Es kommt immer wieder vor, dass ein literarischer Stoff von zwei unabhängigen Produzenten nahezu gleichzeitig realisiert wird. In diesem Fall geht es um Henry James’ Novelle The Turn of the Screw, die unter verschiedenen deutschen Titeln (Das Durchdrehen der Schraube, Die Drehung der Schraube u.a.) erschienen ist. In der Literaturwissenschaft wird seit rund hundert Jahren eifrig über den Text diskutiert, und es gibt eine Vielzahl interessanter Deutungen, auf die ich aber nicht weiter eingehen will.
Abgesehen von zwei Theaterstücken und einer Oper gibt es allein zehn Verfilmungen des Werkes, darunter, wie gesagt, zwei aus dem letzten Jahr. Die eine ist die Netflix-Serie Spuk in Bly Manor, als zweite Staffel des Franchises The Haunting, die neben dem bekannten Werk von James noch auf weiteren Geschichten aus seiner Feder basiert. Ich habe sie im Winter gesehen und fand sie trotz zahlreicher Längen ganz ordentlich, allerdings konnte ich mich mit dem deprimierenden Ende nicht anfreunden. Wer ein Faible für gruselige Unterhaltung hat, sollte sie nicht verpassen, und sie ist definitiv besser als die erste Staffel.
Die zweite Verfilmung war fürs Kino gedacht, wurde in Deutschland aber wegen der Pandemie nicht gestartet. Ich war neugierig auf diese Version der Geschichte, weshalb ich mir den Film angesehen habe, obwohl der imdB-Wert mit 3,8 geradezu verheerend ist …
Die Besessenen
Die Lehrerin Kate (Mackenzie Davis) erhält das Angebot, sich um das junge Waisenmädchen Flora (Brooklynn Prince) zu kümmern, die seit dem tragischen Autounfall ihrer Eltern allein mit der Haushälterin Mrs. Grose (Barbara Marten) in einem alten Herrenhaus lebt. Bei ihrer Ankunft erfährt Kate, dass ihre Vorgängerin spurlos verschwunden ist, außerdem kehrt bereits am nächsten Tag Miles (Finn Wolfhard) aus dem Internat zurück, aus dem er wegen einer gewalttätigen Auseinandersetzung geflogen ist. Der Junge verhält sich Kate gegenüber oft unverschämt, außerdem scheinen die Kinder ein Geheimnis zu haben. Und schon bald passieren unheimliche Dinge …
Die Geschichte hat alles, was eine ordentliche Geisterstory benötigt: ein abgelegenes, düsteres Haus, eine undurchschaubare, abweisende Haushälterin und jede Menge unheimliche Erscheinungen. Schon bald nach ihrer Ankunft sieht Kate geisterhafte Gestalten, hört Stimmen, die nicht da sind, und wird von lauten Geräuschen erschreckt. Regisseurin Floria Sigismondi, die sich vor allem mit Musik-Videos einen Namen gemacht hat, spielt gekonnt auf der Klaviatur des Schreckens, erweist sich dabei aber als nicht besonders einfallsreich. Viele jump scares funktionieren wunderbar, sind aber auch relativ vorhersehbar. Alles in allem solider Durchschnitt.
Das größere Problem ist, dass so wenig passiert. Die Drehbuchautoren Chad Hayes und Carey W. Hayes, die immerhin die ersten beiden Conjuring-Filme zu verantworten haben, schaffen es leider weder, Kates Geschichte geschickt mit der ihrer Vorgängerin zu verzahnen oder sie mit gesunder Neugier den unheimlichen Phänomenen auf den Grund gehen zu lassen, noch, die Figuren sympathisch genug zu zeichnen, dass man sich auch für sie interessiert. So plätschert der Film gemächlich vor sich hin, nur hin und wieder von der einen oder anderen gruseligen Szene unterbrochen. Erst in der letzten halben Stunde werden die Geheimnisse gelüftet, aber diese Informationen fallen Kate praktisch mühelos in den Schoß. Gutes Storytelling ist was Anderes …
Immerhin mit der Auflösung nähern sich die Autoren wieder dem Originaltext an, auch wenn weder der Film noch die Netflix-Serie es wagen, das tragische und düstere Ende der Novelle aufzugreifen. So müssen wir wohl auf weitere Verfilmungen warten.
Insgesamt ist Die Besessenen ein solider, ordentlich gemachter Gruselfilm, der seinen Zweck erfüllt, ohne dabei wirklich originell oder innovativ zu sein. So schlecht wie sein imdB-Wert ist aber keinesfalls.
Note: 3-