Schon bei seiner Premiere auf dem Filmfestival in Venedig waren die Kritiker von dem Film begeistert, und bei der Oscarverleihung erhielt er dann die Preise für den besten Film, die beste Hauptdarstellerin und die beste Regie. Das ist schon mal eine Hausnummer. In der Presse wurde auch darüber berichtet, dass Frances McDormand so überzeugend aussah, dass sie bei einem Einkauf in der Drehpause tatsächlich gefragt wurde, ob sie sich für einen Job in dem Geschäft bewerben wolle. Da hat der Kostümdesigner wohl etwas richtig gemacht …
Bei uns erscheint der Film offiziell kommenden Donnerstag, doch da einige Kinos bereits vor Wochen eröffnet haben, waren zahlreiche Previews möglich, und so habe ich den Film bereits vor einem Monat gesehen – es war mein erster Kinobesuch nach mehr als einem halben Jahr!
Nomadland
Aufgrund zurückgegangener Nachfrage nach Gipsplatten werden im Norden Nevadas eine Mine und ein Werk geschlossen, die davon abhängige Kleinstadt komplett aufgegeben. Auch die sechzigjährige Fern (Frances McDormand) verlässt den Ort, packt ihren weltlichen Besitz in einen Van und beginnt damit ein Nomadenleben. Sie arbeitet in der Weihnachtszeit für Amazon, fährt dann weiter nach Arizona, wo sich eine Gruppe Gleichgesinnter trifft, und hangelt sich dann weiter von Job zu Job …
Es kommt vermutlich nicht allzu häufig vor, dass ein Sachbuch als Grundlage für einen Spielfilm dient, und Nomadland ist auch kein klassischer Hollywoodstoff, sondern eine Independent-Produktion mit semi-dokumentarischem Inhalt. Jessica Bruder hat in ihrem Werk, das auf Deutsch Nomaden der Arbeit: Überleben in den USA im 21. Jahrhundert heißt, die Situation vieler Amerikaner beschrieben, die nach der Wirtschaftskrise 2008 ihre Jobs, Häuser und Wohnungen verloren haben und die als moderne Nomaden von einer Gelegenheitstätigkeit zur nächsten reisen. Auch bei uns gibt es natürlich Saisonarbeiter, häufig ausländischer Herkunft, die durch Europa reisen und meistens bei den Ernten helfen, aber in den USA, wo das soziale Netz schwächer ist und viele durch die Maschen fallen, ist ihre Lebenssituation eine gänzlich andere.
Man lernt im Film einige Nomaden kennen, die sich selbst spielen: Ferns Freundin Linda May, die davon träumt, in Arizona ein autarkes Haus aus Holz, alten Flaschen und anderem Recyclingmaterial zu bauen, oder Swankie, die todkrank noch einmal nach Alaska fahren will, um dort die wunderschöne Natur zu genießen, die sie lieben gelernt hat.
Überhaupt spielt die amerikanische Landschaft eine wichtige Rolle in der Geschichte. Auch Fern beginnt, die Schönheit des Südwestens zu lieben, die Weite der Prärie, die herrlichen Sonnenuntergänge. Sie arbeitet daher auch eine Weile in einem Nationalpark. Es ist das Verdienst der Regisseurin Chloé Zhao, die selbst durch die USA gereist ist und mit vielen Nomaden gesprochen hat, dass deren Schicksale nicht romantisch verklärt werden. Die Menschen erzählen ihre eigenen Geschichten, von denen manche sehr hart sind, in denen aber immer ein Stück weit Optimismus mitschwingt. Sie alle fordern nichts, sie verlassen sich vielmehr auf ihre eigene Kraft, ihren Erfindungsreichtum und ihre Ausdauer. Es ist aber auch ein hartes Leben, in dem ein geplatzter Reifen durchaus das Ende des Abenteuers bedeuten kann.
Insofern gibt es vielleicht keine Verklärung dieses Daseins, aber vielleicht doch einen etwas zu unkritischen, vielleicht sogar naiven Blick darauf. Typisch amerikanisch betonen die Nomaden immer ihre Freiheit, ihre Unabhängigkeit, die dunklen Seiten dieses Lebens werden jedoch weitgehend ausgespart. Gerade die Frauen, die allein auf den Straßen unterwegs sind, dürften besonders gefährdet sein, aber davon hört man nichts. Und wer, wie Fern, keine netten Verwandten hat, die einem ein paar Tausend Dollar für eine Wagenreparatur leihen können, bleibt vermutlich auf der Strecke und stürzt noch weiter ab.
Über weite Strecken ist es ein starker Film, und Frances McDormand spielt wie immer ausgezeichnet. Auf Dauer ist die semidokumentarische Form jedoch ermüdend, denn eine richtige Geschichte sucht man vergeblich. Mit David Strathairn gibt es noch eine (fiktionale) Figur, der Fern etwas näher kommt und die ihr sogar einen Ausstieg aus diesem Leben ermöglichen könnte, aber das würde dem Narrativ widersprechen.
Ein guter Film, der einen aber auch etwas ratlos macht, weil er sich gefällig zwischen die Stühle platziert: Er erzählt eine Geschichte, aber auch wieder nicht, er ist dokumentarisch, aber zu einseitig, er ist toll gespielt, gibt aber auch seinen Laien viel Raum, von ihren echten Schicksalen zu erzählen, er ist spannend, weil er von einem Amerika berichtet, das man selten sieht, ergeht sich dann aber in sich stetig wiederholenden Episoden.
Note: 3+