Reden wir kurz über Rosamund Pike. Sie ist schön, talentiert, schon seit vielen Jahren gut im Geschäft – und doch bin ich jedes Mal überrascht, wenn ich sie sehe. Nicht, weil sie so gut ist (was sie eigentlich immer ist), sondern weil ich sie erneut nicht erkannt habe. Entweder liegt es an mir und ich bin irgendwie nicht fähig, mich an ihr Gesicht zu erinnern, oder sie ist tatsächlich ein menschliches Chamäleon. Kürzlich war sie für einen Golden Globe nominiert, für ihre Rolle in dem Film I Care a Lot, und obwohl er einen schlechten imdB-Wert hat (6,2), habe ich ihn mir angesehen.
I Care a Lot
Marla (Rosamund Pike) hat die perfekte Betrugsmasche entdeckt: Mit Hilfe einer ebenso kriminellen Ärztin (Alicia Witt) lässt sie ältere Menschen für unzurechnungsfähig erklären und sich von einem inkompetenten Richter (Isiah Whitlock Jr.) zu deren Vormund ernennen. Innerhalb kurzer Zeit werden die Senioren in ein Heim abgeschoben, abgeschirmt und mit Tabletten ruhig gestellt, so dass Marla und ihre Lebensgefährtin Fran (Eiza González) ihre Konten leeren und ihre Häuser verkaufen können. Als sie eines Tages Jennifer Peterson (Dianne Wiest) verschwinden lassen, müssen sie jedoch feststellen, dass sie einen Sohn hat, von dem niemand weiß: Mafioso Roman Lunyov (Peter Dinklage) …
Der imdB-Wert hätte eine Warnung sein sollen, dass die meisten Zuschauer diesem Film nicht viel abgewinnen können. Aber die Prämisse klingt vielversprechend und witzig, und als Autor fallen mir auf Anhieb eine Menge Dinge ein, die passieren könnten. Doch mit dem, was uns Autor und Regisseur J Blakeson präsentiert, habe ich dann doch nicht gerechnet.
Wessen Geschichte will er erzählen? Das ist eine einfache Frage, die jedoch nicht so leicht zu beantworten ist. Die Sympathien in der Story gehören eindeutig der reizenden Jennifer, der ein großes Unrecht widerfährt, denn sie wird mit staatlicher Genehmigung entführt und entmündigt. Doch Jennifer spielt kaum eine Rolle, auch wenn Dianne Wiest aus jeder ihrer Szenen das Beste herausholt. Peter Dinklage spielt den ergebenen, liebevollen Sohn, der unbedingt seine betagte Mutter aus den Fängen der geldgierigen Marla befreien will. Natürlich empfindet man da für ihn gewisse Sympathien, obwohl er ein skrupelloser Mädchenhändler ist. Aber die Hauptfigur des Films ist Marla, an der nichts liebenswert ist, abgesehen vielleicht von ihrer Zuneigung zu Fran.
Nun ist es durchaus möglich, eine hassenswerte Heldin zu haben, und dennoch eine spannende, unterhaltsame Geschichte zu erzählen. Richard III. mag auch keiner, dennoch wollen wir wissen, ob es ihm gelingt, König zu werden. Der Trick ist, dass man einer solchen Figur wenigstens etwas Sympathisches verleiht oder ihre Gegenspieler noch fieser macht. Leider hat Marla nichts an sich, was man gut finden könnte, und obendrein ist sie ein noch größeres Miststück als ihr Gegenspieler.
Dabei fängt der Film vielversprechend an. Man weiß ja aus der Kurzbeschreibung, dass Jennifer die falsche Person ist, die Marla sich ausgesucht hat, und freut sich darauf, dass es ihr nun jemand so richtig zeigt. Roman unternimmt zwar auch eine ganze Menge, um sie zu befreien, aber leider immer das Falsche. Es ist erstaunlich, mit welchen inkompetenten Leuten sich so ein Mafiaboss umgibt, oder auf welche dummen Ideen er kommt, um Jennifer aus den Klauen seiner Gegnerin zu retten. Dass er noch nicht vom FBI gefasst oder von seinen Widersachern eliminiert wurde, grenzt an ein Wunder. Umgekehrt kann Marla tun, was immer sie will, alles gelingt ihr mühelos. Dramaturgisch gesehen ist das der größte Fehler, den man als Autor machen kann, und falls es komödiantisch gemeint sein soll, ist die Inszenierung komplett in die Hose gegangen. Man kommt bei all dem nicht einmal dazu, seine Snacks zu knabbern, weil man die meiste Zeit über damit beschäftigt ist, sich gegen die Stirn zu schlagen.
Das Ganze ist wie ein Autounfall in Zeitlupe, den man völlig hilflos beobachtet. Nach einer recht unterhaltsamen ersten halben Stunde geht es zügig bergab, und spätestens nach der Hälfte hat man jegliches Interesse verloren. Blakesons Absichten sind klar, er wollte aus dem Film eine gnadenlose Abrechnung mit dem Kapitalismus machen, eine düstere Version des amerikanischen Traums, in dem nicht Fleiß, Ehrlichkeit und harte Arbeit der Schlüssel zum Erfolg sind, sondern Skrupellosigkeit und Niedertracht. Das ist ihm gelungen, nur leider ist sein Film dabei genauso seelenlos geworden wie der Kapitalismus.
Immerhin hat Rosamund Pike den Golden Globe gewonnen. Zu Recht, denn sie ist neben Dianne Wiest das Beste am Film. Die Miniserie State of the Union und der Film Feinde – Hostiles befinden sich beide noch auf meiner Watchlist. Mal sehen, ob ich sie dann wiedererkenne …
Note: 4