …

An Weihnachten geht es nicht um Geschenke, sondern um den Akt des Schenkens an sich, um die Mühe, die man sich macht, etwas Passendes für jemanden auszusuchen, es hübsch zu verpacken und ihm dann zu überreichen. Dadurch zeigen wir einander, dass wir uns gegenseitig wertschätzen und lieben. Die Botschaft, die allen Weihnachtsfilmen zugrunde liegt, ist also immer dieselbe.

Ein Junge namens Weihnacht basiert auf einem Roman von Matt Haig und wird von Gil Kenan, der zusammen mit Ol Parker auch das Drehbuch verfasst hat, liebevoll und aufwändig in Szene gesetzt. Ein sympathischer, jugendlicher Held, eine sprechende Maus, niedliche Wichtel und ein verzaubertes Dorf sind die passenden Elemente für dieses jahreszeitliche Fantasy-Abenteuer, das sich in erster Linie an die lieben Kleinen wendet, das aber auch Erwachsenen gefallen kann.

Streng genommen ist es eine Origin-Geschichte, denn es geht darum, wie aus einem kleinen Jungen irgendwann der Weihnachtsmann wird. Matt Haig hat entsprechend zwei Fortsetzungen geschrieben (Das Mädchen, das Weihnachten rettete und der noch nicht ins Deutsche übertragene Titel Father Christmas and me), die bei Erfolg vermutlich auch noch verfilmt werden dürften. Wem das alles nun bekannt vorkommt, denkt vermutlich an den Animationsfilm Klaus, der im Grunde die gleiche Geschichte erzählt.

So viel Mühe sich die Macher auch gegeben haben, den Film gut aussehen zu lassen, ihm fehlt es vor allem in der ersten Hälfte entschieden an Tempo und insgesamt an Witz. Es gibt einige Längen und unnötige Umwege, bis der Junge endlich im Dorf der Wichtel ankommt und die Story eine neue Wendung nimmt. Mit der von Sally Hawkins gespielten Mother Something erscheint eine sehr puritanisch geprägte Figur, die Weihnachten und vor allem die Freude der Festtage verbietet. Als Grund dafür wird angegeben, dass die Wichtel zuvor von den Menschen aufgrund ihrer Gutmütigkeit und Großzügigkeit betrogen wurden, und man fragt sich für einen Moment durchaus, ob das eine Anspielung auf den Brexit sein soll oder ob einfach nur der Kulturkampf des 17. Jahrhunderts in unsere Zeit gespiegelt wird.

Alles in allem kann der Film trotz seiner farbenprächtigen Ausstattung, seiner tollen Schauspieler und heiteren Grundstimmung leider nicht richtig überzeugen, dazu ist er viel zu zuckrig, langatmig und beliebig. Ein neuer Weihnachtsklassiker ist es nicht, aber er taugt durchaus, um an Heiligabend seine Kinder damit zu bespaßen.

Note: 3-

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.