Always Be My Maybe

Auch wenn ich eine (schier endlos) lange Watchlist bei Netflix und Amazon habe und jede Woche neuer Content hinzukommt, den kein Mensch mehr überblicken kann, stehe ich oft vor dem Problem: Was gucke ich heute? Für Frauen gibt es, seit Eva in den Apfel gebissen hat und ihrer Nacktheit gewahr wurde, ein ähnliches Problem: Was soll ich heute anziehen? In der Regel gesprochen vor einem überquellenden Kleiderschrank.

Meistens folgt auf diese (also, meine) Frage stundenlanges Herumstöbern in den diversen Rubriken der Streamingdienste, das Anschauen Dutzender Trailer (zumindest bei Netflix, da Prime Video sich immer seltener die Mühe macht, eigene Trailer zu erstellen), die Suche nach dem imdB-Wert dieser Filme (immerhin den fügt Amazon meistens hinzu) und schlussendlich eine Entscheidung, die schwieriger zu treffen war als die Wahl zwischen Dutzenden Sorten Eiscreme in der weltbesten Eisdiele in San Gimignano. Danach bin ich manchmal so müde, dass ich beim Film einschlafe …

Dass es inzwischen eine schier unübersichtliche Auswahl an Content gibt, macht die Suche darüber hinaus nicht gerade einfacher. Und ganz oft sehen sich diese Filme erschreckend ähnlich, als hätten sie alle dieselbe Blaupause gehabt. Was auch meistens der Fall ist, da die Entscheider in Hollywood (und viele Produzenten jenseits davon) inzwischen nur noch mit Blake Snyders Standardwerk Save the Cat unterm Arm Projekte abnicken. Kein Wunder, dass man oft bereits nach der Lektüre der Inhaltsangabe das Gefühl hat: Kenne ich schon. Die Tatsache, dass es bereits einen Fachbegriff dafür gibt – Netflix-Fatigue – zeigt, dass es sich dabei um ein weitverbreitetes Phänomen handelt.

Es ist diese Kombination aus besagter Netflix-Fatigue und der Angst, etwas zu verpassen (FOMO – Fear of Missing Out, noch so ein Fachbegriff), die nervt. Da hilft es, wenn man auf einen Film stößt, dessen Trailer einen anspricht und über den man etwas gelesen hat, was ihn von anderen Produktionen abhebt. Und dann kann man sogar ganz spontan einschalten.

Always Be My Maybe

Sasha (Ali Wong) und Marcus (Randall Park) waren in ihrer Kindheit und Jugend die besten Freunde. Und irgendwann wurde sogar mehr daraus, auch wenn sie feststellen mussten, dass sie als Liebespaar nichts taugen. Sechzehn Jahre später: Sasha ist eine gefeierte Star-Köchin und kehrt in ihre Heimatstadt San Francisco zurück, um ein weiteres Restaurant zu eröffnen. Dort trifft sie auf Marcus, der noch immer bei seinem Vater (James Saito) lebt, in dessen Firma arbeitet und mit seiner Band in kleinen Spelunken auftritt. Es dauert eine Weile, aber dann stellt sich die alte Chemie zwischen ihnen wieder ein …

Sowohl der Trailer als auch meine Kurzbeschreibung lassen den Film wie eine RomCom erscheinen, die man schon tausend Mal gesehen hat. Und im Grunde stimmt das auch, der Film, geschrieben von den beiden Hauptdarstellern und Michael Golamco, erfindet das Rad nicht neu, folgt brav den Genrekonventionen und ist von der charmanten Rückblende in die Kinderzeit bis hin zur öffentlichen Liebeserklärung am Ende vollkommen vorhersehbar. Und dennoch ist es etwas Neues, das hier gewagt wird.

Zum einen sind die meisten Darsteller asiatischer Herkunft. Abgesehen von Crazy Rich, der vielleicht ein wenig als Inspiration diente, gibt es nicht viele Hollywood-Komödien oder Romanzen mit einer überwiegend asiatischen Cast. Zum anderen ist es ausnahmsweise nicht der superreiche Mann, der das Aschenputtel aus seinem mittelmäßigen Leben befreit, sondern eine kluge, geschäftstüchtige Frau, noch dazu berühmt, die sich auf jemanden einlässt, der weder erfolgreich noch überaus gutaussehend ist. Wenn Marcus daher am Ende fragt, ob er Shashas Handtasche halten darf (während sie auf dem roten Teppich fotografiert und interviewt wird), ist das zwar witzig, aber auch ein klares Statement, dass sich ein selbstbewusster Mann nicht von einer starken Frau bedroht fühlen muss.

Darüber hinaus spricht noch eine kleine, aber feine Nebenrolle für den Film: Keanu Reeves legt einen dermaßen selbstironischen, sein Image gegen den Strich bürstenden Auftritt hin, dass man sich verwundert die Augen reibt. Allein die hinreißende Szene im Nobel-Restaurant, in der der Starkult Hollywoods, die High-Tech-Hipster von San Francisco bzw. dem nahen Silicon Valley und die moderne Gastronomie gleichermaßen durch den Kakao gezogen werden, muss man gesehen haben. Sie ist übrigens auch der Grund, warum ich diesen Film sehen wollte, nachdem ich irgendwo darüber gelesen hatte.

Der Rest ist leider ein kunterbunter Mix aus den üblichen Klischees, stereotypen Figuren und Handlungssträngen, die mit der Zeit immer dünner werden. Viele Gags funktionieren, manche enden jedoch als Rohrkrepierer. Nett sind die Hip-Hop-Einlagen von Randall Park, bei denen man merkt, dass sein Herz für diese Musik schlägt.

Insgesamt solide Unterhaltung mit ein paar Höhepunkten und nur wenigen Enttäuschungen. Für eine RomCom ist das heutzutage schon viel. Und das macht mich irgendwie traurig.

Note: 3

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.