An den Mord an Gianni Versace kann ich mich noch dunkel erinnern. Zumindest daran, dass ich darüber in der Zeitung gelesen habe, die Ermordung Maurizio Guccis 1995 hingegen ist völlig an mir vorbeigegangen. Mit Sicherheit hat sie ein ebenso großes mediales Echo hervorgerufen, das sich zwei Jahre später mit der Verhaftung und späteren Verurteilung seiner Ehefrau noch gesteigert haben dürfte.
Die Ermordung Versaces war Gegenstand der zweiten Staffel von American Crime Story, und die Serie zeichnete unter anderem ein faszinierendes Porträt des Serienmörders Andrew Cunanan. Im Mordfall Gucci liegen die Motive jedoch im Privaten, und so ist ein Film über dieses Verbrechen zwangsläufig auch eine Geschichte über das Scheitern einer Ehe und einer Familie. In Kombination mit dem Nimbus des legendären Modehauses, der sich aus Reichtum, Macht und Schönheit speist, entsteht ein Projekt, von dem von Anfang an eine starke Faszination ausgeht, und wenn dann noch Altmeister Ridley Scott Regie führt, muss man sich den Film im Kino anschauen.
House of Gucci
Als Patrizia Reggiani (Lady Gaga) auf einer Party Maurizio Gucci (Adam Driver) trifft, hält sie den zurückhaltenden Jurastudenten zunächst für einen Kellner. Doch sein klangvoller Name, der nicht nur in Mailand für Reichtum und Mode steht, elektrisiert sie. Patrizia setzt alles daran, Maurizio wiederzusehen und zu becircen. Das gelingt ihr sogar, doch Maurizios Vater Rodolfo (Jeremy Irons) ist gegen diese Verbindung und verstößt seinen Sohn. Fortan leben Maurizio und Patrizia im Haus ihrer Eltern, und der junge Mann arbeitet in der Transportfirma seines zukünftigen Schwiegervaters. Er ist glücklich, doch Patrizia will mehr und bemüht sogar die Hilfe einer Wahrsagerin (Salma Hayek). Als Maurizios Onkel Aldo (Al Pacino), der die New Yorker Dependance der Firma leitet, zu Besuch in Italien weilt, sieht Patrizia ihre Chance gekommen, den alten Mann um Hilfe zu bitten …
Es ist dieser funkelnde Blick, den Patrizia bekommt, als sie zum ersten Mal den Namen Gucci hört, der das gesamte Schicksal des Paares vorwegzunehmen scheint. In ihm liegt Bewunderung, aber auch Gier und damit der Keim des Verderbens.
Wäre Maurizio kein Gucci, hätte sich eine schöne, selbstbewusste Frau wie Patrizia vermutlich nie mit ihm eingelassen. Umgekehrt hatte Maurizio die Begegnung mit dieser Partybekannten bereits wieder vergessen, als sie ihm „zufällig“ in einer Bibliothek über den Weg läuft – und ihm unverblümt sagt, dass Lesen sie langweile. Man kann seine Faszination für die rassige Schönheit durchaus verstehen, Patrizia ist eine Frau, mit der man(n) eine Menge Spaß haben kann, doch der elegante Schöngeist Maurizio erkennt auch, dass es nur wenig gibt, das sie miteinander verbindet. Er sieht in ihr vor allem eine Chance, dem Einfluss seines strengen Vaters zu entkommen, und er findet sogar Gefallen an dem „einfachen“ Leben, in das er jedoch seinen Sportwagen und ein Dutzend Koffer mit Markenkleidung mitnimmt …
Im Gegensatz zu seiner Familie oder der neuen Verwandtschaft seiner Frau, ist Maurizio ein eher schüchterner Mensch, der das kühle Temperament seiner deutschen Mutter geerbt hat. Kein Wunder, dass Patrizia ihn um den kleinen Finger wickeln kann. Maurizio ist aber auch ein wenig phlegmatisch, und so ist Patrizias Ehrgeiz die treibende Kraft in der Ehe. Wie im Märchen über den Fischer und seine Frau ist sie nie zufrieden mit dem, was sie hat, sondern will immer mehr. Diese Einstellung passt gut zu den Achtzigerjahren, in denen ein Großteil der Handlung spielt, doch Scott springt so schnell durch dieses Jahrzehnt und zitiert so viele Popsongs aus anderen Dekaden, dass man kein richtiges Gespür für den Zeitgeist entwickelt, dafür aber eine Menge zeitgenössischer Mode zu sehen bekommt.
Dank der Großzügigkeit und dem Familiensinn Aldos kehrt Maurizio schließlich in den Schoß der Sippe zurück und Patrizia mit ihm. An dieser Stelle wandelt sich der Film langsam von der verbotenen Liebesgeschichte zur Familientragödie. Maurizio wird Aldos Schützling, während dessen eigener Sohn Paolo (Jared Leto) sich verzweifelt um die Anerkennung der Familie bemüht, die seine künstlerischen Ambitionen verlacht und seinen Dilettantismus bemitleidet.
Aldo und Paolo sind höchst interessante Figuren, der eine hat aus einem lokalen Betrieb eine Weltfirma gemacht, die aber inzwischen unter dem Ruf leidet, altbacken zu sein, der andere erkennt, was sich ändern müsste, überschätzt dabei aber vollkommen seine eigenen Talente. Exzentrisch und exaltiert sind sie beide. Es ist ein Fest für Schauspieler, und Pacino und Leto toben sich in der Darstellung richtig aus. Über weite Strecken ist es ein riesiges Vergnügen, ihnen, aber auch Lady Gaga zuzuschauen, wie sie auf sehr italienische Art kommunizieren.
Vor allem die erste Hälfte des Films funktioniert somit prächtig und lebt von der Intensität des Spiels, den wunderschönen Schauplätzen und der mitreißenden Musik. Es ist leider die zweite Hälfte, die Probleme bereitet. Mit der Zeit nutzen sich die übertriebenen Gesten ab, und man fragt sich, ob es noch Schauspielkunst ist oder Jared Leto gerade anfängt zu chargieren. Auch Lady Gaga trägt zum Ende hin etwas zu dick auf.
Die Probleme liegen vor allem in einem Drehbuch begründet, das versucht, sich nahe an den historischen Ereignissen zu halten, über diese Abbildung jedoch das Wesentliche aus den Augen verliert: seine Figuren. Kann man anfangs sehr gut Patrizias Ehrgeiz nachvollziehen und Maurizios Zögerlichkeit, verwandelt er sich irgendwann in einen Snob, der sich für die ungeschliffenen Manieren und die Ignoranz seiner Frau zu schämen beginnt. Diese Entwicklung vollzieht sich ohne Vorankündigung und so rasch, dass man zusammen mit Patrizia über das plötzliche Ende der Ehe überrascht ist.
Genauso übereilt vollzieht sich auch der Mordplot, auf den die gesamte Geschichte hingeschrieben ist. Die Entwicklung von der gekränkten Ehefrau zur eiskalten Mörderin erfolgt ohne Zwischenschritte und ist nur deshalb nachvollziehbar, weil man das Ende der Geschichte von Anfang an kennt.
Ridley Scott erzählt ein englisches Königsdrama mit den Mitteln der Opera buffa, seine Figuren wirken stellenweise wie Karikaturen ihrer selbst, stellenweise bleiben sie einem aber auch ein Rätsel. Das alles geht auf Kosten der emotionalen Beteiligung des Zuschauers, dem die Figuren mit der Zeit entfremdet werden. Paolos Verrat am eigenen Vater hätte mehr Tragik verdient, aber dazu hätte man der Figur einen Moment der Ehrlichkeit gönnen müssen. Das gilt auch für Patrizia und Maurizio und das Scheitern ihrer Ehe.
Leider nicht das Meisterwerk, das man von Ridley Scott hätte erwarten können, aber insgesamt ein guter, ein weitgehend höchst unterhaltsamer Film mit einem toll aufgelegten Ensemble.
Note: 2-