Der Distelfink

Der aufmerksame Leser hat es wahrscheinlich schon erkannt: In dieser Woche dreht sich alles um Literaturverfilmungen. Nach zwei Klassiker-Verfilmungen habe ich mir noch die Adaption eines Werkes aus der Feder einer zeitgenössischen Autorin angesehen. Die US-amerikanische Schriftstellerin Donna Tartt, die aus dem Dunstkreis des Skandalautors Bret Easton Ellis stammt, wurde Anfang der Neunzigerjahre durch einen PR-Coup bekannt: Der Hype um ihren ersten, unveröffentlichten Roman war so groß, dass ein Bieterkrieg entbrannte. Wie viele andere las ich das Buch sofort nach seiner Veröffentlichung – und war enttäuscht, denn die Geschichte über mordende Collegestudenten wurde den geschürten Erwartungen einfach nicht gerecht. Ein Besteller war es dennoch.

Bin ich einmal von einem Autor angetan, lese ich selbst dann seine Bücher, wenn das zweite oder dritte enttäuschend sein sollte. Kann mich jedoch umgekehrt das erste nicht überzeugen, ist es meistens vorbei. Vielleicht sollte ich daher Die geheime Geschichte noch einmal lesen oder mich alternativ an ihrem zweiten oder dritten Roman versuchen, denn Der Distelfink hat immerhin den Pulitzer-Preis bekommen. Vorerst habe ich mir jedoch die Verfilmung angeschaut.

Der Distelfink

Der dreizehnjährige Theo (Oakes Fegley) verliert seine Mutter bei einem Bombenanschlag auf ein New Yorker Museum. Kurz vor der Explosion wird er auf die junge Pippa (Aimee Laurence) aufmerksam, die mit ihrem Onkel Welty (Robert Joy) die Ausstellung besucht. Theo steht dem sterbenden Welty bei, der ihn drängt, das Gemälde eines holländischen Meisters mitzunehmen: Der Distelfink.

Das Bild begleitet Theo fortan und stellt eine emotionale Verbindung zu seiner verstorbenen Mutter dar. Theo lebt für eine Weile bei der reichen Familie seines Mitschülers, wo er eine besondere Verbindung zu dessen Mutter (Nicole Kidman) knüpft. Als sein alkoholkranker Vater (Luke Wilson) und dessen Freundin (Sarah Paulson) ihn mit nach Las Vegas nehmen, verliert er all seine Freunde, lernt aber bald Boris (Finn Wolfhard) kennen, der aus der Ukraine stammt und Theo mit Drogen bekannt macht.

Gute acht Jahre später lebt Theo (Ansel Elgort) wieder in New York und arbeitet für den Geschäftspartner von Welty, den er bereits als Kind aufgesucht hatte. Hobie (Jeffrey Wright) restauriert antike Möbel, die Theo an reiche Kunden verkauft. Um seine Drogensucht zu finanzieren, macht er jedoch auch krumme Geschäfte und gerät dabei an den dubiosen Lucius Reeve (Denis O’Hare), der ihn durchschaut und erpresst. Denn Reeve weiß mehr über den Verbleib des Distelfinks, als Theo lieb ist …

Eigentlich sollte bei der Verfilmung nichts schiefgehen: Regisseur John Crowley hat zuvor den wunderbaren Brooklyn – Eine Liebe zwischen zwei Welten inszeniert, der von der Emanzipation einer jungen Frau handelt. Für eine Coming-of-age-Geschichte wie diese ist er damit geradezu prädestiniert. Der preisgekrönte Drehbuchautor Peter Straughan hat Donna Tartts Geschichte ziemlich werkgetreu ungesetzt, die Darsteller agieren wunderbar, und die Bilder von Roger Deakins sind betörend schön.

Dennoch war der Film kein Erfolg und kam weder bei den Kritikern noch beim Publikum sonderlich gut an. Zum einen liegt dies sicherlich an seinem langsamen Tempo. So wie sich der Staub in den ersten Szenen, die unmittelbar nach der Explosion einsetzen, nur sehr langsam setzt und lange Zeit den Blick auf die Geschehnisse vernebelt, entfaltet sich die Geschichte auch nur sehr zögernd, springt unentschlossen zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her und weiß nicht so recht, was sie eigentlich erzählen will. Theo ist traumatisiert und vermisst seine Mutter, von der er immer wieder träumt, die sich ihm aber selbst dort entzieht. Psychologisch ist das stimmig und feinfühlig erzählt, bringt die Story aber nicht voran.

Als Hauptfigur ist Theo viel zu passiv, und auch sonst wird die Handlung nicht gerade mit Nachdruck vorangetrieben. Man lernt seine Pflegefamilie kennen, schaut seinen ersten Drogenerfahrungen in der Wüste Nevadas zu, und fragt sich, was Theo eigentlich will – außer erwachsen zu werden und seine Traumata hinter sich zu lassen.

Dramatisch wird es erst in den letzten vierzig Minuten, wenn Theo tatsächlich erwachsen ist und von seiner Vergangenheit eingeholt wird. Plötzlich überschlagen sich die Ereignisse und emotionalen Verwicklungen: Theos unerfüllte Liebe zu Pippa, seine Verlobung mit der Schwester seines Jugendfreundes und vor allem die Erpressung durch Reeve, die eine Kette von Ereignissen in Gang setzt, die Theos Leben auf den Kopf stellen und gefährden. Und der Zufall bringt ihn zuletzt noch mit Boris zusammen, der ihn in einen Kunstraub-Thriller verstrickt, für den andere Regisseure einen eigenen Film gebraucht hätten.

Vielleicht funktioniert das Ganze in der Literatur viel besser und fügt sich eleganter zu einer Geschichte zusammen als im Film, in dem zwangsläufig viel Subtext verloren geht und man den Figuren nicht so nahe kommt. Der Distelfink ist dennoch eine feinsinnige Erzählung über die Verarbeitung von Traumata und ein melancholisches Coming-of-age-Drama, das gegen Ende plötzlich zu einem Thriller mutiert. In der Summe ein bisschen indifferent, aber solide Unterhaltung.

Note: 3

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.