Als ich den Film entdeckte, dachte ich, es sei eine kleine, indische Komödie, kein Bollywood-Bombast, sondern eine jener, der Realität verpflichteten Produktionen, die uns vor allem durch die Streamer immer leichter zur Verfügung stehen und die größtenteils auch für ein nicht-indisches Publikum gemacht sind. Zu meiner Überraschung entpuppte sich der Film dann beim Vorspann als internationale Co-Produktion, an der deutsche, französische und US-amerikanische Firmen beteiligt waren.
Dass der Film 2013 sogar in Cannes lief, ist entweder an mir vorbeigegangen, oder ich hatte es bereits wieder vergessen. Neugierig gemacht hat mich vor allem der Trailer und die Tatsache, dass es um indisches Essen geht …
Lunchbox
Ila (Nimrat Kaur) ist eine junge Hausfrau und Mutter in Mumbai, die jeden Tag ihrem Mann das frisch gekochte Mittagessen in einer Lunchbox (Dabba), die entfernt an den deutschen Henkelmann erinnert, ins Büro liefern lässt. Jene Lieferanten, Dabbawalas genannt, sind unheimlich stolz darauf, nie einen Fehler zu machen, obwohl sie täglich unzählige Lunchboxen überbringen. Und dennoch geschieht es, dass Ilas Essen nicht auf dem Schreibtisch ihres Mannes landet, sondern bei dem kurz vor der Frühpensionierung stehenden Witwer Saajan (Irrfan Khan). Anders als ihr Mann, der sich kaum noch um Ila kümmert und eine Affäre hat, ist Saajan begeistert von Ilas Kochkunst. Als sie den Irrtum entdeckt, schreibt sie dem unbekannten Feinschmecker einen Brief, den sie in die Lunchbox steckt, und so entwickelt sich bald ein reger Briefwechsel …
Der vergangenes Jahr verstorbene Irrfan Khan war einer der großen indischen Stars, die auch internationale Bekanntheit erlangten, und auf den ersten Blick mutet es etwas seltsam an, dass er eine Rolle übernimmt, in der er nicht nur einen beträchtlich älteren Mann spielt, sondern auch noch einen ziemlich griesgrämigen, ansonsten aber völlig durchschnittlichen Buchhalter in einer großen Firma. Weniger Glamour geht kaum noch. Wer nun erwartet – und der Trailer kann einen schnell auf diese Fährte führen –, dass sich zwischen Ila und Saajan wenigstens eine Liebschaft entwickelt, die dieses Übermaß an trister Realität durch eine Romanze wieder wettmacht, sollte sich lieber auf eine Enttäuschung gefasst machen.
War das ein Spoiler? In gewisser Weise schon, man könnte es aber auch einen gutgemeinten Rat nennen, denn wer die ganze Zeit auf den Leckerbissen einer Liebesgeschichte wartet, und in gewisser Weise gibt es diese sogar, könnte darüber einen feinen, kleinen Film voller versteckter köstlicher Momente verpassen. Lunchbox ist das filmische Äquivalent zu einem Briefroman und erinnert stellenweise an Zwischen den Zeilen von 1987. Dabei ist der Beginn dieser Beziehung zwischen der Köchin und dem unbeabsichtigten Empfänger ihrer Mahlzeiten ziemlich holperig: In seinem ersten Brief an Ila beschwert sich Saajan nämlich, dass die heutige Mahlzeit versalzen war. Manche Männer wissen eben, wie man mit Frauen kommuniziert …
Dennoch entwickelt sich mit der Zeit eine geradezu intime Vertrautheit zwischen den beiden höchst unterschiedlichen Menschen. Ila vertraut ihm ihre Sorgen an, nachdem sie entdeckt hat, dass ihr Mann sie betrügt, Saajan erzählt ihr wiederum von seiner verstorbenen Frau. Beide reflektieren auf diese Weise ihr Leben und erkennen mit der Zeit, dass eine Änderung ihrer Verhältnisse nur möglich ist, wenn diese bei ihnen selbst beginnt.
Vor allem der verschlossene, missmutige Saajan, der selbst die spielenden Kinder vor seinem Haus verschreckt, bricht langsam seinen Panzer auf, den Trauer und lähmende Alltagsroutine um ihn gebildet haben. Und als Ila ihn eines Tages um ein Treffen bittet, ist plötzlich alles möglich.
Um diese Selbstfindungsstory etwas aufzulockern, bekommen beide Hauptdarsteller einen Begleiter an die Seite, durch den wir als Zuschauer etwas zum Schmunzeln haben. In Ilas Fall ist es eine (nie in Erscheinung tretende) ältere Nachbarin, die Ilas Essen allein durch den Geruch abschmeckt und die sich um ihren komatösen Ehemann kümmert, dessen Leben vom Funktionieren des Deckenventilators abhängt. Viel mehr Raum nimmt hingegen Saajans Nachfolger in der Firma ein, der unglaublich nervige und unterwürfige (und viel zu gut gelaunte) Shaikh (Nawazuddin Siddiqui), der einem im Verlauf der Geschichte unerwarteterweise sogar ans Herz wächst.
Neben diesen kleinen, feinen Porträts präsentiert uns Regisseur und Autor Ritesh Batra viele Einblicke in das alltägliche Leben in Mumbai. Er folgt den Dabbas quer durch die Stadt, lässt uns teilhaben am Geschiebe und Gedränge der Vorortzüge und rückt dabei immer wieder das Essen in den Mittelpunkt, das uns alle über die vielen Unterschiede, die uns trennen, miteinander verbindet.
Ein schöner, vielleicht etwas zu ruhiger Film, der einen sehr oft zum Lachen bringt, manchmal zum Nachdenken, und der uns die Botschaft vermittelt, dass einen manchmal auch ein falscher Zug ans richtige Ziel bringen kann.
Note: 3