Obwohl kein ausgewiesener Fan oder gar Kenner des Genres, sehe ich hin und wieder gerne einen Western. Einige Klassiker stehen immer noch auf meiner Watchlist, aber wer weiß, wann ich dazu komme, sie nachzuholen? Vor allem wenn es immer wieder Neo-Western gibt, die von der Kritik gelobt werden und einen heutigen Blick auf den Wilden Westen werfen, der wesentlich differenzierter ist.
The Sisters Brothers
Die beiden Brüder Charlie (Joaquin Phoenix) und Eli Sisters (John C. Reilly) arbeiten seit vielen Jahren für den Commodore (Rutger Hauer), einen mafiösen Geschäftsmann, für den sie unliebsame Zeitgenossen oder Rivalen aus dem Weg räumen. Ein neuer Auftrag führt sie von Oregon nach Kalifornien, um Hermann Warm (Riz Ahmed) zu beseitigen, einen Chemiker, der eine neue Methode erfunden hat, um Gold in Gewässern ausfindig zu machen. Dabei hilft ihnen anfangs der Detektiv John Morris (Jake Gyllenhaal), der sich jedoch unerwartet auf Warms Seite schlägt …
Was erwartet man von einem Western? Raubeinige Männer mit locker sitzenden Colts, weite, karge Landschaften voll überraschender Schönheit und eine archaische Gesellschaft mit alttestamentarischen Ansichten über Moral und Gerechtigkeit. All das bekommt man in der Geschichte, die Regisseur Jacques Audiard mit seinem Co-Autor Thomas Bidegain nach dem Roman von Patrick DeWitt geschrieben hat. Und bekommt es auch gleichzeitig nicht.
Die Story handelt von einem Vergeltungsschlag gegen einen Mann, dessen Verfehlung nicht explizit genannt wird, der aber einen der Mächtigen verärgert hat. Man darf vermutet, dass es mit der chemischen Formel zu tun hat, mit der es Warm gelingt, Gold in einem Fluss zu Leuchten zu bringen. Ein Verfahren, das heutigen Umweltschutzauflagen wohl keinesfalls genügen dürfte und das auch den Helden letzten Endes zum Verhängnis werden wird.
Davor steht jedoch eine lange Reise durch ein Land, das von Benoît Debie traumschön in Szene gesetzt wird. Interessanterweise wurde der Film in Rumänien, Frankreich und Spanien gedreht und nicht etwa im Südwesten der USA. Auch die Ausstattung und das Set-Design können sich sehen lassen. Man spürt, dass hier mit viel Liebe zum Detail gearbeitet wurde, und der große Aufwand lohnt sich durchaus, denn schon lange sah kein Western mehr so gut aus. Das Tüpfelchen auf dem I ist jedoch die wunderschöne Musik von Alexandre Desplat.
Auf der Habenseite steht außerdem die schauspielerische Leistung, was bei einer solch hochkarätigen Besetzung kein Wunder sein dürfte. Die lange Reise der beiden ungleichen Brüder, von denen der eine von Macht und Reichtum, der andere von einem bescheidenen Familienleben träumt, ist vor allem ein Trip in die Abgründe ihrer Seelen. Beide sind nicht mehr jung, beide müssen sich auf die eine oder andere Art mit ihrer Sterblichkeit auseinandersetzen, etwa wenn Eli beinahe an einem Spinnenbiss stirbt. Und es kommt sicherlich nicht allzu häufig vor, dass Zahnhygiene eine Rolle in einem Western spielt …
Doch trotz eines erstaunlich vielschichten Porträts zweier Cowboys in der Midlifecrisis hat der Film nicht allzu viel zu erzählen. Der Hauptplot kommt lange Zeit nicht voran, die einzelnen Etappen auf dem Weg der Brüder sind alles andere als unterhaltsam, und in der zweiten, zum Glück etwas flotter erzählten Hälfte schwankt der Film etwas unentschlossen zwischen epischem Western und rabenschwarzer Satire. Dabei erweisen sich etliche Einfälle leider als völlig missglückt, beispielsweise die nahezu konsequente Aussparung sämtlicher spannender Szenen, die schlichtweg übersprungen werden, oder die Idee, fast alle Schießereien im Off oder im Dunkel stattfinden zu lassen. Klassische Western-Ballereien kommen zwar vor, nur sieht man nicht viel von ihnen, und wenn doch jemand vor der Kamera erschossen wird, liegt er meist verletzt am Boden. Vermutlich ist es als zynischer Kommentar auf die amerikanische Todeskultur gemeint, es sorgt aber ebenso wie das antiklimatische Ende für eine Menge Enttäuschungen.
Note: 3-