Musicals waren früher ein fester Bestandteil des Kinoprogramms, was immer noch daran ersichtlich ist, dass eine Award-Sparte bei den Golden Globes für Komödien und Musicals reserviert ist. Was in unseren Zeiten, in denen es kaum noch Musicals und immer weniger qualitativ gute Komödien gibt, dazu geführt hat, dass z.B. Der Marsianer als bestes Musical bzw. beste Komödie des Jahres 2015 ausgezeichnet wurde …
Apropos Preisverleihung: Funny Girl sorgte bei der Oscarverleihung 1969 für heftige Diskussionen, da die Newcomerin Barbra Streisand bereits vorab in die Academy aufgenommen worden und damit natürlich stimmberechtigt war. Sie gewann dann prompt den Oscar als beste weibliche Hauptdarstellerin – pikanterweise zusammen mit Katherine Hepburn (für Der Löwe im Winter), die ebenso viele Stimmen bekam. Da die Streisand wohl für sich selbst gevotet hat, gab ihre Stimme den Ausschlag, und viele waren der Meinung, dass sie als Nominierte noch nicht hätte aufgenommen werden dürfen.
Bei Netflix erschien vor einiger Zeit die restaurierte Fassung von Funny Girl, den ich als Kind einmal gesehen hatte und ziemlich langweilig fand. Aber der Film gilt nicht umsonst als eines der wichtigsten Filmmusicals der Kinogeschichte und wurde von keinem Geringeren als William Wyler in Szene gesetzt, einem der größten Regisseure Hollywoods. Dreizehn seiner Filme wurden von der Academy als bester Film des Jahres nominiert, darunter auch Funny Girl, sein vorletzter Film.
Funny Girl
Fanny Brice (Barbra Streisand) ist ein jüdisches Mädchen aus der Lower East Side von New York und hat nur einen Traum: Sie will zur Bühne. Doch mit ihren dünnen Beinen und der großen Nase gilt sie nicht als Schönheitsideal. Dafür kann sie fantastisch singen und besitzt komödiantisches Talent, das sie zu ihren Gunsten einzusetzen weiß. So gelingt es ihr, eine erste größere Rolle in einer Revue zu ergattern, die ihr öffentliche Aufmerksamkeit beschert. Einer ihrer Bewunderer ist der professionelle Glücksspieler und Playboy Nick Arnstein (Omar Sharif), in den sie sich umgehend verliebt. Als der legendäre Theaterproduzent Florenz Ziegfeld (Walter Pidgeon) auf sie aufmerksam wird, avanciert Fanny bald zu seinem größten Star. Nick kehrt in ihr Leben zurück, doch nach einer wunderbaren ersten Verabredung verschwindet er für ein Jahr. Als sie sich wiedersehen, weiß sie nicht, ob sie sich auf ihn einlassen soll, kann seinem Charme aber nicht widerstehen und setzt für ihn sogar ihre Karriere aufs Spiel …
Der Film ist so einiges: die Adaption eines sehr erfolgreichen Broadway-Musicals, in dem Barbra Streisand ebenfalls die Hauptrolle spielte, und ein Bio-Pic. Die echte Fanny Brice begann 1910 mit Ziegfeld zu arbeiten und war bis zu dessen Tod 1932 einer seiner größten Stars. Sie trat auch später noch in Revuen auf und wurde ein Radiostar, bis sie – kommenden Samstag vor genau siebzig Jahren – in Hollywood verstarb.
Im Film wird nicht so ganz klar, wann er spielt. Produzenten, respektive Kostümdesigner und Maskenbildner in älteren Hollywoodproduktionen haben keinen allzu großen Wert darauf gelegt, Kleidung und Frisuren möglichst historisch korrekt zu halten. Dieser Hang zur Präzision entstand erst später, ich schätze mal, in den Achtzigerjahren, als beispielsweise Robert De Niro, der alte method actor, bei der Produktion von The Untouchables – Die Unbestechlichen darauf bestand, die gleiche Kleidung wie der von ihm dargestellte Al Capone zu tragen – bis hin zu der nie im Bild auftauchenden Unterwäsche. Bei Funny Girl ließen sich die Designer eher von der Mode des frühen zwanzigsten Jahrhunderts inspirieren, wobei immer noch der Stil der späten Sechziger durchschimmert.
Ungewöhnlich ist, dass Wyler seinen Film, vermutlich wie das Musical, mit einer knapp fünfminütigen Ouvertüre auf Schwarzbild beginnen lässt, gefolgt von einem zweiminütigem Vorspann. Bis die Handlung einsetzt, vergehen also sieben Minuten, in denen Millennials, die es gewohnt sind, bei Spotify einen Song nur aufgrund seiner ersten dreißig Sekunden zu bewerten, wahrscheinlich schon längst wieder ausgemacht haben.
Das wäre aber schade, denn vor allem die erste Hälfte des Films ist ungeheuer unterhaltsam. Barbra Streisand besitzt eine unglaubliche Leinwandpräsenz und legt so viel Spielfreude an den Tag, dass man ihr gerne zusieht, wie sie mit ihren Slapstick-Einlagen die streng choreografierten Revuenummern sprengt. Insbesondere ihr erster Auftritt in einer der berühmten, spektakulär ausgestatteten Ziegfeld Follies ist absolut sehenswert.
Naturgemäß wird die Geschichte vom Aufstieg einer jungen Frau zum Bühnenstar auch von einigen Musicalnummern begleitet, die nicht zum Theaterprogramm gehören. Die Songs zählen nicht unbedingt zu den ganz großen Broadwayklassikern, sind aber teilweise dennoch über die üblichen Fankreise hinaus bekannt. Don’t Rain on My Parade hat man vielleicht auch in einer anderen Version schon einmal gehört.
Leider ist dieses cheerie movie vom Aufstieg in die Höhen des Bühnen-Olymp relativ schnell auserzählt. Aber auch die Liebesgeschichte zwischen Fanny und Nick ist sehenswert, kippt in der letzten Stunde aber von der Romanze ins Melodramatische. Für Romantiker mag das wenig befriedigend sein, passt aber zur Biografie von Fanny Brice, deren Ehen ebenfalls allesamt scheiterten.
Gesanglicher Höhe- und Schlusspunkt ist die Kraftnummer My Man, mit der Fanny Brice ihren größten Erfolg feierte und in dem sie ihre ewige Liebe zu einem Mann beteuert, der sie verlassen hat. Es ist dieses melodramatische, ein klein wenig an Vom Winde verweht erinnernde Ende, das einem als Zuschauer des Jahres 2021 zu denken gibt. Nach einigen Jahren intensiver Diskussion über Geschlechterrollen und -identität hat sich der Blick auf dieses Thema so weit verändert, dass einem das Verhalten Nicks anstößig erscheint. Nur weil es seinem männlichen Selbstbild widerspricht, dass seine Frau erfolgreicher ist als er, und er zu stolz ist, ihre Hilfe anzunehmen, beendet er lieber eine Beziehung – und Fanny wird vorgeworfen, dass sie ihn nicht genug unterstützt. Aber das kann und darf man einem Film von 1968 natürlich nicht ankreiden.
Alles in allem ist Funny Girl ein stellenweise sehr humorvoller und unterhaltsamer Beitrag zur Filmgeschichte, den man einmal gesehen haben sollte. Überhaupt scheinen Musicals ja gerade wieder in Mode zu kommen – man denke nur an The Heights oder Spielbergs Neuverfilmung von Westside Story.
Note: 3