Von Japan ging es gestern nach Indien und heute zu koreanischen Einwanderern in die USA. Nach Nomadland war der zweite Film, den wir uns angesehen haben, Minari – Wo wir Wurzeln schlagen.
Der deutsche Untertitel ist diesmal sogar gar nicht schlecht gewählt, aber dennoch frage ich mich immer häufiger, ob wir sie überhaupt brauchen? Minari ist zwar kein sprechender Titel, aber ein leicht auszusprechendes Wort, bei dem man nicht Gefahr läuft, sich an der Kasse zu blamieren. Und auch in der Presse wurde er zumeist nur Minari genannt.
Bei den Oscars ist der sechsfach nominierte Film weitgehend leer ausgegangen, lediglich Yuh-Jung Youn bekam den Preis für die beste Nebenrolle, was einerseits verdient ist und andererseits schön, weil es die Diversität erhöht, gleichzeitig tat es mir auch für Glenn Close leid, die damit bereits zum achten Mal leer ausging.
Minari – Wo wir Wurzeln schlagen
In den 1980er Jahren zieht der kleine David (Alan S. Kim) mit seiner Familie von Kalifornien in das ländliche Arkansas. Sein Vater Jacob (Steven Yeun) will dort eine kleine Farm aufbauen und setzt dafür das Familienvermögen aufs Spiel. Seine Frau Monica (Han Ye-ri) ist gegen diesen Plan, weil David unter einem angeborenen Herzfehler leidet und sie das Geld möglicherweise für eine Operation benötigen. Außerdem wäre im Ernstfall das nächste Krankenhaus viel zu weit entfernt. Zusammen mit dem skurrilen Paul (Will Patton), der viel betet und am Sonntag ein mannshohes Kreuz über die Landstraße schleppt, baut Jacob die Farm auf, aber es läuft schlecht. Um Monica zufriedenzustellen, holen sie ihre Mutter Soon-ja (Yuh-Jung Youn) aus Korea zu sich. Doch David ist nicht gerade begeistert von der alten Dame …
Der Film wird weitgehend aus der Sicht des Jungen geschildert, was nicht verwunderlich ist, wenn man weiß, dass die Geschichte von den Kindheitserinnerungen des Regisseurs und Drehbuchautors Lee Isaac Chung inspiriert ist. David muss eine Menge verarbeiten: den Wegzug aus seiner vertrauten Umgebung und das neue Leben auf dem Land, noch dazu in einem mobile home auf Rädern, das schon mal bessere Tage gesehen hat. Noch schlimmer wird es für ihn, als die Großmutter zu ihnen zieht und in seinem Zimmer schläft. Denn Soon-ja ist leider nicht die liebevolle, Cookies backende Bilderbuchoma, die David aus dem US-Fernsehen kennt, sondern eine ruppige alte Dame, die viel flucht, ihn beim Kartenspiel abzockt und auch sonst merkwürdige Gewohnheiten an den Tag legt.
Minari könnte man leicht für eine Hommage an skurrile Großmütter halten, was er in gewisser Weise auch ist, aber in erster Linie ist es ein Familiendrama und ein Einwandererfilm. Chung konzentriert sich neben David und Soon-ja vor allem auf Jacob, der sich mit der Arbeit auf einer Hühnerfarm das nötige Geld verdient, um seinen persönlichen amerikanischen Traum wahrwerden zu lassen. Dabei geht er nicht gerade planmäßig vor und muss eine Menge Lehrgeld zahlen, und immer, wenn man glaubt, dass sich das Schicksal zum Besseren wenden könnte, erfolgt ein neuer Rückschlag.
Es gibt in der US-amerikanischen Filmgeschichte ein ganzes Subgenre, das passenderweise save the farm-Movies betitelt ist. Mit der Großen Depression in der Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts begann der Niedergang der Familienfarmen, und seit den Achtzigerjahren drohen diese kleinen Betriebe langsam gänzlich auszusterben. Von der John Steinbeck-Verfilmung Früchte des Zorns bis zu Melodramen wie Menschen am Fluss kann man diese Entwicklung in der Filmgeschichte gut nachverfolgen. Minari hat viel mit Jean Renoirs Der Mann aus dem Süden von 1945 gemein, aber auch mit Jim Sheridans Einwandererdrama In America von 2002. Inhaltlich sitzt er damit zwischen zwei Stühlen, bekommt diesen Spagat aber ganz gut hin.
Es gibt einiges, was man an Minari mögen kann, ganz besonders die schrullige Großmutter, die in den meisten Szenen für den nötigen Witz sorgt, um die angespannte und oft trostlose Atmosphäre aufzuheitern. Denn Chung packt viel Drama in seine Geschichte, ohne einen dabei jedoch wirklich zu packen. Zwischen Jacob und Monica kriselt es schon zu Beginn, und dieser Konflikt schwelt unterschwellig während des ganzen Films weiter, um sich am Ende in seiner wohl emotionalsten Szene zu entladen. Aber es ist auch ein Konflikt ohne sichtbare Entwicklung.
Minari besitzt einige gute Elemente, mit David und Soon-ja zwei wunderbare Figuren, deren Zusammenspiel begeistert, und mit der titelgebenden koreanischen Petersilie auch eine starke Metapher, aber es ist leider auch ein Film ohne Tempo und weitgehend auch ohne Leidenschaft.
Note: 3