Shoplifters konnte mich nicht gänzlich überzeugen, aber kürzlich sah ich den Trailer zu einer neuen Apple TV+-Produktion, die gewisse Ähnlichkeiten zu dem japanischen Film hat: In beiden Filmen geht es um ein vernachlässigtes Kind, und wo der eine Film beiläufig erzählt und viel Wert auf beobachtende Distanz legt, ist der andere ein klassisches Drama …
Palmer
Palmer (Justin Timberlake) kommt nach zwölf Jahren aus dem Gefängnis frei, wo er eine Haftstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung in Zusammenhang mit einem Einbruch verbüßt hat. Er zieht in das Haus seiner Großmutter Vivian (June Squibb), die ihn aufgezogen hat, und findet einen Job als Hausmeister an einer Grundschule. Dort wird auch Sam (Ryder Allen) unterrichtet, der zusammen mit seiner drogensüchtigen Mutter Shelly (Juno Temple) in einem Wohnwagen in Vivians Garten lebt. Als Shelly wieder einmal für einige Wochen verschwindet und Sam in Vivians Obhut überlässt, passiert ein Unglück: Die alte Dame stirbt, und Palmer muss sich nun allein um das Kind kümmern …
Ein Mann, der aus dem Gefängnis kommt und seinen Platz in der Gesellschaft finden muss, ist ein bekanntes Topic. Palmer, der zur weißen Unterschicht gehört, hatte vermutlich Glück, dass er nicht schwarz ist, weil er sonst lebenslänglich bekommen hätte, wäre er reich gewesen, wäre seiner Strafe sicherlich geringer ausgefallen. Doch er klagt nicht, weil er weiß, dass er Fehler begangen hat und dafür bestraft wurde. Palmer will nach vorne schauen, auch wenn man ihm das nicht leicht macht. Zunächst verfällt er in alte Gewohnheiten, er trinkt zu viel und hängt mit den Freunden ab, die er damals gedeckt hat und die ihre Leben unbehelligt weiterführen konnten. Einer ist sogar inzwischen Polizist.
Mit dem Tod seiner Großmutter ändert sich jedoch alles. Anfangs will Palmer nicht die Verantwortung für Sam übernehmen, doch er bringt es nicht über sich, den Jungen in die Obhut des Jugendamts zu übergeben – schließlich hat er selbst es nach dem Weggang seiner Mutter und dem frühen Tod seines Vaters nur Vivian zu verdanken, dass er nicht ein ähnliches Schicksal durchleiden musste.
Sam ist ein freundliches, stets optimistisches Kind, aber anders als die anderen. Der Junge spielt gerne mit Puppen, liebt Prinzessinnen und verkleidet sich an Halloween als solche. Kein Wunder, dass er ständig gehänselt und gemobbt wird in dieser Kleinstadt in den amerikanischen Südstaaten. Auch Palmer wundert sich zunächst über Sams Verhalten, akzeptiert das Kind aber schließlich so, wie es ist.
Der Film zeichnet ein präzises Bild der typischen amerikanischen Kleinstadt im Süden, in der sich seit Jahrzehnten praktisch nichts verändert hat. Viele Menschen sind arm und perspektivlos, sie gehen sonntags in die Kirche und freitags zum Football, sie sind ungeheuer freundlich zueinander – solange man genauso ist wie sie. Menschen wie Palmer, die vom rechten Weg abgekommen sind, oder Sam, der aufgrund seiner Natur nicht der Norm entspricht, haben es schwer, und dass sie einander finden, unterstützen und zu einer Familie werden, ist schön erzählt.
Auch Palmer erfindet das Rad nicht neu, der Film erinnert an zahlreiche andere Dramen wie Mein Kind vom Mars oder Gifted, er schafft es allerdings, zwei starke Figuren zu etablieren, an deren Schicksal man gerne Anteil nimmt, und seine Botschaft weitgehend unaufdringlich zu verbreiten. Die Regie von Fisher Stevens ist solide, das Buch von Cheryl Guerriero hätte aus den dramatischen Verwicklungen vielleicht noch etwas mehr herausholen können, gibt sich aber Mühe, seinen Figuren gerecht zu werden. Vor allem lebt die Geschichte von einem wunderbaren jungen Talent: Ryder Allen strahlt eine solche Positivität und Verletztheit aus, dass man ihn am liebsten selbst adoptieren möchte.
Note: 2-