Das Wandern habe ich erst in den USA entdeckt, als wir die traumschönen Nationalparks im Südwesten erkundet haben, in denen man die grandiosesten Panoramen nur erblickt, wenn man das Auto verlässt und einige Stunden durch die Natur stapft. Weshalb wir dort meistens nur Europäer getroffen haben, aber das ist eine andere Geschichte.
Was ich allerdings bis heute noch nicht gemacht habe und – man soll ja niemals nie sagen – auch nicht vorhabe, sind mehrtägige Wanderungen, bei denen man alles, was man zum Überleben in der Wildnis braucht, mit sich schleppt. Ich brauche ein Bett und ein Badezimmer, und damit hatte sich das Thema bisher erledigt. Eine Ausnahme würde ich vielleicht für eine Wanderung hinunter zum Grund des Grand Canyons machen, aber selbst da bin ich mir nicht sicher.
Auf den Film bin ich gestoßen, weil er bald aus dem Angebot von Prime Video verschwindet, und da ich schon lange nicht mehr in den USA wandern war, schien mir der Film perfekt zu sein, um mein Fernweh zu kurieren.
Der große Trip – Wild
Cheryl (Reese Witherspoon) ist 26 und an einem Tiefpunkt in ihrem Leben angelangt, als sie sich eines Tages aufmacht, auf dem Pacific Crest Trail von der Grenze Mexikos bis nach Kanada zu wandern, über 1600 km quer durch die Wildnis. Unterwegs denkt sie über ihr Leben nach, ihre gescheiterte Ehe mit Paul (Thomas Sadoski), den sie zu oft betrogen hat, ihren Drogenkonsum und vor allem über den viel zu frühen Tod ihrer Mutter Bobbie (Laura Dern). Paul unterstützt sie, indem er ihr regelmäßig Pakete an die jeweiligen Stationen ihres Weges schickt, und auch sonst trifft sie immer wieder auf freundliche, hilfsbereite Menschen. Doch Cheryls Ziel ist nicht, das Ende des Weges zu erreichen, sondern mehr über sich, ihr Leben und ihre Vorstellungen davon herauszufinden und zu sich selbst zu finden.
Mit Eat Pray Love gibt es einen weiteren Film über den Selbstfindungsprozess einer Frau, die in einer Lebenskrise steckt, und Julia Roberts reist darin munter durch die Weltgeschichte, isst jede Menge Pasta und findet am Ende noch die Liebe (ich habe den Film zugegebenermaßen nie gesehen, stelle ihn mir aber so vor). Reese Witherspoon schleppt einen viel zu großen, viel zu schweren Rucksack („Das Monster“) über hunderte Meilen durch die Wildnis, verdurstet und erfriert beinahe und leidet so furchtbar, dass man mitunter nicht hinsehen kann (schon die Eröffnungsszene, in der sie sich einen kaputten Zehennagel ausreißt, hätte mich fast ausschalten lassen). Persönlich würde mir die erste Variante besser gefallen, für den Zuschauer ist die zweite jedoch spannender und lehrreicher. Kein Wunder, dass Reese Witherspoon dafür eine Oscarnominierung erhalten hat.
Alle Filme über das Reisen sind Geschichte über einen Selbstfindungsprozess. Ob man nun den Jakobsweg geht, um seine persönlichen Krisen zu meistern, oder quer durch die USA wandert, spielt dabei keine Rolle. Auch Cheryl sucht in der Einsamkeit vor allem die Auseinandersetzung mit sich selbst und ein Stück weit natürlich auch Erlösung. In diesem Sinne ist ihr Weg auch eine Form von Buße für die Sünden in ihrem Leben. In vielen, zersplitterten Rückblenden lernt man sie von einer anderen Seite kennen, als kindliche Zeugin eines gewalttätigen Vaters, als liebevoll umsorgte Tochter, als Sexsüchtige und Drogenabhängige. Vor allem Bobbies Tod wirft Cheryl aus der Bahn, denn ihre Mutter war immer ein Vorbild für sie, lebensfroh und lebenstüchtig, eine Kämpferin, die sich von ihrem Mann getrennt und ein neues Leben angefangen und sogar mit vierzig noch ein Studium begonnen hat. Befremdlich ist lediglich, dass die nur neun Jahre ältere Laura Dern Witherspoons Mutter spielt.
So gelungen die Geschichte auch ist, so gut die Schauspieler agieren, es stellt sich mit der Zeit eine gewisse Ermüdung ein, die nicht damit zusammenhängt, dass man Witherspoon ständig diesen gewaltigen Rucksack tragen sieht. Das liegt zum einen daran, dass die Rückblenden sehr kurz sind, was zu einem abgehackten Rhythmus führt, und die darin geschilderten Ereignisse eher oberflächlich behandelt werden. Zum anderen kann man bemängeln, dass man kaum etwas von der grandiosen Landschaft zu sehen bekommt und viele Abenteuer der Heldin doch etwas verklärt dargestellt werden. Dennoch ein bemerkenswerter, in manchen Momenten sehr emotionaler Film.
Note: 3