Der Roman von Charles Dickens gehört zu den bekanntesten und bedeutendsten Werken des 19. Jahrhunderts und wurde bisher knapp zwanzig Mal verfilmt. In der jüngsten Adaption, die einen kuriosen deutschen Untertitel trägt (was eine merkwürdige neue Mode zu sein scheint), spielt mit Dev Patel ein indisch-stämmiger Mann die Titelrolle, und auch einige andere Rollen wurden mit people of color besetzt. Das ist ungewöhnlich.
Das sogenannte colorblind casting wurde vor einiger Zeit eingeführt, um Schauspielern mit ethnischem Hintergrund einen größeren Zugang zu Rollen zu ermöglichen, für die sie häufig nicht einmal in Betracht gezogen würden. Das ist zwar absolut löblich und unterstützenswert, sorgt aber gelegentlich auch für Irritationen. Wenn David Copperfield nun farbig ist, seine Eltern aber weiß, sucht man unwillkürlich nach einer Erklärung – etwa ein Seitensprung – für diese biologische Unmöglichkeit, die man aber nie erhält. In der Verfilmung kommen weitere verwandtschaftliche Verhältnisse vor, die den Grundlagen der Vererbung widersprechen, und sie erweisen sich zumindest anfangs als störend und verwirrend. Was würde denn dagegen sprechen, auch Copperfields Mutter mit einer indisch-stämmigen Schauspielerin zu besetzen? So wirkt es merkwürdig willkürlich und wenig durchdacht.
Abgesehen davon finde ich eine solche Besetzung in einem Historienfilm grundsätzlich befremdlich. Es passt wunderbar, wenn das Setting eindeutig einer Fantasiewelt angehört, etwa wie der Mittelalter-Schmonzette Ritter aus Leidenschaft oder der Netflix-Serie Bridgerton, aber in einem Film über das viktorianische England? Man vermittelt dadurch das Bild einer Epoche, das einfach nicht korrekt ist. Und wie könnte man beispielsweise eine Geschichte über Rassismus im 18. Jahrhundert drehen, wie etwa Dido Elizabeth Belle, wenn ein Gutteil der Besetzung aus people of color bestünde? Das würde die Absichten ad absurdum führen.
Aber genug davon. Kommen wir zum Film.
David Copperfield – Einmal Reichtum und zurück
Der Schriftsteller David Copperfield (Dev Patel) liest aus seinen Memoiren vor und führt seine faszinierte Zuschauerschaft zurück in seine Kindheit: Behütet aufgewachsen, ändert sich Davids Leben schlagartig, als seine verwitwete Mutter (Morfyyd Clark) den strengen Mr. Murdstone (Darren Boyd) heiratet und dessen verkniffene Schwester (Gwendoline Christie) das Regiment im Haus übernimmt. Das Kind wird zur Arbeit in einer Fabrik nach London geschickt und lebt dort bei dem überschuldeten, aber lebensfrohen Mr. Micawber (Peter Capaldi). Als junger Mann flüchtet David schließlich vor Armut und Ausbeutung zu seiner Tante Trotwood (Tilda Swinton) und dem liebenswerten, aber schrulligen Mr. Dick (Hugh Laurie). David ist fest entschlossen, etwas aus seinem Leben zu machen – und eines Tages Schriftsteller zu werden …
Charles Dickens hat in diesem Bildungsroman viele autobiografische Erlebnisse verarbeitet, wodurch es nicht verwunderlich ist, dass ihm diese Geschichte immer besonders am Herzen lag. Doch David Copperfield ist kein leicht zugänglicher Held, denn er ist viel zu gutmütig und oft zu passiv, er vertraut den falschen Leuten und geht eine Ehe mit einer Frau ein, von der jeder auf Anhieb sagen kann, dass sie nicht zu ihm passt. Viel eindrucksvoller und lebendiger sind dafür viele Nebenfiguren des Werkes, die energische Betsy Trotwood oder der schleimige, gerissene Uriah Heep. Letzterer wird übrigens hervorragend von Ben Whishaw verkörpert, der dieses bemerkenswerte Ensemble ergänzt.
Mit der Geschichte nehmen sich Regisseur Armando Iannucci und sein Co-Autor Simon Blackwell einige Freiheiten. Das ist verständlich, ist David Copperfield nicht nur ein überaus langer, sondern auch erzählerisch ungemein dichter Roman. Leider gehen dadurch nicht nur einige wunderbare Figuren verloren, sondern gerät auch die Handlung durcheinander, was für einige Irritationen sorgt, wenn man die Vorlage kennt. Man kann also nicht gerade behaupten, dass der Film besonders werkgetreu sei.
Darüber hinaus versucht sich Iannucci an einigen … sagen wir mal, skurrilen Regieeinfällen, indem er zum Beispiel manche Begebenheiten, über die berichtet wird, als Rückprojektion in den Raum wirft – und die Figuren sie sogar betrachten. Das wirkt gekünstelt und tut dem Handlungsfluss ebenso wenig gut wie die Präsenz des Erzählers Copperfield im Wohnzimmer seiner Kindheit, um den die anderen Schauspieler herumgehen müssen. Es ist einfach nur albern.
Vielleicht bin ich zu traditionell eingestellt, wenn es um Literaturadaptionen geht. Schauspielerisch kann der Film auf jeden Fall überzeugen, inszenatorisch aber leider nicht, und die vielen Kürzungen haben der Geschichte auch nicht gerade gutgetan.
Note: 3-