Freaks – Sie sehen aus wie wir

Meine Watchlist ist voller Filme, die mir – aus welchen Gründen auch immer – interessant genug erscheinen, dass ich sie mir irgendwann ansehen will, zu denen ich aber meistens keine rechte Lust habe. Oft sind es Produktionen, die tolle Kritiken erhalten haben, in denen Schauspieler, die ich mag, mitspielen, oder die zu meinem favorisierten Genre gehören. Dagegen sprechen häufig schwache imdB-Werte oder Inhaltsangaben, die nur wenig Neugier in mir wecken.

Prime Video hat zum Glück eine Rubrik mit Filmen, die bald aus dem Angebot verschwinden werden, und hin und wieder führt der drohende Verlust dazu, dass ich mich endlich mit einem Film auseinandersetze. Alles FOMO, oder was?

Freaks – Sie sehen aus wie wir

Chloe (Lexy Kolker) lebt wie eine Gefangene oder eine Untergrundkämpferin. Seit sie denken kann, ist die Siebenjährige in einem heruntergekommenen Haus eingesperrt, gemeinsam mit ihrem Vater (Emile Hirsch), der sie oberflächlich unterrichtet und sie unentwegt vor mysteriösen Gefahren vor der Haustür warnt: „Böse Menschen“ machten draußen Jagd auf Unschuldige, doch wenn Chloe einen verbotenen Blick aus dem Fenster wirft, sieht sie nur eine langweilige Straße in einem Vorort und bisweilen einen Eiswagen, an dem das Nachbarmädchen Harper (Ava Telek) eine Erfrischung kauft. Chloe beneidet sie um diese Normalität und trifft Harper in ihren nächtlichen Träumen – oder in einer seltsamen Zwischenwelt, nicht Schlaf, nicht Wachzustand. Dort erscheint ihr auch regelmäßig eine Frau in Ketten, die sich als ihre tot geglaubte Mutter entpuppt …

Dieser Science-Fiction macht es sich selbst und seinen Zuschauern unnötig schwer. Die vage Inhaltsangabe und die wohlwollenden Kritiken wecken zwar die Neugier, aber der Anfang des Films ist so zäh und stellenweise verwirrend, dass man unentwegt darüber nachdenkt, ob man sich das noch länger antun soll. Zum einen liegt das am niedrigen Budget, das sich unweigerlich auf den Look auswirkt, zum anderen an einem schwachen Drehbuch, das den Zuschauer zu Beginn absichtlich in die Irre führen möchte.

Die beiden Autoren und Regisseure Adam Stein und Zach Lipovsky haben ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ihr Film zum mehrmaligen Anschauen gedacht ist, damit sich viele Details erst beim zweiten oder dritten Mal erschließen. Das hätten sie sich sparen können, denn man versteht schon relativ bald, dass Chloe und ihr Vater zu jenen titelgebenden Freaks gehören, Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten, die von der Regierung gejagt, in Reservate übersiedelt oder eingesperrt werden. Die beiden Autoren ließen sich dazu vom politischen Klima in den frühen Trump-Jahren und der unmenschlichen Behandlung von illegalen Einwanderern inspirieren.

Hätte es nicht Filme wie die X-Men-Reihe, die Serie Heros oder etliche thematisch ähnliche Produktionen gegeben, hätte dieser Kniff sicherlich besser funktioniert, so ist die Handlung stellenweise unnötig verwirrend, und es dauert zudem viel zu lange, bis endlich etwas Spannendes passiert. Doch die Geduld, die auf eine harte Probe gestellt wird, zahlt sich schließlich aus, denn die letzten 30 bis 40 Minuten sind hochspannend und machen vieles wieder wett, was nicht so gut gelungen ist.

Note: 3-

Nachdem ich mir den Film noch schnell auf Prime Video angesehen habe, bevor er verschwindet, ist er – nur Tage später – auf Netflix erschienen. Welch Ironie …

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Pi Jays Corner und verschlagwortet mit von Pi Jay. Permanenter Link zum Eintrag.

Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.