Ob Ian Fleming, als er 1952 in seinen Flitterwochen mit Casino Royale den ersten James Bond-Roman schrieb (was sonst sollte man wohl so als frisch Verheirateter tun?), bereits den späteren Erfolg ahnte? Dass er die Rechte an Hollywood verkaufen konnte, dürfte ihn zumindest bestärkt haben, es ist aber in erster Linie seinem Durchhaltevermögen zu verdanken, dass es dieses erfolgreiche Franchise heute noch gibt, denn die erste Verfilmung fürs US-Fernsehen war ein Flop, und die bereits geplante und zum Teil geschriebene Serie wurde nie gedreht. Fleming verfasste bis 1957 noch vier weitere Bücher und wollte es dann eigentlich gut sein lassen. Doch inzwischen war die Reihe enorm erfolgreich, und so wurden es am Ende ein Dutzend Romane und neun Kurzgeschichten …
1962 fiel dann der Startschuss zu einem der langlebigsten Franchises in der Kinogeschichte. Nur die Godzilla-Reihe dürfte älter sein, und beiden gemeinsam ist eine inspirierende und äußerst beständige Titelfigur – auch wenn der Vergleich auf den ersten Blick vielleicht befremdlich anmutet. James Bond ist ein sogenannter Charaktertyp, also eine statische Figur, charakterlich unverändert, die – anders als gewöhnliche Hauptfiguren in einem Film – keine Wandlung durchläuft, sondern immer gleich bleibt. Das macht ihn (wie Godzilla) verlässlich, zu einer sich nie verändernden Projektionsfläche für die Fans, aber insgesamt auch ein bisschen langweilig. Aus diesem Grund war ich nie ein Fan der Reihe.
Früher war also auf wenige Dinge so sehr Verlass wie auf James Bond. Wenn man sich ein wenig mit der Figur beschäftigt, erfährt man interessante Dinge, die von John Pearson 1973 in einer Biografie auf Basis verschiedener Äußerungen von Fleming in seinen Romanen und anderen Quellen zusammengetragen wurden. Vielleicht wissen nur die eingefleischten Fans, dass er nach einem Vogelkundler benannt ist oder in Wattenscheid geboren wurde.
Das alles gilt natürlich nicht für die Bond-Figur in den Kinofilmen. Inzwischen gibt es sechs Verkörperungen der Figur, man könnte auch von sechs unterschiedlichen Ären sprechen, und gerade geht die jüngste mit Daniel Craig nach fünf Filmen zu Ende. Schon 2006, als Casino Royale in die Kinos kam, war klar, dass die Produzenten diesmal alles anders machen würden, sie begannen praktisch bei Null und etablierten James Bond als neue Figur, die erstmals offen für charakterliche Veränderungen war. Und sie erzählten erstmals eine durchlaufende Geschichte über fünf Filme, die nun spektakulär endet.
James Bond 007: Keine Zeit zu sterben
Ein maskierter Mann dringt in ein abgelegenes Haus in Norwegen ein, um einen Mr. White und seine Familie zu töten, aus Rache für die Auslöschung der eigenen Verwandten. Er erschießt die Frau des Mannes, verschont aber dessen kleine Tochter, obwohl sie ihn verwundet.
Etliche Jahre später: James Bond (Daniel Craig) und Madeleine Swann (Léa Seydoux) reisen gemeinsam nach Materna. Bond will das Grab seiner verstorbenen großen Liebe Vesper Lynd besuchen, und Madeleine hofft, dass er auf diese Weise endlich die Vergangenheit hinter sich lassen und sich auf ihre Beziehung konzentrieren kann. Doch ein Anschlag auf das Leben des Agenten lassen ihn an ihrer Loyalität zweifeln, und er trennt sich von ihr …
Fünf Jahre später ist Bond im Ruhestand, als er von seinem CIA-Kollegen Felix Leiter (Jeffrey Wright) kontaktiert wird: Eine unbekannte Terrororganisation hat eine Biowaffe samt deren Entwickler aus einem geheimen MI6-Labor entführt. Wider Willen wird er in die Ermittlungen hineingezogen, woran Nomi (Lashana Lynch), seine arrogante Nachfolgerin als 007, nicht ganz unschuldig ist. Um diesen Fall zu lösen, muss Bond sich seiner Vergangenheit stellen, vor allem Blofeld (Christoph Waltz), der nach wie vor versucht, ihn zu töten, aber auch Madeleine Swann, die den Schlüssel zum Fall in ihren Händen hat …
Bond ist einfach nicht Bond in diesem Film: Kein Agent mit der Lizenz zum Töten und kein notorischer Verführer – nur sein Lieblingsdrink ist immer noch derselbe. Wie gesagt, früher war auf keine Figur so sehr verlass wie auf James Bond. Die Jungen wollten alle so sein wie er, cool und welterfahren, ein harter Kerl, der jeden Kampf gewinnt, die Welt rettet und nebenbei eine Menge junger Frauen verführt. Inzwischen ist das alles ziemlich problematisch. Vor allem die Sache mit den jungen Frauen.
Kürzlich war irgendwo zu lesen, dass die meisten der sexuellen Begegnungen in den alten Bond-Filmen heute wohl den Straftatbestand der Vergewaltigung oder mindestens der sexuellen Nötigung erfüllen würden. Bond als notorischer Sextäter, wer hätte das gedacht? Nun, verwunderlich ist es nicht, wenn man sich die alten Filme ansieht, die nur deshalb damals nicht beanstandet wurden, weil sie eben Männerfantasien waren und viele Männer glauben wollten, dass jede Frau bei einem „richtigen“ Mann dahinschmelzen muss. Entsprechend waren die Bond-Girls allesamt jung und willig.
Diese Tage sind zum Glück vorbei (wir kommen aber später darauf zurück), und inzwischen hat James Bond es mit erfahrenen und gleichberechtigten Frauen zu tun, die manchmal seine Vorgesetzten waren (Judi Denchs M) oder in die er sich gelegentlich verliebt. In gewisser Weise kann man die Daniel Craig-Filme auch als eine tragische Liebesgeschichte begreifen, denn seit Casino Royal ist Bond über den Tod seiner Geliebten Lynd nicht hinweggekommen. So emotional und verletzlich war kein Bond je zuvor, und gerade das macht ihn – erstmals – wirklich sympathisch.
Das emotionale Herz des letzten Craig-Abenteuers ist entsprechend seine Beziehung zu Madeleine Swann, Tochter von Mr. White, mit dem Bond eine lange, komplexe Geschichte verbindet, die in Casino Royale ihren Anfang nahm und in Spectre mit Whites Tod endete. Sie trägt insofern einige Züge von Romeo und Julia, dass die beiden aus gegnerischen Lagern stammen und ihre Liebe durchweg von Tragik und Verlust umflort ist. Der zeitgenössische Bond ist kein raffinierter Verführer, sondern ein leidender Liebender, und das macht ihn für ein weibliches Publikum endlich attraktiv.
Damit den Männern auch etwas geboten wird, gibt es noch die üblichen Kämpfe, Verfolgungsjagden und politischen Machenschaften. Früher, als Bond noch einfach gestrickt war, waren auch die Rollen klarer verteilt: Gut und Böse, der Westen und der Osten, das Ganze war ein Kabuki-Theater ohne Überraschungen. Mit dem Ende des Kalten Krieges wurde jedoch alles immer unübersichtlicher, und am Ende blieben nur die üblichen Terror-Organisationen mit ihren überkandidelten Anführern als Gegenspieler übrig. Leider hat sich an dieser Front nichts zum Besseren verändert. Zwar lässt sich auch hier ein roter Faden von Casino Royale zu Keine Zeit zu sterben ziehen, der beweist, dass alles mit allem zusammenhängt. Wie Matrjoschka-Puppen kommt mit dem Tod eines Bösewichts sogleich ein neuer zutage, jedes Ende einer Organisation enthüllt, dass eine weitere übergeordnet ist. Auf Dauer ist das verwirrend und ermüdend.
Ernst Stavro Blofeld war schon immer Bonds Nemesis. Gebraucht wurde diese Figur früher, um diplomatische Verwicklungen mit der UdSSR zu vermeiden und dem eher abstrakten Kalten Krieg ein menschliches Antlitz entgegenzusetzen. In der Craig-Ära wurde diese Beziehung zwar auch um eine persönliche Backstory ergänzt, aber mit Christoph Waltz wurde diese Figur nie zu dem ikonischen Bösewicht, die sie früher war. Auch für sie endet hier die Geschichte, und man kann sagen, es ist überaus poetisch.
Ohne viel über das Finale zu verraten, sei gesagt, dass Regisseur Cary Joji Fukunaga und sein Team aus Drehbuchautoren sich eine Menge Mühe gegeben haben, die fünfteilige Reihe zu einem befriedigenden Ende zu bringen. Schon der Vorspann lässt erahnen, dass man es hier mit einer Heldendämmerung zu tun hat, und die Atmosphäre ist durchweg elegisch. Das alles ist höchst gelungen.
Das größte Manko ist leider in diesem Fall der Bösewicht: Rami Malek macht wie immer als Schauspieler eine gute Figur, doch sein Lyutsifer Safin ist ein furchtbar papierener Schurke. Dass er wie seine berühmten Vorgänger eine eigene Insel mit Bunkersystem bekommen hat, gehört noch zu den besseren Einfällen, weil es so cheesy ist, dass man es schon wieder gut finden kann. Doch schon bei seinen Absichten wird es schwammig. Was plant der Mann? Man weiß es nicht, und die grottenschlechten Dialoge in diesen Szenen lassen den Zuschauer auch weitgehend im Dunkeln. Von dem dämlichen Namen mal ganz zu schweigen. Das Gute ist, dass es eigentlich keine Rolle spielt, genauso wenig wie der MacGuffin, die Bio-Waffe, die Bond sucht und über die man besser nicht zu genau nachdenken sollte.
Am Ende halten sich in diesem Film wie auch in der Craig-Reihe insgesamt die guten und die schlechten Einfälle in der Waage. Die Veränderungen an der Figur kann man begrüßen, auch die durchgehend erzählte Geschichte ist grundsätzlich eine gute Idee, auch wenn sie leider in der Umsetzung viel an Cleverness und Raffinesse missen lässt. Für mich waren nur zwei Filme aus der Craig-Ära wirklich gelungen, und das waren der erste und der letzte, wobei Skyfall durchaus noch akzeptabel war. Leider überwogen immer noch zu viele Klischees, vor allem auf Seiten der Bösen, die viel zu austauschbar waren. Gute Schurken sind generell spärlich gesät.
Ganz zum Schluss tauchen auf der Leinwand natürlich wieder die berühmten Worte auf: James Bond will return. Die Ära Daniel Craig ist zu Ende, und nächstes Jahr werden wir erfahren, wer sein Nachfolger werden wird. Es wird viel spekuliert, aber man kann schon jetzt sagen, dass er höchstwahrscheinlich männlich, weiß und Mitte dreißig sein wird. Warum? Weil Bond immer noch Bond bleiben muss. Ein Großteil seiner Fans waren und sind weiße Männer, und viele von ihnen reagieren gerade ohnehin sehr empfindlich auf die Veränderungen unserer Zeit. Ein Macho-Bond wie in den Sechzigerjahren, der jede junge Frau einfach aufs Bett werfen und vernaschen kann, ist heute einfach nicht mehr möglich. Um das Publikum aber nicht zu sehr zu verschrecken, muss Bond wenigstens äußerlich dem entsprechen, was Ian Fleming sich 1952 in seinen Flitterwochen vorgestellt hat. Das bedeutet, dass es wenigstens in naher Zukunft weder eine Jane Bond geben kann (vielleicht wurde Nomi auch deshalb so negativ eingeführt, um eine Diskussion über eine mögliche weibliche Nachfolge bereits im Keim zu ersticken) noch einen schwarzen, asiatischen oder schwulen Agenten. Bisher haben sich die eher handfesten, der Arbeiterklasse entstammenden Typen mit den intellektuelleren, Gentleman-Typen regelmäßig abgewechselt, auf den zupackenden, kantigen Daniel Craig dürfte daher eher ein stromlinienförmiger Typ Mann folgen. Die Wetten laufen schon …
Note: 3