Bleiben wir thematisch bei der Neuinterpretation eines Klassikers. Das Original habe ich vor langer Zeit einmal gesehen, kann mich aber an nicht allzu viel erinnern, was über die reine Story hinausgeht. Auch Papillon war, ähnlich wie West Side Story, bei uns ein riesiger Hit, hat schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel und schreit nicht unbedingt nach einer Neuverfilmung …
Im 18. und 19. Jahrhundert kam es zu einer Bevölkerungsexplosion in Europa, verbunden mit einem durch die Industrialisierung herbeigeführten tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel. Gleichzeitig und zum Teil auch als Folge davon gab es große soziale Unterschiede und politische Unruhen. Um dem Anstieg der Kriminalität, darunter oft Diebstähle aus purer Not oder politische Umsturzversuche, Herr zu werden, wurden damals Strafkolonien gegründet. Der Staat schlug damit gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Er entledigte sich der Straftäter und konnte gleichzeitig seine Kolonien bevölkern.
Die wohl bekannteste Strafkolonie ist Australien, wohin die Briten ihre Häftlinge schickten, nachdem sie sie nicht mehr nach Amerika abschieben konnten. Mit Mary Bryant – Flucht aus der Hölle gibt es übrigens einen ganz ordentlichen Zweiteiler über die historisch verbürgte Geschichte einer Frau, der es 1791 zusammen mit einer Gruppe Männer gelang, aus Sydney zu fliehen. Ich habe ihn vor ein paar Monaten auf Prime Video gesehen.
Was für die Briten Australien, war für Frankreich Französisch-Guayana. Ab 1852 schickte das Land seine Straftäter auf die drei Îles du Salut, die Inseln des Heils (welch Euphemismus!), im Volksmund besser bekannt als das Archipel der Verdammten. Der prominenteste Häftling auf der Teufelsinsel war Alfred Dreyfus, der es später immerhin wieder zurück nach Frankreich geschafft hat, wo er rehabilitiert wurde. Aber heute geht es um einen anderen Häftling, zu einer anderen Zeit …
Papillon
Henri „Papillon“ Charrière (Charlie Hunnam) ist ein Tresorknacker, der für einen Pariser Gangsterboss arbeitet. Als er ihn bestiehlt, schiebt man ihm einen Mord unter, und obwohl er ein Alibi für die Tatzeit hat, verurteilt ihn das Gericht zu lebenslanger Haft in Französisch-Guayana. Auf dem Weg nach Südamerika freundet er sich mit dem bekannten Fälscher Louis Dega (Rami Malek) an, dem er seinen Schutz anbietet, wenn dieser dafür seine Flucht finanziert. Doch der erste Versuch scheitert, und Papillon landet in Einzelhaft auf der Île Saint-Joseph, besser bekannt unter dem Namen „die Menschenfresserin“ …
Henri Charrière, wegen einer auffälligen Schmetterlingstätowierung Papillon genannt, war ein Schriftsteller, der zwei autobiografisch geprägte Romane über seine Zeit als Häftling und seine abenteuerlichen Fluchtversuche geschrieben hat, die Ende der Sechzigerjahre zu Bestsellern wurden. Schon früh wurde an einer Verfilmung des Stoffes gearbeitet, und 1973 erschien dann die erste, inzwischen legendäre Adaption mit Steve McQueen und Dustin Hoffman in den Hauptrollen. Der Film wurde ein großer Hit und stand auch in Deutschland mit 8,5 Millionen Besuchern an der Spitze der Charts. Charrière erlebte diesen Erfolg leider nicht mehr, denn er starb wenige Monate vor dem Filmstart.
2017 kam dann dieses Remake bzw. die Neuverfilmung des Romans in unsere Kinos – und floppte mit 53.000 Besuchern an den deutschen Kassen. Auch international war dem Film kein Erfolg vergönnt. Man kann es verstehen, denn einen Klassiker der Filmgeschichte neu zu verfilmen, ist immer ein äußerst heikles Unterfangen. Dabei würde eine Neuverfilmung des Stoffes durchaus Sinn machen, wenn man sich stärker am Roman orientieren würde, der noch über etliche unverfilmte Kapitel verfügt und wesentlich abenteuerlicher ist, als die beiden Adaptionen glauben lassen. Aber das hätte den Rahmen eines Films gesprengt und die Produktion einer Miniserie erfordert.
Die Neuverfilmung von Regisseur Michael Noer setzt immerhin früher ein und schildert, wie Papillon zu Unrecht wegen Mordes verurteilt wird. Doch schon in diesen ersten Szenen fällt es einem schwer, emotional mit dem Mann mitzugehen. Zum Teil liegt das an der Tatsache, dass er zwar kein Mörder, doch aber ein Gauner ist, noch dazu ein unehrlicher, zum Teil aber auch daran, dass Noer mehr über die Trennung Papillons von seiner Geliebten als über den unfairen Prozess gegen ihn erzählt. So wird fatalerweise der Eindruck erweckt, dass Papillon durchaus zu Recht verurteilt wird.
Diese mangelhafte emotionale Bindung setzt sich auch später fort. Noers Regie ist seltsam distanziert und gleichzeitig ungeheuer stylisch. Charlie Hunnam sieht selbst als ausgemergelter Häftling noch gut und viel zu gesund aus, und der Dschungel erscheint stets wie eine hübsche Kulisse, nicht wie eine lebensfeindliche Umgebung. Seltsam wirkt auch, dass es zwar eine Menge Wärter und einen Gefängnisdirektor gibt, diese aber trotz aller Grausamkeit nicht zu adäquaten Antagonisten aufgebaut werden.
Es erscheint vielmehr, als wären die Häftlinge allein und vor allem auf sich zurückgeworfen. Abgesehen von der sich nur langsam entwickelnden Freundschaft zwischen Papillon und Dega, die am Anfang eine reine Zweckbeziehung ist, gibt es keine weiteren Verbindungen zu anderen Insassen. Die beiden verbünden sich zwar später für einen weiteren Fluchtversuch mit anderen, aber diese spielen keine nennenswerte Rolle. Im Wesentlichen geht es um Papillon, der durch die Hölle des Strafgefangenenlagers geht und um sein Durchhaltevermögen. Das ist sowohl von Hunnam, der seiner Figur wie immer eine gewisse Schlitzohrigkeit und innere Verletzlichkeit verleiht, als auch von Malek, dessen Dega vor allem von einem zunehmend düsteren Fatalismus geprägt ist, gut gespielt. Es ist vor allem diesen beiden zu verdanken, dass der Film trotz seiner Schwächen funktioniert.
Note: 3-