Da die Netflix-Serie seit einiger Zeit in aller Munde ist, habe ich mir den Trailer dazu angesehen – und fand ihn furchtbar. Er erweckt den Eindruck, es mit einer jungen, schachbegeisterten Frau zu tun zu haben, die langsam in den Wahnsinn abdriftet und bald nicht mehr zwischen Realität und Einbildung unterscheiden kann. Danach hatte ich lange Zeit keine Lust, der Serie eine Chance zu geben, aber die gute Mundpropaganda hat mich schließlich neugierig gemacht …
Beth (Anya Taylor-Joy) verliert als junges Mädchen ihre Mutter bei einem Autounfall, den sie selbst unverletzt überlebt, und wächst in einem Waisenhaus in Kentucky auf. Die Mädchen dort werden regelmäßig mit Tabletten ruhiggestellt, und Beth entdeckt, dass sie die leichte Sedierung durchaus als angenehm empfindet – der Grundstein für eine langjährige Alkohol- und Tablettensucht. Gleichzeitig freundet sie sich mit dem Hausmeister Mr. Shaibel (Bill Camp) an, der ihr das Schachspielen beibringt – und bald entdeckt, dass sie über außerordentliches Talent verfügt.
Mit fünfzehn wird Beth schließlich von Alma (Marielle Heller) und ihrem Mann adoptiert, doch schon bald stellt sich heraus, dass Alma unter Depressionen und Alkoholsucht leidet und ihr Mann Beth nur deshalb ins Haus geholt hat, um seine Frau verlassen zu können. In Alma findet Beth tatsächlich eine Freundin, die ihre Leidenschaft fürs Spiel unterstützt und sie zu den Wettkämpfen begleitet. Schon bald sorgt Beth in dem von Männern dominierten Gebiet für Furore und wird immer erfolgreicher …
Als ich jünger war, habe ich einige Zeit lang viel Schach gespielt, aber ich muss gestehen, dass ich nicht die nötige Geduld aufbringe, um wirklich gut darin zu sein. Beth hingegen ist besessen von dem Spiel, gibt ihr die Konzentration auf das Brett und seine Figuren das Gefühl, wenigstens diese kleine Welt kontrollieren zu können. Liegt sie nachts im Bett, spielt sie an der Decke in ihrer Fantasie Partien nach, sie denkt, atmet und lebt Schach.
Figuren, die derart besessen sind von einer Sache, können leicht befremdlich und unzugänglich wirken. Auch Anya Taylor-Joy erscheint auf den ersten Blick kalt und abweisend, geradezu abgründig, weshalb sie früher häufig in Horrorfilmen zu sehen war. Aber ihr Spiel ist präzise und tiefgründig, ihre Präsenz bemerkenswert, und man darf auf den weiteren Verlauf ihrer Karriere gespannt sein. Als Beth ist sie jedenfalls eine Idealbesetzung. Dabei macht es einem die junge Schachspielerin mit dem ausgeprägten Hang zur Selbstzerstörung nicht gerade leicht, sie zu mögen.
Das Damengambit ist in erster Linie eine klassische Coming-of-Age-Geschichte oder ein Cheerie-Stoff. Eine Außenseiterin – Waise, drogenabhängig und Frau – reüssiert in einem Bereich, der nahezu ausschließlich von Männern dominiert wird, und das in den Sechzigerjahren. Erstaunlicherweise erfährt sie von ihren Gegnern eher wenig Misogynie, vielleicht weil diese vor allem den Geist des Spielers bewerten und weniger sein Geschlecht. Die Auseinandersetzung mit diesem Aspekt der Geschichte geschieht entsprechend eher subtil und wird über Nebenfiguren erhellt. Alma beispielsweise ist eine gute Pianistin, die nie die Chance hatte, mehr aus ihrem Talent zu machen. Beths Jugendfreundin Jolene (eine Entdeckung: Moses Ingram) gelingt es, sich als schwarze, mittellose Frau Bildung und einen Platz in der Gesellschaft zu erkämpfen.
Die Mini-Serie konzentriert sich vor allem auf Beths Kindheit, ihre Lehrjahre und ersten Erfolge bis hin zu ihrem Kampf gegen die Welt- und Großmeister, von denen sie niemanden so sehr fürchtet wie Vasily Borgov (Marcin Dorocinski). Sie verliebt sich in einen Reporter (Jacob Fortune-Lloyd) und geht eine Liaison mit ihrem schärfsten US-Konkurrenten (Thomas Brodie-Sangster) ein, doch ihre wahre Liebe gehört dem Schach.
Als Zuschauer erhält man dabei tiefere Einblicke in eine fremde, exotische Welt mit eigenen Regeln. Auch wenn man keine Ahnung vom Spiel, seinen Strategien und Großmeistern hat, kann man sich von der Geschichte begeistern lassen. Und es ist wirklich erstaunlich, wie spannend eine Partie inszeniert werden kann, selbst wenn dabei wenig passiert und man oft nur anhand der Mimik der Spieler erkennen kann, wie es gerade steht.
Leider kommen einige Aspekte zu kurz. Bei sieben Folgen hätte man erwartet, mehr über Beths private Geschichte zu erfahren, über das Schicksal ihrer Mutter, über das man relativ viel, letzten Endes aber doch zu wenig erfährt. Warum versucht Beth nie, ihren Vater ausfindig zu machen? Warum landet sie im Waisenhaus und nicht bei ihm oder den Angehörigen ihrer Mutter? Manches bleibt ein Geheimnis oder Spekulation.
Der Serie liegt der gleichnamige Roman von Walter Tevis zugrunde, der auch die Vorlagen zu Die Haie der Großstadt und deren Fortsetzung Die Farbe des Geldes schrieb sowie zu Der Mann, der vom Himmel fiel, dessen Remake gerade geplant wird. Aus Das Damengambit sollte übrigens auch einmal ein Film werden, das Regie-Debüt von Heath Ledger, doch leider starb er, bevor die Pläne konkreter werden konnten …