Heute geht es mal wieder um einen der großen Klassiker. Dieser Film hat Hollywood und ein ganzes Genre entscheidend geprägt, er war 1945 für sieben Oscars nominiert und hat für Billy Wilder den endgültigen Durchbruch als Regisseur bedeutet. Der Originaltitel Double Indemnity (doppelte Entschädigung) verweist dabei bereits auf die Handlung, die sich um einen Versicherungsbetrug dreht, und Billy Wilder war mit dem deutschen Titel Frau ohne Gewissen nie wirklich glücklich, weil er meinte, dieser träfe schließlich auf nahezu jede Frau zu …
Diese Äußerung war natürlich humorvoll gemeint, doch den meisten Helden des Film Noirs haftet tatsächlich eine gewisse Frauenfeindlichkeit an, die zusammen mit ihrem Zynismus eine für heutige Zuschauer mitunter befremdliche Mischung ergibt. Aber gerade ihre lockeren Sprüche, ihr strenger Moralkodex, der sich nicht notwendigerweise an Recht und Gesetz orientiert, machen sie zu interessanten, ambivalenten Charakteren. In gewisser Weise haben sie die Rolle der Cowboys übernommen, die in ihrem Genre ebenfalls oft als zynische Einzelgänger beschrieben wurden.
Frau ohne Gewissen gilt als Klassiker des Film Noirs, hierzulande auch Schwarze Serie genannt, dessen Wurzeln im deutschen expressionistischen Stummfilm liegen, der aber auch stark von der amerikanischen Hardboiled-Literatur der 1920er Jahre beeinflusst wurde. Die Prohibition und der damit einhergehende Anstieg der Kriminalität sowie die Weltwirtschaftskrise haben viele Autoren zu düsteren Krimis inspiriert, von denen manche auf wahren Begebenheiten beruhten und die häufig in sogenannten Pulp-Magazinen, später auch in Comics veröffentlicht wurden und allgemein als Schundliteratur galten. Zu literarischen Ehren kamen sie erst später.
Übrigens: 1937 wurde diesen hartgesottenen Geschichten die Serie Detective Comics gewidmet, die nach zwei Jahren ihren bekanntesten Vertreter hervorbrachte, der aufgrund seiner großen Beliebtheit mit der Zeit praktisch die gesamte Reihe kaperte: Batman.
Doch zurück zu Frau ohne Gewissen, der noch kurze Zeit bei Prime Video zu sehen ist. Für mich ein Grund, diesen Klassiker ein weiteres Mal anzuschauen …
Frau ohne Gewissen
Schwer verletzt schleppt sich der Versicherungsvertreter Walter Neff (Fred MacMurray) in sein Büro, um dort seinem Freund und Arbeitskollegen Keyes (Edward G. Robinson) eine Beichte aufs Diktiergerät zu sprechen: Als er die schöne, verführerische Phyllis Dietrichson (Barbara Stanwyck) kennenlernt, verfällt er ihr beinahe auf der Stelle. Sie möchte eine Unfallversicherung für ihren Mann (Tom Powers) abschließen, und Walter erkennt sofort, dass sie plant, ihren Gatten zu töten – und ihn dabei als Komplizen zu gewinnen …
Die titelgebende doppelte Entschädigung bezieht sich auf eine Klausel im Vertrag, nach der die Versicherung unter bestimmten Umständen die doppelte Summe auszahlt. Walter, der sich mit diesen Feinheiten auskennt und bekennt, dass er schon lange die kriminelle Neigung verspürt, seinen Arbeitgeber auszutricksen, betrachtet es als Herausforderung, nicht nur den perfekten Mord zu begehen, sondern auch den perfekten Versicherungsbetrug.
Die moralischen Abgründe, die sich hinter Walters bürgerlicher Fassade auftun, erkennt man vor allem an dem, was nicht erzählt wird: Weder plagen Walter Skrupel, den Mord zu planen, noch scheint er danach unter Gewissensbissen zu leiden. Fred MacMurray, damals ein gefeierter Komödiendarsteller und einer der bestbezahlten Schauspieler in Hollywood, legt seinen Walter so eiskalt und pragmatisch an, dass es einem vor so viel beiläufiger Grausamkeit gruselt. Die Tat selbst ist aufgrund der Zensurbestimmungen nicht zu sehen, an dieser Stelle schwenkt die Kamera geschickt auf das Gesicht von Barbara Stanwyck und schafft durch diese Beschränkung einen der intensivsten Momente des Films. Insgesamt war es für Wilder jedoch sehr schwierig, seine Story dem Hays Code anzupassen, da die Behörde schon von Anfang an dem Projekt kritisch gegenüberstand.
Die Geschichte selbst basiert auf einem Buch von James M. Cain, der dazu von einem realen Kriminalfall aus dem Jahr 1927 inspiriert wurde. Cain hatte zuvor bereits den erfolgreichen – und später ebenfalls verfilmten – Roman Wenn der Postmann zweimal klingelt geschrieben und gehört zu den wichtigsten Autoren der Hardboild-Krimis. Ein weiterer großer Vertreter ist Raymond Chandler – der zusammen mit Billy Wilder das Drehbuch zu Frau ohne Gewissen schrieb.
Man spürt Chandlers Stil vor allem in den Dialogen, den kühlen, mit erotischen Untertönen gespickten Flirts zwischen Walter und Phyllis, noch mehr aber in den Off-Kommentaren, die eher an literarische Beschreibungen erinnern. Die Zusammenarbeit scheint, gelinde gesagt, nicht unproblematisch gewesen zu sein, zumal Wilder dem Autor attestierte, kein Händchen für die Konstruktion von Geschichten zu haben, dennoch kann man Chandler in einem Cameo im späteren Film bewundern.
Es gibt vieles, was an Frau ohne Gewissen großartig ist: Wilders detailfreudige Regie und die wunderschöne Kamera von John F. Seitz, Edward G. Robinsons nuancierte Performance und vor allem Barbara Stanwyck, deren Auftritt das Bild der Femme fatale in Hollywood über Jahrzehnte geprägt hat. Dennoch leidet der Film unter zwei Dingen: Zunächst einmal ist schon kurz nach Beginn fast die gesamte Geschichte bekannt. Man weiß, was Walter getan hat und warum und sogar, welches Ende es mit ihm und Phyllis nimmt. Überraschungen gibt es also keine, auch wenn der Schluss nicht zu hundert Prozent verraten wird und zumindest ein paar unvorhergesehene Wendungen bereithält. Das zweite Manko ist die Liebesbeziehung zwischen Walter und Phyllis, die nicht in Gänze überzeugt. Vermutlich liegt es an der Zensurbehörde, dass alles relativ züchtig und leidenschaftslos aussieht, aber leider ist dies der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Wenn man als Zuschauer nicht Walters Obsession für diese Frau versteht, bricht ein wichtiger Pfeiler weg.
Frau ohne Gewissen ist ein Klassiker, den man gesehen haben sollte, auch wenn er den Ansprüchen heutiger Zuschauer nicht vollends genügen dürfte. Bei den Oscars ging er übrigens leer aus, in den Kategorien bester Film, beste Regie und bestes adaptiertes Drehbuch gewann ein eher sentimentales Rührstück über einen unkonventionellen Pfarrer namens Der Weg zum Glück – den heute kein Mensch mehr kennt …
Note: 2-