Auf der Filmmesse Köln habe ich im September einige neue Produktionen gesehen, die in diesem und Anfang nächsten Jahres starten. Dazu gehört auch Last Night in Soho, der morgen in unseren Kinos anläuft. Über diesen Film waren in den letzten zweieinhalb Jahren so viele Gerüchte im Umlauf, dass meine Neugier ständig gewachsen ist. Inhaltlich war nicht viel bekannt, aber das, was man wusste, weckte die schönsten Erwartungen …
Last Night in Soho
Die introvertierte Ellie (Thomasin McKenzie) hat einen Platz am begehrten Londoner College of Fashion ergattert und verlässt das behütete Haus ihrer Großmutter, wo sie aufgewachsen ist. Ihre Mutter hat Selbstmord begangen, als Ellie noch ein Kind war, und sie sieht bis heute immer wieder ihren Geist im Spiegel.
Als Ellie in London eintrifft, ist sie von der negativen Energie der Stadt und ihren Kommilitonen bald so genervt, dass sie sich eine Bleibe im Haus der älteren Miss Collins (Diana Rigg) sucht. Doch als sie sich am Abend schlafen legt, erwacht sie plötzlich im London der Sechzigerjahre im Körper der attraktiven Sandy (Anya Taylor-Joy), die versucht, eine Karriere als Sängerin zu starten. Ellie war schon immer besessen von dieser Ära und genießt diese lebhaften Ausflüge in die Vergangenheit, durch die sie selbst immer selbstbewusster wird. Doch dann kippen ihre Visionen ins Alptraumhafte, denn Sandy gerät an den charmanten, aber auch brutalen Jack (Matt Smith), der sie zur Prostitution zwingt und ihr – davon ist Ellie überzeugt – sogar etwas antun wird …
Regisseur Edgar Wright, der mit Krysty Wilson-Cairns zusammen auch das Drehbuch schrieb, erzählt in seinem neuesten Film von der Macht der Träume, die unvermittelt in eine verzerrte, zerrissene Alptraumversion ihrer selbst verwandelt werden können. Ellie will unbedingt Modedesignerin werden, ist aber den Intrigen ihrer Zimmernachbarin nicht gewachsen und auch nicht hart genug, um in diesem Business anfangs zu bestehen. Sie träumt von London, das sich jedoch als rau und feindselig entpuppt, und sogar die verführerische Welt der Swinging Sixties, von der sie seit ihrer Kindheit fasziniert war, entpuppt sich als hässlicher Ort, der Existenzen zerstört und Träume vernichtet.
Auch wenn vieles wie ein Märchen beginnt, räumt Wright sehr schnell die Illusionen ab und zeigt die Welt als einen Ort, an dem Frauen den gierigen Blicken, obszönen Bemerkungen und schmierigen Händen der Männer hilflos ausgeliefert sind. Ob es nun die zarte, schüchterne Ellie ist oder die raffinierte, selbstbewusste Sandy – beide müssen sich gegenüber einer übergriffigen und brutalen Männerwelt behaupten.
Der Film nimmt sich am Anfang viel Zeit, um Ellie vorzustellen und von ihrem Start in London zu erzählen. Leider wird dabei sehr gründlich eine Fehde mit ihrer Zimmernachbarin etabliert, die Ellie um ihr Talent und sogar ihr schweres Schicksal beneidet, die aber dann keine Rolle mehr spielt. Der Fokus verlagert sich schließlich auf Sandy, deren Schicksal schon früh ein tragisches zu sein scheint, auch wenn die Geschichte im letzten Drittel einige überraschende Wendungen nimmt und nichts so ist, wie es scheint.
Wright scheut dabei nicht vor Bildern zurück, die den Zuschauer ganz offen belügen, und auch wenn er sich da in guter Gesellschaft befindet, ist es eine Form der Irreführung, die nicht bei allen gut ankommt. Auch schleichen sich in der zweiten Hälfte einige Längen ein, wird Ellie ein paarmal zu oft von den gierigen grauen Männern verfolgt, die Sandys Leben ruiniert haben.
Alles in allem erzählt der Film eine faszinierende Geschichte, die von Geistern, Zeitreisen und Mord handelt und mit einem fulminanten Ende aufwartet, das überraschend, spannend und tragisch zugleich ist. Kein perfektes Werk, aber ein ungewöhnliches, das noch lange nachhallt.
Note: 3+