Manche Filme sind etwas schwer zu packen. I See You: Das Böse ist näher als du denkst besitzt – vor allem im ersten Drittel – die beklemmende Atmosphäre eines Horrorfilms, verwandelt sich dann aber in einen spannenden Thriller, der mit einigen Überraschungen und Enthüllungen aufwartet. Entsprechend schwer ist es, über ihn zu schreiben, ohne viel zu verraten …
I See You: Das Böse ist näher als du denkst
Ein zehnjähriger Junge radelt durch einen Wald und wird urplötzlich von seinem Fahrrad gerissen. Es ist nicht das einzige Kind, das spurlos verschwindet, und der Ermittler Spitzky (Gregory Alan Williams) fühlt sich sofort an eine frühere Mordserie erinnert. Doch der Täter sitzt nach wie vor im Gefängnis.
Sein Kollege Greg Harper (Jon Tenney) hat zusätzlich zu diesem Fall noch mit privaten Problemen zu kämpfen, denn seine Frau Jackie (Helen Hunt) hat ihn mit ihrer Jugendliebe Todd (Sam Trammell) betrogen. Die Spannungen übertragen sich auch auf ihren Sohn, wodurch es zunächst keinem auffällt, dass es im Haus nicht mit rechten Dingen zuzugehen scheint …
Okay, der letzte Halbsatz führt ein wenig in die Irre, denn auch wenn die Atmosphäre an einen Horrorfilm erinnert, gibt es nichts Übernatürliches in der Geschichte. Man merkt sogar schon in den ersten Szenen, die im Haus der Familie spielen, dass hier sehr irdische Kräfte am Werk sind, denn es hat sich ein Eindringling eingenistet.
Im Verlauf der Story wird diese Form des Einbruchs, bei der sich fremde Menschen in einem Haus aufhalten, ohne dass dessen Bewohner es bemerken, als „phrogging“ bezeichnet. Falls es dieses Phänomen wirklich gibt (ich möchte das lieber nicht recherchieren), ist es höchst beängstigend. Die Idee an sich ist aber nicht neu. Auch die mysteriösen Morde in Hinterkaifeck wurden mit einem Eindringling in Verbindung gebracht, der sich auf dem Dachboden aufgehalten hat, und in dem Roman Die Behandlung von Mo Hayder lebt der Mörder ebenfalls unentdeckt im Haus.
Bei Familie Harper beginnt es harmlos mit einer verschwundenen Tasse, dann mit anderen Kleinigkeiten, der Hamster läuft plötzlich frei herum, und einmal sperrt jemand Greg in einem Schrank ein. Die Ereignisse spitzen sich ebenso wie der Ehestreit immer weiter zu, und dann passiert tatsächlich ein Mord.
Mehr sollte hier nicht verraten werden. Nur so viel: Im zweiten Drittel wechselt die Perspektive, und man erlebt alles noch einmal aus der Sicht des geheimnisvollen Gegenspielers. Hier treten dann zwar einige Längen auf, und nicht alles Vorkommnisse werden zufriedenstellend erklärt, interessant ist die Geschichte aber immer noch. Im letzten Drittel wiederum erfährt man, was dies alles mit den verschwundenen Kindern zu tun hat, und sogar in den letzten Minuten gibt es einen unerwarteten Twist, der einen neuen Aspekt enthüllt.
Das alles ist clever gemacht und spannend von Adam Randall in Szene gesetzt. Das Drehbuch von Devon Graye verstößt zwar gegen eine Grundregel des Krimischreibens und verzichtet für seine vielen Wendungen auf psychologische Tiefe, worüber man jedoch großzügig hinwegsehen kann. Schade ist auch, dass die Figuren wenig sympathisch sind und Helen Hunt in der zweiten Hälfte praktisch verschwindet. Das hat sie ebenso wenig verdient wie die missglückte Schönheits-OP.
Alles in allem leider nicht perfekt, aber der beste Thriller, den ich seit Gone Girl gesehen habe.
Note: 3