Bei Judd Apatow denke ich immer zuerst an den Tod der Komödie. Oder vielmehr, der Komödie, wie ich sie mag, mit sympathischen Figuren, pointierten Dialogen und vielleicht noch vereinzelten Slapstick-Einlagen. Ich kann mich noch gut an Jungfrau (40), männlich, sucht … erinnern, den ich 2005 in L.A. gesehen habe, weil ich neugierig war, warum gerade dieser Film so viele begeistert. Ich fand ihn furchtbar, eine einzige, quälend lange Fremdschäm-Orgie, die nicht witzig war und ihre Figuren der Lächerlichkeit preisgegeben hat. Natürlich war dieser Film nicht die erste geistlose Komödie, und Apatow allein für den Niedergang des Genres verantwortlich zu machen, wäre auch ein wenig unfair, aber er hat immerhin einen Trend mitbegründet, der leider nach wie vor hartnäckig anhält, auch wenn Fremdschäm-Komödien nicht mehr so präsent sind wie noch vor zehn Jahren.
Als vergangenes Jahr The King of Staten Island in die Kinos kam, unter Corona-Bedingungen und damit praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit, waren die Kritiker voller Wohlwollen. Grund genug, mir den Film nun anzuschauen, zumal der Trailer gut aussah und eben keine plumpe Komödie ankündigte.
The King of Staten Island
Scott (Pete Davidson) ist Mitte 20 und lebt bei seiner Mutter Margie (Marisa Tomei) auf Staten Island. Sein Vater, ein Feuerwehrmann, kam vor 17 Jahren bei einem Hotelbrand ums Leben, ein Ereignis, das Scott nie verkraftet hat. Ziellos und Marihuana rauchend lässt er sich durch den Alltag treiben, möchte Tätowierer werden und überredet seine Freunde, ihm dafür als Versuchskaninchen zu dienen. Als Margie eines Tages den Feuerwehrmann Ray (Bill Burr) kennenlernt, steht Scott dieser Beziehung zunächst ablehnend gegenüber. Ray zwingt ihn, mehr Verantwortung zu übernehmen und macht ihn schließlich mit seinen Kollegen bekannt, durch die Scott nicht nur eine neue Seite an dem von ihm verehrten Vater entdeckt, sondern auch ein Stück weit erwachsener wird.
Im Grunde ist der Film eine späte Coming-of-Age-Dramödie mit einem erwachsenen Mann als Hauptfigur, der sich über weite Strecken des Films wie ein pubertierender Teenager aufführt. Scott leidet dabei nicht nur unter dem frühen Verlust seines Vaters, Drogensucht und einer chronischen Krankheit (Morbus Crohn), sondern auch unter psychischen Problemen wie ADHS. Das verleiht der Figur mehr Tiefe als allen anderen Protagonisten in den übrigen Apatow-Komödien.
Die Geschichte basiert auf dem Leben des Stand-up-Comedian Pete Davidson, dessen Vater bei den Anschlägen am 11. September ums Leben kam und der auch am Drehbuch mitwirkte. Erzählt wird aber nicht, wie er mit 16 begann, als Comedian zu arbeiten, sondern eine fiktive alternative Lebensgeschichte, in der er nicht den Sprung auf die Bühne geschafft hat, sondern perspektivlos vor sich hinlebt.
Leider fällt es schwer, sich anfangs für Scott zu begeistern. Es liegt nämlich auf der Hand, was sein Problem ist und was er tun müsste, um sein Leben in den Griff zu bekommen, doch seine Passivität und Lethargie stehen dem im Weg – und machen ihn nicht gerade sympathisch. Scott ist im Grunde alles egal, seine Zukunftsaussichten ebenso wie seine Beziehung zu Kelsey (Bel Powley).
Wie in den Slacker-Filmen der Neunzigerjahre folgt man als Zuschauer nur mäßig interessiert den diversen Episoden aus Scotts Leben, die sich nahtlos aneinanderreihen und so manche Dummheit beinhalten. Erst im letzten Drittel, wenn er gezwungen wird, den Allerwertesten hochzukriegen und wirklich etwas zu tun, beginnt man, Scott langsam zu mögen.
Vielleicht beweist Apatow, dass er mit diesem Film erwachsen geworden ist, menschlicher und näher an der Wirklichkeit war er jedenfalls noch nie, und so ist das Werk trotz seiner episodischen Erzählweise und einigen Schwächen in der Figurenzeichnung vielleicht sein bislang bester Film.
Note: 3