Nobody

Der Trailer hat mich neugierig gemacht, erinnerte er doch stark an John Wick und wartete mit einem überraschenden Actionhelden auf. Es scheint seit einiger Zeit Mode zu sein, ältere Männer mit diesen Rollen zu besetzen, und vor allem Liam Neeson ist so zu einer bemerkenswerten Nischen-Karriere gekommen, die ein Schauspieler seines Könnens eigentlich gar nicht nötig gehabt hätte. Und anders als frühere Typen dieser Art, ich denke da mal an Roger Moore als James Bond, wissen die Oldies von heute, wie man richtig zuschlägt, und scheuen auch vor dreckigen Tricks nicht zurück. Bei Moore hatte man immer das Gefühl, er sorge sich zu sehr um den Sitz seiner Frisur, um sich anständig zu prügeln.

Nobody

Hutch Mansell (Bob Odenkirk) ist ein Buchhalter, der für seinen Schwiegervater in dessen Metallwarenfabrik arbeitet und mit seiner Frau Rebecca (Connie Nielson) und ihren Kindern in einer typischen amerikanischen Vorstadt lebt. Als sie eines Nachts von zwei Einbrechern überfallen werden und sein Sohn (Gage Munroe) sich beherzt auf einen von ihnen stürzt, unternimmt Hutch – gar nichts, sondern lässt die Bösewichter ziehen. Nicht nur sein Sohn verachtet ihn dafür, sondern er bekommt auch den Spott seiner Freunde zu spüren.

Hutch ist gekränkt, seine Ehe kriselt ohnehin seit einiger Zeit, und er hat das Gefühl, dass sein Leben festgefahren ist. Als seine Tochter ihr Lieblingsarmband vermisst, beschließt er daher, den beiden Räubern einen Besuch abzustatten – nur um festzustellen, dass sie arme Schlucker sind, die von der Verzweiflung getrieben wurden. Auf der Heimfahrt gerät er jedoch an eine Handvoll wirklich böser Buben, und an ihnen lässt er seinen ganzen aufgestauten Frust ab und enthüllt dabei, dass er einiges über Nahkampftechniken weiß. Dumm ist nur, dass eines seiner Opfer der Bruder der russischen Mafiagröße Yulian (Aleksey Serebryakov) ist …

Alte Gewohnheiten sterben langsam. Jeder kennt vermutlich diese Volksweisheit aus eigener Erfahrung, und so verwundert es nicht, wenn Hutch irgendwann lamentiert, dass er die gute alte Zeit und vor allem die Action vermisst. Darin unterscheidet er sich von einem John Wick, der sein früheres Leben hinter sich lassen wollte und mit der Gewalt abgeschlossen hatte. Hutch ist nicht so ein Mann, was vielleicht auch damit zu tun hat, dass er ein wenig älter ist, in einer Midlifecrisis steckt und nicht im luxuriösen Ruhestand lebt. Und nicht einmal einen Hund hat, der ihn liebt.

Man kann Mitleid haben mit diesem Mann, der von seinem Leben gelangweilt ist und dem die Leidenschaft in seiner Ehe abhandengekommen ist. Rebecca ist auf Distanz zu ihm gegangen und möchte selbst im Schlaf nicht zufällig von ihm berührt werden, weshalb sie eine Mauer aus Kissen zwischen ihnen errichtet. Auch sein Sohn will nichts mit Hutch zu tun haben, im Gegenteil, sein alter Herr ist ihm nur peinlich.

Dass sich der Vergleich mit den John Wick-Filmen aufdrängt, liegt nicht nur am Sujet, sondern auch an der Tatsache, dass sie denselben Autor haben. Anscheinend hat Derek Kolstad hier das Thema seines Lebens gefunden. Zwei Dinge scheinen ihn dabei vor allem zu beschäftigen: der Einfluss der Vergangenheit auf unser Leben und wie scheinbare Kleinigkeiten und unbedeutende Ereignisse den Lauf der Dinge gewaltig verändern können. Natürlich gilt dies mehr für Männer, die eine Vergangenheit als Profikiller haben, als für Buchhalter wie die echten Mansells dieses Welt. Fehlbuchungen oder Rechenfehler nehmen in der Regel keine tödlichen Dimensionen an.

Genau das macht den Spaß an diesen Filmen aus: Dass Männer, die auf den ersten Blick langweilig, harmlos und schwach wirken, gefährlicher sind als ihre Gegenspieler es sich selbst in ihren kühnsten Träumen vorstellen können. Selbstverständlich müssen diese Widersacher krimineller Abschaum sein, überheblich wie Yulian oder einfach nur brutale Bestien wie seine Handlanger, nur auf diese Weise ist die überzogene Gewalt zu rechtfertigen und kann man als Zuschauer sein Vergnügen daran finden.

Und Nobody macht – bei aller Vorsehbarkeit und Oberflächlichkeit – eine Menge Spaß. Das liegt nicht nur an Bob Odenkirk, sondern auch an Christopher Lloyd, der wie eine ultimative Steigerung der Wicks und Mansells Hollywoods agiert. Mal sehen, ob einem neunzigjährigen Robert de Niro ebenfalls mal eine solche Chance geboten wird …

Note: 3+

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.