Spider-Man: No Way Home

Eigentlich wollte ich heute und in den nächsten Tagen ausschließlich über Weihnachtsfilme schreiben, aber dann kam ein Film dazwischen, der gerade viele Rekorde bricht, weshalb es ausnahmsweise vier Beiträge in dieser Woche geben wird.

Neben den X-Men war Spider-Man immer mein liebster Superheld. Vielleicht wegen seiner unsicheren, tapsig-unbeholfenen Art, die ihn ungeheuer sympathisch macht, vielleicht weil er ein Nerd und ein Außenseiter ist, mit dem man sich besser identifizieren kann als mit einem arroganten Arzt wie Dr. Strange oder einem besonnenen, tapferen Kämpfer wie Captain America. Peter Parker ist unperfekt, tritt oft in Fettnäpfchen und ist häufig ein bisschen vorlaut. Also genauso wie wir.

Die ersten Filme mit Tobey Maguire waren so erfolgreich, dass nach seinem Ausscheiden ein Reboot – mit Andrew Garfield – quasi Pflicht war, doch dann einigten sich Sony und Disney darauf, die Figur ins Marvel Cinematic Universe einzugliedern, was eine erneute Neubesetzung nötig machte. An diesem Punkt hatte ich eigentlich schon genug vom Spinnenmann, doch Tom Holland hat es geschafft, mich wieder neu für die Filme zu begeistern. Nun ist der dritte in unsere Kinos gekommen, und wir waren am Starttag mit dabei.

Spider-Man: No Way Home

Spider-Mans Identität wurde von dem Schurken Mysterio (Jake Gyllenhaal) gelüftet, viel schlimmer jedoch ist, dass die Behörden glauben, er könnte an dessen Tod schuld sein. Gleichzeitig hetzt ein TV-Reporter (J.K. Simmons) gegen den selbsternannten Rächer und bringt die Öffentlichkeit gegen ihn und seine Freunde auf. Peter (Tom Holland), MJ (Zendaya) und Ned (Jacob Batalon) werden beschimpft, von der Presse gejagt und verlieren sogar ihre Studienplätze an einer Elite-Uni. In seiner Not wendet sich Peter an Dr. Strange (Benedict Cumberbatch), damit dieser einen Zauber ausspricht, der jeden vergessen lässt, dass Peter Spider-Man ist. Doch weil er viele Ausnahmen machen möchte, verhunzt Peter den Zauber, und in der Folge werden etliche Spider-Man-Schurken aus Paralleluniversen in die Welt gesogen …

Dieser Film ist eine Hochmesse für den Spider-Man-Fan, ein Best of aller Abenteuer des Spinnenmanns und gleichzeitig eine anrührende, zutiefst menschliche Geschichte über Menschlichkeit, Hass und Vergebung. Vielleicht ist es der Tatsache geschuldet, dass er ein Waisenkind ist, das allen gefallen möchte und dafür seine eigenen Bedürfnisse oft hintan stellt, aber Peter Parker war immer moralischer als die meisten Superhelden – und gleichzeitig in seiner höflichen, beflissenen Art ein bisschen nervig. Diese Charakterzüge kommen im Zusammenspiel mit dem selbstverliebten Dr. Strange noch extremer zur Geltung und sorgen auch für den einen oder anderen Lacher, wenn der Zauberer zwar grundsätzlich gegen eine Verbrüderung mit dem aufgekratzten Teenager ist, gleichzeitig aber seinen Wert in der Riege der Superhelden nicht mindern möchte. Daraus resultieren aber auch die meisten Probleme in dieser Geschichte.

Das Animationsabenteuer Spider-Man: A New Universe hat vor drei Jahren bereits vorgemacht, wie eine Begegnung der Paralleluniversen mit ihren diversen Spider-Mans und ihren Gegnern aussehen könnte, und es scheint, als hätten sich Regisseur Jon Watts und seine Autoren Chris McKenna und Erik Sommers davon sowie von der TV-Serie The Flash, die vor Jarehn eine recht ähnliche Story erzählt hat, eine gute Scheibe abgeschnitten, sich aber auch gleichzeitig an den Comicvorlagen sowie den Vorgängerfilmen orientiert. Mit großem Erfolg, denn das Wiedersehen mit Doc Ock (Alfred Molina), Electro (Jamie Foxx) und Green Goblin (William Defoe) sowie einigen anderen Figuren ist Nostalgie pur. Aber es ist auch mehr als eine reine Nummernrevue, in der ein Schurke nach dem anderen aufmarschiert, um dann einkassiert zu werden. Denn Peter erkennt, dass jeder Bösewicht im Grunde ein Mensch mit einem Defekt ist, den man heilen kann. Diese Einstellung mag etwas naiv anmuten, und Electro fährt ihm auch sofort in die Parade, indem er konstatiert, dass das, was andere als Defekt begreifen, für den Betreffenden auch eine Chance sein kann – und sei es die Chance, alte Verletzungen zu rächen.

Rache spielt in der gesamten Geschichte ein zentrale Rolle. Das beginnt mit Mysterios posthumer Vergeltung und bezieht die Schicksale der Schurken ebenso mit ein wie das von Peter Parker. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern, die sich oft schon in ihrer Origin-Story mit dem Tod und der eigenen Schuld auseinandersetzen mussten, hat dieser Peter Parker erst als Avenger Verluste erleiden müssen. Dies ändert sich nun, wie überhaupt die Weichen in diesem Film für den Helden neu gestellt werden.

Dass Peter am Ende – so viel sei verraten – nicht der Dunkelheit anheimfällt, sondern seinem Wesen treu bleibt, ist wunderbar einfühlsam und emotional erzählt. Es ist eine Story über Verletzung, Heilung und Vergebung, passend zur Weihnachtszeit, weshalb er sich am Ende auch am festlich geschmückten Rockefeller-Center vorbeischwingt, und passend zur gesellschaftlich angespannten Lage in den USA und weltweit.

Der Film ist nicht perfekt – aber nahe dran. Das Multiversum wird seit einigen Jahren leider inflationär benutzt und entspricht in vielen Filmen und Serien ein bisschen dem Äquivalent zum plötzlich aufgetauchten Zwilling aus der Seifenoper: Man kann auf diese Weise tot geglaubte Figuren zurückholen oder neue Charakterstorys erschaffen, wenn diese eigentlich bereits auserzählt sind. Ein bisschen beliebig, aber effektiv. Darüber hinaus gibt es ein paar Längen hier und da, die beiden Post-Credit-Szenen sind leider enttäuschend, und der Erzählung haftet eine grundlegende Naivität an, die aber gut zu Peters Charakter passt. Auf der Habenseite gibt es nicht nur viele Wiedersehen mit Figuren, die man liebt, sondern auch mit solchen, die einen früher genervt haben und die zu sehen einen dennoch seltsamerweise erfreut, und darüber hinaus ein großartiges, spektakuläres Finale. Auch der Humor kommt erfreulicherweise nicht zu kurz.

Alles in allem ein Fest für Fans und solche, die es noch werden müssen.

Note: 2

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.